Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Alice entführt ins Wunderland
Naturtheater Waldbühne startet in seine Freiluftsaison – Premiere geglückt
SIGMARINGENDORF - Der Applaus brandete auf, noch bevor die ersten Schauspieler überhaupt die Bühne betreten hatten. „Endlich wieder Waldbühne!“Mit diesen Worten begrüßte Vorsitzender Walter Kordovan am Samstagabend bei Bilderbuchwetter die Premierenbesucher im Naturtheater und sprach damit nicht nur den Akteuren auf der Bühne aus dem klopfenden Herzen. Nach zwei Jahren pandemiebedingter Spielpause ist das Sigmaringendorfer Ensemble nun mit einer Neuinszenierung im doppelten Sinne zurück: Die wunderbare Geschichte von „Alice im Wunderland“entführt nicht nur in eine fantastische, neue verrückte Welt, sondern vereint in diesem Jahr das Kinderund Erwachsenenstück zu einem Großprojekt für alle.
Wenn die Katze grinst, ein Hase spricht, Spielkarten kämpfen und eine kiffende Raupe auf einem Riesenpilz Weisheiten und Rätsel von sich gibt, dann steht die Welt wohl etwas auf dem Kopf. So wie an den kommenden Wochenenden auf der Sigdorfer Waldbühne. Dort, wo sich in der Vergangenheit der Glöckner von Notre-Dame, die Päpstin oder der Hundertjährige ebenso ein Stelldichein gegeben haben wie Pippi Langstrumpf, Ronja Räubertochter oder Pinocchio, verzaubert in dieser Saison „Alice im Wunderland“, eine Inszenierung des Kinderbuchklassikers von Lewis Carroll. Eine Mammutaufgabe für das Team um Drehbuchautorin Nadja Kiesewetter: Die Rollenverteilung für das 78-köpfige Kinder- und Erwachsenenensemble und der Spagat, ein Bühnenstück zu schaffen, das kleine und große Zuschauer gleichermaßen begeistert. So wurden im 69-seitigen Manuskript unter anderem Figuren hinzu „erfunden“und Kampfszenen „entschärft“.
Die Handlung ist schnell erzählt: Alice langweilt sich auf einem Fest, sie möchte lieber Schach spielen oder ein Buch lesen. Doch das „ziemt sich nicht“. So folgt sie einem aufgeregt daherkommenden weißen Hasen und fällt in seinen Bau, geradewegs ins Wunderland. Dort will Alice nur wieder zurück nach Hause, muss sich aber der bösen Herzkönigin und ihrer Armee stellen, die das Wunderland mit schauriger „Kopfab-Mentalität“unterdrücken. Denn so steht es in der Prophezeiung, die ihr die Grinsekatze vorliest. „Alice, die Befreierin, die zukünftige Heldin des Wunderlands.“
Zum Glück ist Alice nicht allein, viele schräge, aber liebenswerte Wesen stehen ihr zur Seite. Denn im Wunderland ist verrückt sein völlig normal. Und so kommt es, wie es kommen muss: Die Liebe und der Glaube an die eigene Kraft besiegen am Ende Machtgier und Boshaftigkeit.
Schlagfertige Dialoge, tiefsinnige Ratschläge – es ist keine Schande, nichts zu wissen, wohl aber, nichts lernen zu wollen. Mut zu Selbstvertrauen und Zuversicht, immer wieder gewürzt mit einem Augenzwinkern, das alles und vieles mehr vor einer wunderbar fantasievollen und detailverliebten Kulisse mit begeisternden Darstellern in zauberhaften Kostümen präsentiert das Waldbühnenensemble in gewohnt faszinierender Eigen-Interpretation. Ob der Tanz der Grasmännchen mit Rindenwichteln und Blumennymphen, die im Chaos endende Teeparty mit dem Hutmacher und der coffein-geschwängerten Kaffee-Dame oder das Krocketspiel zeigen Talent und Fantasie der Extraklasse.
Ein zweieinhalbstündiges Gesamtkunstwerk, das nicht nur den Regisseuren Josef Stehle, Bea Speker und Tobias Droxner ein immenses Pensum abverlangt hat. Darsteller hervorzuheben, würde den anderen sicher nicht gerecht werden, und dennoch haben aufgrund ihrer Präsenz und Fülle an Text die Hauptdarstellerinnen der kleinen und großen Alice, Emma und Lisa Kiesewetter beziehungsweise Frida Speh und Emma Geuder, ein besonderes Ausrufezeichen verdient. Und einen fast göttlichen Spaß- und Unterhaltungsfaktor können definitiv Rebecca Riedißer
als weißes Kaninchen und Fabian Felbick als Märzhase für sich verbuchen.
Eine schöne, zur Tradition gewordene Geste zum Ende der Premierenfeier: Das große Laudatio an alle Beteiligten – ein kleines Dankeschön für die geniale Arbeit aller, die an diesem Projekt mitwirken.
„Alice im Wunderland“wird an den Wochenenden bis Sonntag, 31. Juli, auf der Waldbühne Sigmaringendorf präsentiert. Karten sind online über www.waldbuehne.de oder telefonisch unter 07571/ 35 20 (montags und mittwochs, 18 bis 20 Uhr) erhältlich.