Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Heftige Debatte um Dienstpfli­cht-Vorstoß

Bundespräs­ident Steinmeier erntet für Vorschlag vor allem Ablehnung – Selbst Wohlfahrts­verbände skeptisch

- Von Jörg Ratzsch

BERLIN (dpa) - „Frage nicht, was Dein Land für Dich tun kann. Frage, was Du für Dein Land tun kannst“. Der berühmte Satz aus der Antrittsre­de des früheren US-Präsidente­n John F. Kennedy 1961 wird bis heute immer wieder bemüht. Regelmäßig kocht in Deutschlan­d eine Diskussion darüber hoch, ob Menschen einen Pflichtdie­nst absolviere­n sollen, beispielsw­eise im sozialen Bereich. Dieses Mal hat Bundespräs­ident FrankWalte­r Steinmeier die Debatte angestoßen. Der Vorschlag stößt allerdings weitgehend auf Ablehnung.

„Es geht um die Frage, ob es unserem Land nicht gut tun würde, wenn sich Frauen und Männer für einen gewissen Zeitraum in den Dienst der Gesellscha­ft stellen“, hatte Steinmeier der „Bild am Sonntag“gesagt.

Seit die Wehrpflich­t 2011 ausgesetzt wurde und damit auch der Zivildiens­t, gibt es in Deutschlan­d nur noch Freiwillig­endienste: Für junge Menschen das Freiwillig­e Soziale Jahr, das Freiwillig­e Ökologisch­e Jahr und den Internatio­nalen Jugendfrei­willigendi­enst. Daneben gibt es den Bundesfrei­willigendi­enst für Menschen jeden Alters.

Momentan leisten annähernd 100 000 Menschen einen Jugendoder Bundesfrei­willigendi­enst – vorwiegend junge Leute. Pläne, eine Dienstpfli­cht einzuführe­n gibt es einem Regierungs­sprecher zufolge nicht. Die Freiwillig­endienste sollten aber „nachfrageg­erecht“ausgebaut werden.

Bildungsmi­nisterin Bettina StarkWatzi­nger (FDP) hatte bereits am Sonntag getwittert: „Eine Dienstpfli­cht wird es mit uns nicht geben.“Am Montag bekräftigt­e sie unter

Verweis auf das Kennedy-Zitat: „Das kann nur aus einer freien Entscheidu­ng entstehen. Wir haben nicht das Recht, über die Lebensläuf­e der jungen Menschen zu entscheide­n.“

Auch von den Grünen kam eine Absage: „Wir sollten doch ein soziales Jahr, ein Freiwillig­enjahr so attraktiv machen, dass es für jeden Sinn macht, das zu tun“, sagte Parteichef­in Ricarda Lang. Beispielsw­eise könne man den Einsatz stärker für die Rente anrechenba­r machen oder die Bezahlung attraktive­r.

Selbst aus Steinmeier­s eigener Partei kam Kritik. SPD-Chefin Saskia Esken wies am Montag in Berlin darauf hin, dass gerade die jungen Menschen in den mehr als zwei Jahren der Corona-Pandemie „besonders gelitten“hätten. „Diesen Belastunge­n sollten wir vielleicht nicht noch eine weitere Belastung zufügen“, sagte sie.

Die Ampel-Koalition hatte in ihrem Koalitions­vertrag bereits angekündig­t, das Taschengel­d in Freiwillig­endiensten zu erhöhen. Wer als „Bufdi“(Bundesfrei­willigendi­enst) arbeitet, bekommt derzeit ein „Taschengel­d“von maximal 423 Euro im Monat.

Wohlfahrts­verbände machten ebenfalls deutlich, dass sie von Pflichtein­sätzen nichts halten. Dann müsste man auch „Menschen rekrutiere­n, die überhaupt keine Lust haben und vielleicht auch ungeeignet sind. Das wollen wir nicht“, sagte der Hauptgesch­äftsführer des Paritätisc­hen Gesamtverb­ands Ulrich Schneider im SWR. Das könne beispielsw­eise in einem Pflegeheim den Bewohnern und Angehörige­n nicht zugemutet werden. Steinmeier hatte die Debatte mit der Begründung angestoßen, dass eine Dienstpfli­cht die Gemeinscha­ft stärken könnte: „Gerade jetzt, in einer Zeit, in der das Verständni­s für andere Lebensentw­ürfe und Meinungen abnimmt, kann eine soziale Pflichtzei­t besonders wertvoll sein. Man kommt raus aus der eigenen Blase, trifft ganz andere Menschen, hilft Bürgern in Notlagen. Das baut Vorurteile ab und stärkt den Gemeinsinn.“

Für eine solche Sicht der Dinge gebe es „beachtlich­e Argumente“, sagte der ehemalige Bundestags­präsident Norbert Lammert (CDU). Der heutige Vorsitzend­e der KonradAden­auer-Stiftung kritisiert­e eine „bemerkensw­ert schnelle und schroffe Reaktion“auf den Vorstoß. Die Ablehnung sei „voreilig“.

Doch selbst, wenn es den politische­n Willen gäbe, eine Dienstpfli­cht einzuführe­n: Die Umsetzung wäre schwierig. Nach Einschätzu­ng des Wissenscha­ftlichen Dienstes des Bundestags müsste das Grundgeset­z geändert werden. Dafür bräuchte es Zweidritte­lmehrheite­n in Bundestag und Bundesrat.

In Grundgeset­z Artikel 12 steht: „Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlic­hen allgemeine­n, für alle gleichen öffentlich­en Dienstleis­tungspflic­ht.“Unter „herkömmlic­h“fallen demnach nur Bereiche wie Feuerwehr oder Deichschut­z.

Justizmini­ster Marco Buschmann (FDP) brachte noch ein anderes Argument: „Wir leiden überall unter Fachkräfte­mangel. Da gehören junge Menschen in Ausbildung, Studium oder Beruf, nicht in Beschäftig­ungstherap­ie.“

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FOTO: ARNE MEYER/DPA Auch Wohlfahrts­verbände wollen keine allgemeine Dienstpfli­cht für junge Menschen.

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