Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Im Archiv schlummern Bad Saulgauer Schätze
Kreisarchivar Edwin Ernst Weber stellt alte Dokumente vor – Urkunden reichen zurück bis ins 14. Jahrhundert
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BAD SAULGAU - Der Kulturschwerpunkt 2022 des Kreiskulturforums lautet in diesem Jahr „Archive und Bibliotheken im Landkreis Sigmaringen“. Kreisarchivar Dr. Edwin Erst Weber hat daher das Bad Saulgauer Stadtarchiv unter die Lupe genommen und erstaunliche Schätze vorgestellt. Unterstützt wurde er durch den ehemaligen Stadtarchivar Hermann Brendle und Mary Gelder, die Leiterin des Archivs.
Ein Zitat des früheren Landrats Karl Anton Maier bringt es auf den Punkt: „Das Archiv beherbergt die Vergangenheit des Gemeinwesens und sorgt dafür, dass den Bürgern die gemeinsame Erinnerung nicht verloren geht.“In seinem schlüssigen Referat, unterstützt durch entsprechende Schriftstücke, Bilder und Karten, vermittelte Kreisarchivar Weber den zahlreichen Zuhörerinnen und Zuhörern die Bedeutung des Bad Saulgauer Archivs. Dabei entrollte er Eckdaten und die zugehörigen Ereignisse der Bad Saulgauer Stadtgeschichte, sodass ein Schnellgang durch die Jahrhunderte entstand. Wichtig zu wissen ist, dass Dokumente, die Bad Saulgau betreffen, je nach ihrer Bedeutung und der historischen Situation der Stadt, in den verschiedensten Archiven untergebracht sind. So finden sich viele Schriftstücke aus der Zeit, als Saulgau zur Provinz Vorderösterreich mit Freiburg als Hauptstadt gehörte, im Tiroler Landesarchiv in Innsbruck. Das Bad Saulgauer Stadtarchiv verfügt trotz Verlusten durch Brände, Kriege oder unsachgemäßer Aufbewahrung über Dokumente, zumeist Urkunden, die bis ins 14. und 15. Jahrhundert zurückreichen. Der gesamte Urkundenbestand des Archivs umfasst 290 Originale, datiert zwischen dem 14. und 19. Jahrhundert. Höchst interessant sind die Ratsprotokolle in den Amtsbüchern.
Ein Band mit Niederschriften vom 19.1.1610 bis 27.9.1639 beschreibt unter anderem die Anstellung eines
Lehrers in der Lateinschule, der mit 15 Gulden zuzüglich einem Quantum Dinkel und etlichen Klaftern Brennholz entlohnt wurde. Dazu kamen noch drei Batzen von jedem seiner Schüler. In den Aufzeichnungen des Jahres 1611 findet sich der Hinweis auf einen verheerenden Pestausbruch, dem 560 Erwachsene und 669 Kinder zum Opfer fielen. Als Sündenböcke bei solchen Katastrophen, die sich im Schnitt alle 30 Jahre wiederholten, identifizierte man meist Frauen, häufig Hebammen. Den sogenannten Hexen wurde der Prozess gemacht, der überwiegend mit einem Todesurteil endete. Protokolle aus den Jahren 1666 bis 1771 belegen, dass 16 Frauen der Hexerei bezichtigt, zehn von ihnen hingerichtet wurden. Übrigens sei es „Quatsch“, Bad Saulgau als „Hexenstädtle“zu bezeichnen, so Dr. Weber, denn den Hexenwahn habe es überall gegeben.
Hermann Brendle, der beruflich aus dem Bauwesen kommt, war als Spezialist bei den Baurechtsakten gefragt, die Bad Saulgaus Baugeschichte umfangreich dokumentieren. Er zeigte kolorierte Zeichnungen und Pläne, die unter anderem bewiesen, dass für die Erstellung der damaligen Brauerei Storchen an der Ecke Kaiser- Schützenstraße drei verschiedene Entwürfe nötig waren, bis gebaut wurde. Auch über Landkarten wusste Brendle Bescheid. So zeigte er, dass in einen großflächigen Saulgauer Stadtplan bereits vor 70 Jahren eine Umgehungsstraße eingezeichnet wurde, die dem Verlauf der heutigen verblüffend entsprach.
Auch das Findbuch im Stadtarchiv, das Ereignisse von 1930 bis 1970 erfasst, enthält höchst interessante Einträge. Da wird vom ursprünglich kirchlich geprägten Erntedankfest berichtet, dessen Festzug 1935 zu einem beachtlichen Teil mit nationalsozialistischen Gruppen besetzt und damit zum Politikum umfunktioniert wurde. Listen mit Sterbefällen von Ausländern, darunter Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen, wurden geführt, Maßnahmen gegen Asoziale dokumentiert und 1958 die Entschädigungsansprüche des jüdischen Ehepaars Weil festgehalten, das nach der Enteignung noch rechtzeitig fliehen konnte.
Heute ist Mary Gelder viel mit der Sichtung und Einordnung von Sammelgut in Gestalt von Fotobeständen, Nachlässen oder Vereinsunterlagen beschäftigt. Hier finden sich auch Aufzeichnungen über die erste Lokalzeitung, das Intelligenzblatt für den Oberamtsbezirk Saulgau, das ab 1833 zweimal wöchentlich erschien und von Joseph Gerhard Edel verlegt wurde.