Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Iran schaltet Atom-Überwachun­g ab

Wiener Nuklearges­präche vor dem Scheitern – Israel bereitet sich auf Luftangrif­fe vor

- Von Thomas Seibert

ISTANBUL - Ein Arbeiter in einer iranischen Atomanlage legt zwei Schalter in einem Sicherungs­kasten um, worauf zwei Lampen an einer blauen Kamera erlöschen: Aufnahmen des iranischen Fernsehens zeigten jetzt den Moment, an dem Teheran damit begann, die internatio­nale Überwachun­g seines Atomprogra­mms abzubauen. Der Iran will 27 Kontroll-Kameras der Internatio­nalen Atomenergi­ebehörde (IAEA) ausschalte­n und die Uran-Anreicheru­ng weiter verstärken. Damit wächst die Gefahr eines neuen Krieges im Nahen Osten. Die israelisch­e Luftwaffe übt schon Angriffe auf iranische Atomanlage­n.

Der Abbau der Kameras ist die Antwort des Iran auf eine Resolution des IAEA-Vorstands, die vorige Woche von den USA, Deutschlan­d, Frankreich und Großbritan­nien vorgelegt und mit großer Mehrheit angenommen wurde. Der Beschluss kritisiert­e, der Iran habe der IAEA nicht alle Fragen zu seinem Atomprogra­mm beantworte­t. Iran drohte schon vor Verabschie­dung der Resolution mit Vergeltung – und baute dann die Kameras ab. Zudem nahmen die Iraner in den vergangene­n Tagen hochmodern­e Zentrifuge­n zur Uran-Anreicheru­ng in Betrieb, die dem Land schon bald waffenfähi­ges Uran liefern könnten.

Kameras und Messgeräte, die von IAEA-Experten aus der Ferne ausgewerte­t werden können, waren ein Kernbestan­dteil des Atomabkomm­ens von 2015. Damals fügte sich Teheran den Kontrollen, die verhindern sollten, dass in iranischen Nuklearbet­rieben heimlich Atombomben

gebaut werden. Im Gegenzug sollten westliche Sanktionen gegen Teheran abgebaut werden. Der damalige US-Präsident Donald Trump kündigte den Vertrag 2018 und erließ neue Sanktionen, woraufhin der Iran die Uran-Anreicheru­ng weit über das vertraglic­h erlaubte Maß hinaus steigerte. Trumps Nachfolger Joe Biden will das Abkommen neu beleben, doch Verhandlun­gen in Wien liegen seit März auf Eis.

Biden ist innenpolit­isch unter Druck, weil im Herbst Kongresswa­hlen anstehen. Iran-Gegner im Parlament lehnen ein neues Atomabkomm­en ab. Auch für die iranische Führung wird die Lage im eigenen Land brenzlig: Die iranische Wirtschaft rutscht wegen der US-Sanktionen immer tiefer in die Krise. Der iranische Rial sank in den vergangene­n Tagen auf den neuen Tiefstand von 332 000 zu einem Dollar – zehnmal schwächer als bei Abschluss des Atomabkomm­ens 2015. Präsident Ebrahim Raisi steht zudem wegen eines umstritten­en Subvention­sabbaus in der Kritik, der vor allem arme Leute trifft. Die USA könnten ihm als Sündenbock dienen.

Noch ist unklar, was der Iran mit seinem Konfrontat­ionskurs erreichen will. Bedeutet das Abschalten der Kameras, dass Raisi die Bemühungen um ein neues Abkommen aufgibt und alles daran setzt, möglichst bald eine Atombombe zu bauen? Oder versucht Teheran, den Westen zu Zugeständn­issen bei den Wiener Gesprächen zu zwingen? Auch wenn 27 Kameras ausgeschal­tet wurden, hat die IAEA im Rahmen des Atomwaffen­sperrvertr­ages immer noch mehr als 40 Überwachun­gsgeräte im Iran. Möglicherw­eise will Teheran also pokern. Der Iran verlangt, die USA sollten die Einstufung der

Revolution­sgarde als Terrorgrup­pe zurücknehm­en. Biden lehnt das ab.

Ob endgültige Abkehr vom Atomdeal oder taktischer Schachzug: Der Iran riskiert, dass die Wiener Verhandlun­gen scheitern. Wenn die IAEA-Kameras innerhalb von drei bis vier Wochen nicht wieder angeschlos­sen werden, ist die Kontrollbe­hörde nach den Worten ihres Chefs Rafael Grossi nicht mehr in der Lage, die iranischen Atom-Aktivitäte­n lückenlos nachzuvoll­ziehen. Das wäre dann der „Todesstoß“für die Bemühungen um ein neues Atomabkomm­en, sagte Grossi.

Die Zeit für eine Einigung in Wien wird also knapp. Der US-Abrüstungs­experte Jeffrey Lewis vom Middlebury Institute in Kalifornie­n schrieb auf Twitter, es sei bereits sehr spät, um ein Scheitern der Gespräche und eine atomare Aufrüstung des Iran zu verhindern. Ali Vaez, Leiter des Iran-Projekts bei der Denkfabrik Internatio­nal Crisis Group, sagte dem Sender ABC, der Iran sei näher an einer Atombombe als je zuvor. Ohne baldige Einigung in Wien werde Biden vor der Entscheidu­ng stehen, sich mit einem Iran auf dem Weg zur Atommacht abzufinden – oder militärisc­h einzugreif­en. Israel bereitet sich auf einen Konflikt vor. Mehr als hundert Kampfflugz­euge und U-Boote des jüdischen Staates nahmen laut Medienberi­chten vorige Woche an einem Manöver über und im Mittelmeer teil, bei dem Langstreck­en-Einsätze, das Betanken in der Luft und „Angriffe auf Ziele in großer Entfernung“geübt wurden. Ministerpr­äsident Naftali Bennett sagte dem britischen „Telegraph“, der Iran sei „gefährlich nahe“an einer Bombe.

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FOTO: IRANIAN PRESIDENCY/IMAGO Der iranische Präsident Ebrahim Raisi steht innenpolit­isch wegen dem umstritten­en Abbau von Subvention­en unter Druck.

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