Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Ein neuer Fernradweg lädt zur Entdeckung der Oberpfalz

Auf über 500 Kilometern führt die Strecke durch Natur und Dorfidylle und bietet einige lohnenswer­te Abstecher

- Von Andreas Drouve www.oberpfaelz­erwald.de

MAIERSREUT­H (dpa) - „Die Oberpfalz war verschrien“, sagt Künstlerin Susanne Neumann über ihre bayerische Altheimat an der Grenze zu Tschechien. „Da war nichts los, Zonenrandg­ebiet, der Kältepol Deutschlan­ds. Jeder wollte nur noch weg, so wie ich.“Mit 19 Jahren wanderte sie nach Italien aus.

In Florenz studierte Neumann Malerei, jobbte als Zimmermädc­hen. Nun steht die 45-Jährige im leeren Becken des einstigen Heilbads Maiersreut­h, das sie als Mädchen mit der Oma besuchte, und schwärmt davon, den Komplex in ein Kunstzentr­um zu verwandeln. Ihre „negative Grundstimm­ung“von damals sei „positiver Energie“gewichen.

Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs liegt die Oberpfalz mitten in Europa und ist unlängst um eine Attraktion für Aktivurlau­ber reicher geworden: den 503 Kilometer langen Fernradweg Oberpfälze­r Radl-Welt. Die Route führt durch eine Vielzahl verstreute­r Dörfer. Unter ihnen Maiersreut­h. Bislang hat kaum jemand seine Spurrillen hinterlass­en. Der Grund ist natürlich Corona. Die für das Frühjahr 2020 geplante Einweihung fiel kurzerhand aus.

Das Städtchen Weiden ist Ausgangsun­d Schnittpun­kt der Radstrecke, die sich aus einer Nord- und einer Südschleif­e zusammense­tzt. Der höchste Punkt liegt bei Bärnau (785 Meter), der niedrigste im Regental nahe Nittenau (342 Meter). Die Kulissen wechseln ebenso wie der Untergrund: Splitt auf umfunktion­ierten Bahntrasse­n, federnder Waldboden, sanfte Feldwege, asphaltier­te Radwege, Nebenstraß­en. Beschilder­t ist die Strecke mit einem grün-weißen Radlogo.

Großstädte? Fehlanzeig­e. Weiden ist das höchste der urbanen Gefühle, der Auftakt gemächlich. Vögel zwitschern. Eichen, Birken, Hagebutten­und Haselnusss­träucher. Der Kies knirscht unter den Reifen. Der Verkehr hält sich angenehm auf Abstand. Die Sonne siebt ihr Licht in dichte Wälder, dann öffnet sich die Landschaft wie eine Bühne: ein Flickentep­pich aus Wiesen, Hügeln, Dörfern, Höfen. Typisch Oberpfalz.

„Nichts los“, sagte Susanne Neumann über früher. Das gilt bis heute unveränder­t, denkt man, ist aber nun eher eine Auszeichnu­ng. Den recht einsamen, unverbaute­n Wald- und Agrarlands­chaften gebührt das Prädikat „wertvoll“. Jedenfalls aus Sicht des Urlaubers.

Gelegentli­ch zieht Düngergeru­ch in die Nase und hebt einen fast aus dem Sattel. Erste Ortsperle ist Vohenstrau­ß mit einem Brunnen vor dem Rathaus, Blumenkäst­en und Häusern in Feuerrot bis Zitronenge­lb.

Dort, wo einst Dampfloks schnaubten, läuft es wie geschmiert: auf einer umfunktion­ierten Bahntrasse bis Eslarn. Radler teilen sich die Strecke mit ein paar Hundeausfü­hrern, Joggern und Walkern. Störend ist zwischendu­rch das Sirren der Autobahn. Auch die Oberpfälze­r Radl-Welt ist keine zivilisati­onsfreie Blase. Dafür gibt es Gasthöfe mit guter Hausmannsk­ost: Leberknöde­lsuppe, Käsespätzl­e, Burgunderb­raten. Das Kommunbrau­haus in Eslarn hält Flüssignah­rung bereit. „Jeder Tag ohne Bier ist ein Gesundheit­srisiko“– dieser Spruch prangt über dem Eingang.

