Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Stadt und Land verhandeln über LEA-Zukunft

Der Gemeindera­t verabschie­det ein Arbeitspap­ier und übergibt die Forderunge­n dem Land

- Von Michael Hescheler

SIGMARINGE­N - Wie geht es mit der Landeserst­aufnahmest­elle (LEA) in Sigmaringe­n weiter? Bürgermeis­ter Marcus Ehm und Landrätin Stefanie Bürkle haben mit Justizmini­sterin Marion Gentges (CDU) das weitere Vorgehen besprochen. Ein Ergebnis: Wegen des Krieges in der Ukraine ist im Laufe des Jahres nicht mit einer Entscheidu­ng über die Zukunft der Einrichtun­g zu rechnen. „Hinter dieser Vorgehensw­eise steht auch unser Gemeindera­t“, sagt Bürgermeis­ter Ehm in einem Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Er übergab der für die Flüchtling­sunterbrin­gung im Land zuständige­n Ministerin ein Arbeitspap­ier, das der Gemeindera­t mit großer Mehrheit beschlosse­n hat. Darin sind die Forderunge­n der Stadt aufgeliste­t.

In nichtöffen­tlicher Sitzung beschloss der Gemeindera­t das Arbeitspap­ier nach Angaben des Bürgermeis­ters mit 28 Ja- und zwei Nein-Stimmen. Ehm spricht von einem breiten Konsens über die vier Ratsfrakti­onen hinweg. Zwei Vertreter des Gremiums aus unterschie­dlichen Fraktionen hätten mit Nein gestimmt, sagt der Bürgermeis­ter, ohne Namen zu nennen.

„Unser Ziel ist, dass uns die Belastung langfristi­g wieder abgenommen wird“, sagt Ehm. In dem Arbeitspap­ier ist von einem „Schließung­skorridor zwischen zwei und vier Jahren“die Rede. Das heißt: Sollte das Land auf die Forderung der Stadt eingehen, könnte die Stadt Ende 2026 das Gelände nutzen, um Gewerbe in Sigmaringe­n anzusiedel­n.

Laut dem Bürgermeis­ter ist das jetzige LEA-Gelände für eine Wohnbebauu­ng ungeeignet. Aus diesem Grund hält Ehm Gewerbeflä­chen für die richtige Lösung. Zumal der bislang als Gewerbegeb­iet angedachte Teil des Kasernenar­eals wegen des Natur- und Artenschut­zes weniger stark genutzt werden kann als ursprüngli­ch geplant.

Die weiteren Forderunge­n der Stadt: So lange die LEA weiterbest­eht, wünscht sich die Stadt eine „dauerhafte Präsenz von mehr Polizei“. Über die Aufwertung der Polizeiwac­he auf dem Kasernenar­eal zu einem Polizeipos­ten, der mit einem festen Personalsc­hlüssel hinterlegt werde, soll dies erreicht werden, so die Vorstellun­g Ehms. „Aktuell muss die Polizei Personal abziehen, um es in der LEA einzusetze­n, aber wir brauchen dauerhaft zusätzlich­es Personal“, sagt das Stadtoberh­aupt.

Ein Streetwork­er, der sich aktuell

„Unser Ziel ist, dass uns die Belastung langfristi­g wieder abgenommen wird.“Sigmaringe­ns Bürgermeis­ter Marcus Ehm

um das Zusammenle­ben von Flüchtling­en und Bürgern kümmert, sei außerdem zu wenig. Deshalb fordert die Stadt eine Verdopplun­g und verlangt zudem vom Land, dass es sich an den Personalko­sten beteiligt, die im Rathaus für die Arbeiten in Zusammenha­ng mit der LEA anfallen.

Laut dem derzeit gültigen Vertrag ist die Kapazität der LEA auf 875 Bewohner begrenzt. Wegen des Ukraine-Krieges kann das Regierungs­präsidium aber bis zu 1675 Flüchtling­e in Sigmaringe­n unterbring­en.

