Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Stadt und Land verhandeln über LEA-Zukunft
Der Gemeinderat verabschiedet ein Arbeitspapier und übergibt die Forderungen dem Land
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SIGMARINGEN - Wie geht es mit der Landeserstaufnahmestelle (LEA) in Sigmaringen weiter? Bürgermeister Marcus Ehm und Landrätin Stefanie Bürkle haben mit Justizministerin Marion Gentges (CDU) das weitere Vorgehen besprochen. Ein Ergebnis: Wegen des Krieges in der Ukraine ist im Laufe des Jahres nicht mit einer Entscheidung über die Zukunft der Einrichtung zu rechnen. „Hinter dieser Vorgehensweise steht auch unser Gemeinderat“, sagt Bürgermeister Ehm in einem Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Er übergab der für die Flüchtlingsunterbringung im Land zuständigen Ministerin ein Arbeitspapier, das der Gemeinderat mit großer Mehrheit beschlossen hat. Darin sind die Forderungen der Stadt aufgelistet.
In nichtöffentlicher Sitzung beschloss der Gemeinderat das Arbeitspapier nach Angaben des Bürgermeisters mit 28 Ja- und zwei Nein-Stimmen. Ehm spricht von einem breiten Konsens über die vier Ratsfraktionen hinweg. Zwei Vertreter des Gremiums aus unterschiedlichen Fraktionen hätten mit Nein gestimmt, sagt der Bürgermeister, ohne Namen zu nennen.
„Unser Ziel ist, dass uns die Belastung langfristig wieder abgenommen wird“, sagt Ehm. In dem Arbeitspapier ist von einem „Schließungskorridor zwischen zwei und vier Jahren“die Rede. Das heißt: Sollte das Land auf die Forderung der Stadt eingehen, könnte die Stadt Ende 2026 das Gelände nutzen, um Gewerbe in Sigmaringen anzusiedeln.
Laut dem Bürgermeister ist das jetzige LEA-Gelände für eine Wohnbebauung ungeeignet. Aus diesem Grund hält Ehm Gewerbeflächen für die richtige Lösung. Zumal der bislang als Gewerbegebiet angedachte Teil des Kasernenareals wegen des Natur- und Artenschutzes weniger stark genutzt werden kann als ursprünglich geplant.
Die weiteren Forderungen der Stadt: So lange die LEA weiterbesteht, wünscht sich die Stadt eine „dauerhafte Präsenz von mehr Polizei“. Über die Aufwertung der Polizeiwache auf dem Kasernenareal zu einem Polizeiposten, der mit einem festen Personalschlüssel hinterlegt werde, soll dies erreicht werden, so die Vorstellung Ehms. „Aktuell muss die Polizei Personal abziehen, um es in der LEA einzusetzen, aber wir brauchen dauerhaft zusätzliches Personal“, sagt das Stadtoberhaupt.
Ein Streetworker, der sich aktuell
„Unser Ziel ist, dass uns die Belastung langfristig wieder abgenommen wird.“Sigmaringens Bürgermeister Marcus Ehm
um das Zusammenleben von Flüchtlingen und Bürgern kümmert, sei außerdem zu wenig. Deshalb fordert die Stadt eine Verdopplung und verlangt zudem vom Land, dass es sich an den Personalkosten beteiligt, die im Rathaus für die Arbeiten in Zusammenhang mit der LEA anfallen.
Laut dem derzeit gültigen Vertrag ist die Kapazität der LEA auf 875 Bewohner begrenzt. Wegen des Ukraine-Krieges kann das Regierungspräsidium aber bis zu 1675 Flüchtlinge in Sigmaringen unterbringen.
Stand Montag leben in der LEA 1075 Bewohner, ein Drittel von ihnen sind Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Die LEA-Bewohner zählen zu den Einwohnern hinzu und werden bei den Finanzzuweisungen berücksichtigt. Da die Stadt vom Land pro Einwohner
Schlüsselzuweisungen in Höhe von knapp 900 Euro erhält, macht sich dies in der Stadtkasse bemerkbar. Nach der jetzigen Regelung entscheidet sich zum 30. Juni wie viel Geld die Stadt von der Landesregierung erhält.
Die Stadt empfindet dies als ungerecht. Statt zu einem Stichtag soll die Zahl der LEA-Flüchtlinge über ein Jahresmittel den Einwohnerzahlen zugeschlagen werden, so die Forderung der Stadt.
Wie steht das Land zu den Forderungen der Stadt? Zu Einzelheiten möchte sich das Justizministerium derzeit nicht äußern, schreibt die Pressestelle auf unsere Anfrage. „Das Land prüft derzeit die in dem Arbeitspapier formulierten Anliegen und Prämissen der Stadt und wird diese in den weiteren Verhandlungen mit der Stadt berücksichtigen und erörtern.“
Das Land hatte die Vertreter aus Stadt und Kreis zum Gespräch eingeladen. „Wir empfinden dies als aufrichtig und ehrlich. Schließlich sind wir die vor Ort, die die Belastungen tragen“, sagt der Bürgermeister. „Für die Unterstützung und den Zusammenhalt bei dieser großen gesellschaftlichen Herausforderung sind wir sehr dankbar“, schreibt das Ministerium über das Entgegenkommen der Stadt Sigmaringen.
Wie geht es nun weiter? „Auch vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen ist der Standort in Sigmaringen jedenfalls derzeit nicht verzichtbar“, schreibt das Justizministerium auf Anfrage unserer Zeitung. Die zeitliche Perspektive einer weiteren Nutzung solle in den laufenden Gesprächen mit der Stadt und dem Landkreis erörtert werden.
Das Land habe sehr intensiv und
„Auch vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen ist der Standort in Sigmaringen jedenfalls derzeit nicht verzichtbar.“Das Justizministerium auf Anfrage unserer Zeitung
ernsthaft nach einem Alternativstandort für die LEA Sigmaringen gesucht. So hat das Regierungspräsidium Tübingen im Jahr 2021 unter Beteiligung der Regionalverbände, der Stadt- und Landkreise und der Liegenschaftsverwaltung des Landes nach einem Alternativstandort im Regierungsbezirk gesucht.
Darüber hinaus sei eine Projektgruppe des Ministeriums der Justiz und für Migration eingesetzt und ebenfalls mit der Suche nach Liegenschaften betraut gewesen.
Mit dem Ergebnis: Die LEA in Sigmaringen bleibt. Ob die Stadt eine zeitliche Befristung erreichen kann, hängt nun von den Verhandlungen ab.