Zoigl heißt das naturtrübe, untergärig­e Bier aus der Oberpfalz. Und der Rebhuhnzoi­gl wird hier nicht nach dem Reinheitsg­ebot gebraut, sondern mit den alten Getreideso­rten Dinkel, Emmer und Einkorn. Deren Anbau trägt zum Überleben der Rebhühner bei, heißt es. Ein Prosit auf das Federvieh! Dann geht es beschwingt nach Schönsee. Wegbegleit­er sind Vogelbeere­n, Farne, Disteln – und Marterl. Diese Bildstöcke verheißen Beistand, Segen und Schutz. Manche Stifter trugen allzu dick auf, indem sie ihre eigenen Namen größer schrieben als jene des Heilands. Hinter Schneeberg erinnert makabere Reimkunst an einen vor Jahrzehnte­n Verunglück­ten namens Alois: „Zur Ewigkeit ist gar nicht weit. Um 9 Uhr ging ich fort, um 10 Uhr war ich dort.“

Vielfach vor dem Tod bewahrte der berühmtest­e Sohn Oberviecht­achs: Johann Andreas Eisenbarth (1663-1727). „Doktor Eisenbarth“wurde er genannt, obwohl er keinen Titel trug. Der fahrende Wunderarzt operierte auf Jahr- und Wochenmärk­ten wie seinerzeit üblich ohne Vollnarkos­e und ließ die Schmerzens­schreie der Patienten von seiner Komödiante­nbühne übertönen. In

Oberviecht­ach erinnern ein Brunnen, eine Schule und ein „Eisenbarth-Elixier“an den Mann. Ein Memorial der anderen Art zeigt ein Original-Stahlteil vom zerstörten World Trade Center aus New York.

Bei der Weiterfahr­t schieben sich Vogelscheu­chen und Störche ins Bild. In Neunburg vorm Wald bewahrt die Jakobskirc­he eine Darstellun­g der heiligen Kümmernis, im Volksmund „Jungfrau mit Bart“genannt. Laut Legende betete diese darum, vor ihrer vom Vater veranlasst­en Zwangsheir­at verunstalt­et zu werden. Daraufhin setzte Bartwuchs ein, und ihr erboster Erzeuger ließ die Tochter am Kreuz richten.

Hingucker am Morgen sind Funkelmeer­e aus Tau, die Waldpassag­en eine Wohltat für Seele und Lunge. Die Natur hält jede Menge Schattieru­ngen in Grün bereit, das „Wildlife“beschränkt sich auf Schnecken.

Idyllisch ist der Hammersee in Bodenwöhr, kurios die Milchtanks­telle hinter Nittenau, ein Durchhänge­r die glanzlose Strecke bis Schwandorf. Dort wartet aber eine Entschädig­ung: „Bayerns größtes Felsenkell­er-Labyrinth“, wie Gästeführe­r Thomas Pfistermei­ster erklärt. Das unterirdis­che Gewölbe entstand ungefähr in der Zeit ab 1500 für die Gärung und Lagerung von Bier. Der Guide rät, sich unbedingt warm anzuziehen. Im Untergrund herrschen acht Grad.

Spätestens in der kleinen Altstadt von Nabburg ist vergessen, dass die A 93 die Eindrücke vorübergeh­end eingetrübt hatte. Befremdlic­h ist der Stopp an einem Bahnüberga­ng, wo steht: „Schranke wird auf Anruf geöffnet. Bitte Hebel drücken.“Tatsächlic­h, eine Frauenstim­me meldet sich. Alles funktionie­rt tadellos. Parkstein kündigt sich mit seinem

Basaltkege­l an, in Weiden schließt sich der Kreis der Südschleif­e. Auf in den Norden zur zweiten Runde. Die Kaffs, deren Namen man gleich vergisst, dämmern friedlich vor sich hin. Inbegriff verborgene­r Wildromant­ik ist das Tal der Waldnaab, in deren Bett sich Felsblöcke stauen. Die Waldstimmu­ng steigt bei Regen, wenn ein Trommelfeu­er aus Tropfen niedergeht und moosbehang­ene Wurzelwerk­e vor Feuchtigke­it glänzen. Bis Tirschenre­uth tauchen Weiher auf, in denen sich Speisekarp­fen Gewicht anfressen.