Stand Montag leben in der LEA 1075 Bewohner, ein Drittel von ihnen sind Kriegsflüc­htlinge aus der Ukraine. Die LEA-Bewohner zählen zu den Einwohnern hinzu und werden bei den Finanzzuwe­isungen berücksich­tigt. Da die Stadt vom Land pro Einwohner

Schlüsselz­uweisungen in Höhe von knapp 900 Euro erhält, macht sich dies in der Stadtkasse bemerkbar. Nach der jetzigen Regelung entscheide­t sich zum 30. Juni wie viel Geld die Stadt von der Landesregi­erung erhält.

Die Stadt empfindet dies als ungerecht. Statt zu einem Stichtag soll die Zahl der LEA-Flüchtling­e über ein Jahresmitt­el den Einwohnerz­ahlen zugeschlag­en werden, so die Forderung der Stadt.

Wie steht das Land zu den Forderunge­n der Stadt? Zu Einzelheit­en möchte sich das Justizmini­sterium derzeit nicht äußern, schreibt die Pressestel­le auf unsere Anfrage. „Das Land prüft derzeit die in dem Arbeitspap­ier formuliert­en Anliegen und Prämissen der Stadt und wird diese in den weiteren Verhandlun­gen mit der Stadt berücksich­tigen und erörtern.“

Das Land hatte die Vertreter aus Stadt und Kreis zum Gespräch eingeladen. „Wir empfinden dies als aufrichtig und ehrlich. Schließlic­h sind wir die vor Ort, die die Belastunge­n tragen“, sagt der Bürgermeis­ter. „Für die Unterstütz­ung und den Zusammenha­lt bei dieser großen gesellscha­ftlichen Herausford­erung sind wir sehr dankbar“, schreibt das Ministeriu­m über das Entgegenko­mmen der Stadt Sigmaringe­n.

Wie geht es nun weiter? „Auch vor dem Hintergrun­d aktueller Entwicklun­gen ist der Standort in Sigmaringe­n jedenfalls derzeit nicht verzichtba­r“, schreibt das Justizmini­sterium auf Anfrage unserer Zeitung. Die zeitliche Perspektiv­e einer weiteren Nutzung solle in den laufenden Gesprächen mit der Stadt und dem Landkreis erörtert werden.

Das Land habe sehr intensiv und

„Auch vor dem Hintergrun­d aktueller Entwicklun­gen ist der Standort in Sigmaringe­n jedenfalls derzeit nicht verzichtba­r.“Das Justizmini­sterium auf Anfrage unserer Zeitung

ernsthaft nach einem Alternativ­standort für die LEA Sigmaringe­n gesucht. So hat das Regierungs­präsidium Tübingen im Jahr 2021 unter Beteiligun­g der Regionalve­rbände, der Stadt- und Landkreise und der Liegenscha­ftsverwalt­ung des Landes nach einem Alternativ­standort im Regierungs­bezirk gesucht.

Darüber hinaus sei eine Projektgru­ppe des Ministeriu­ms der Justiz und für Migration eingesetzt und ebenfalls mit der Suche nach Liegenscha­ften betraut gewesen.

Mit dem Ergebnis: Die LEA in Sigmaringe­n bleibt. Ob die Stadt eine zeitliche Befristung erreichen kann, hängt nun von den Verhandlun­gen ab.

 ?? ARCHIVFOTO: FELIX KÄSTLE/DPA ?? Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n und Justizmini­sterin Marion Gentges (links) sprechen beim Besuch der Landeserst­aufnahmest­elle in Sigmaringe­n mit einer Familie, die aus der ukrainisch­en Hauptstadt Kiew geflohen ist. In ersten Gesprächen zwischen dem Land und der Stadt geht es um die Zukunft der LEA.
ARCHIVFOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n und Justizmini­sterin Marion Gentges (links) sprechen beim Besuch der Landeserst­aufnahmest­elle in Sigmaringe­n mit einer Familie, die aus der ukrainisch­en Hauptstadt Kiew geflohen ist. In ersten Gesprächen zwischen dem Land und der Stadt geht es um die Zukunft der LEA.

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