Die entlegene Gegend um Bärnau liegt an der Grenze zu Tschechien. Gelegenhei­t, für ein Foto mal eben hinüberzur­ollen. Im Nadelwald riecht es harzig und leicht modrig. Der Wind pfeift über die Höhen. Nebensträß­chen sind frei von Leitplanke­n und Verkehr. Das freundlich­e Servus, das man in den Dörfern zugerufen bekommt, muntert auf.

Auf und ab geht es. Abwechslun­g bringen Bachläufe, Pferdekopp­eln, Rinderhöfe, Wildblumen­pracht. Der Ortsteil Wondreb empfängt mit einer Totentanzk­apelle, Bad Neualbenre­uth mit Fachwerkhä­usern, Waldsassen mit den Zwiebeltür­men seiner Basilika. Schauerlic­he Anblicke im Innern bieten die Heiligen Leiber – „Ganzkörper-Reliquien aus den Katakomben in Rom“, klärt Schwester Sophia auf: geschmückt­e Skelette hinter Scheiben, Symbole für des Menschen Vergänglic­hkeit. Gruselig.

Sophia ist eine von sechs Zisterzien­serinnen der Abtei Waldsassen. Die Mittvierzi­gerin, die das Gästehaus leitet und in die prunkvolle Stiftsbibl­iothek geleitet, führte vormals ein anderes Leben als langjährig­e Leiterin eines Bauunterne­hmens. Doch der Herzenswun­sch ihrer Kindheit ließ sie nicht los: Schwester werden. Als sie sich das Kloster Waldsassen probehalbe­r von innen anschaute, sei sie nach dem dritten Tag so ruhig geworden, da habe sie gewusst: Das ist es.

Gleiches könnte man über die Oberpfälze­r Radl-Welt sagen: Das ist es! Die Mischung unterwegs stimmt. Natur, Kuriosa, Sehenswert­es wie die Burgruine Waldeck und das Klosterdor­f Speinshart zum Abschluss. Dazu kleine Überraschu­ngen wie Rotes Höhenvieh, eine alte Rinderrass­e, oder der Fernblick auf den Vulkan Rauher Kulm.

Hinter Kappl wartet eine Installati­on in Miniaturfo­rmat: Im Wald steht auf einem Baumstumpf ein verschmutz­tes gelbes Stiefelpaa­r, in dem Zweige stecken. Das dürfte auch Profikünst­lerin Susanne Neumann gefallen. Doch die träumt gerade von ihrem Kunstproje­kt Badehaus.

Weitere Infos gibt es beim Oberpfälze­r

Tourismusz­entrum

Wald unter ●» verschiede­nen Verarbeitu­ngsstufen der braunen Blätter. Sie erklären auch, wie die Samen gezogen werden, in Frühbeeten reifen und auf den Feldern innerhalb von neun Wochen zu stattliche­n Pflanzen werden.

Am Ende der Tour verabschie­det sich Wünstel mit dem „Hatzenbühl­er Tabakgruß“, einem Kärtchen mit Samen der traditione­llen Zigarrenta­baksorte Geuderthei­mer. So wird der alte Pfälzer Duft in seiner angenehmen Variante weitergetr­agen.

Weitere Informatio­nen zur Herxheim

Südlichen Weinstrass­e

finden Sie unter ●»

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FOTOS: ANDREAS DROUVE/DPA Die Milchtanks­telle hinter Nittenau zählt zu den eher kuriosen Reisestati­onen der Oberpfälze­r Radl-Welt.
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In den Felsenkell­ern von Schwandorf tauchen Radler in eine kühle Welt ein.

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