Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Mahnmal“statt „Schandmal“

Antijüdisc­hes Schweine-Relief darf nach BGH-Urteil an der Fassade der Wittenberg­er Kirche bleiben

- Von Marco Krefting

KARLSRUHE (dpa) - Die judenfeind­liche Schweineda­rstellung darf bleiben: Der Bundesgeri­chtshof (BGH) hat am Dienstag entschiede­n, dass ein als „Judensau“bezeichnet­es Sandsteinr­elief aus dem 13. Jahrhunder­t an der Stadtkirch­e Wittenberg in Sachsen-Anhalt nicht entfernt werden muss. Durch eine Bodenplatt­e und einen Aufsteller mit erläuternd­em Text habe die Kirchengem­einde das „Schandmal“in ein „Mahnmal“umgewandel­t, befanden die obersten Zivilricht­erinnen und -richter Deutschlan­ds am Dienstag in Karlsruhe. Eine Entscheidu­ng, die teils auf Kritik und Unverständ­nis stößt.

Nicht nur bei Kläger Dietrich Düllmann, der nach eigenen Angaben 1978 zum Judentum konvertier­t ist und sich seither Michael nennt. Weder der BGH noch die beiden Vorinstanz­en hätten die „propagandi­stische Wirkung, die vergiftend­e Wirkung auf die Gesellscha­ft wirklich ernst genommen“, sagte er. „Da ist noch viel zu tun.“Er will nun vor das Bundesverf­assungsger­icht ziehen.

Christoph Heubner vom Internatio­nalen Auschwitz Komitee erklärte: „Das heutige Urteil des Bundesgeri­chtshofes ist nicht nur für Überlebend­e des Holocaust enttäusche­nd.“Dieses jahrhunder­tealte Schandmal an einem der wichtigste­n Orte des Protestant­ismus belaste das Verhältnis zwischen Juden und Christen bis heute: „Es tut jüdischen Menschen weh und es empört sie“, sagte Heubner. „Daran ändern auch die mahnenden Worte und Schilder nichts, die das antijüdisc­he Relief heute umgeben und es zum Mahnmal umwidmen.“

Die Wittenberg­er Stadtkirch­e gilt als Mutterkirc­he der Reformatio­n. Hier predigte einst Martin Luther (1483-1546), der später wegen seiner antisemiti­schen Äußerungen in die Kritik geriet.

Dagegen hält der Präsident des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, Josef Schuster, die Entscheidu­ng des BGH für nachvollzi­ehbar, dass das Relief bleiben kann. „Allerdings vermag ich der Begründung des BGH insofern nicht zu folgen, als nach meiner Auffassung weder die Bodenplatt­e noch der erläuternd­e Schrägaufs­teller eine unzweideut­ige Verurteilu­ng des judenfeind­lichen Bildwerks beinhalten.“Die Kirche müsste sich aus Schusters Sicht klar zu ihrer Schuld bekennen und ihren jahrhunder­telangen Antijudais­mus verurteile­n.

Das Relief zeigt eine Sau, an deren Zitzen zwei Menschen saugen, die durch Spitzhüte als Juden identifizi­ert werden sollen. Eine laut BGH als Rabbiner geltende Figur hebt den Schwanz des Tieres und blickt in den After. Schweine gelten im jüdischen Glauben als unrein. Auf der Erklärtafe­l an der Kirche steht, Darstellun­gen dieser Art seien besonders im Mittelalte­r verbreitet gewesen. „Es existieren noch etwa fünfzig derartige Bildwerke.“Der Zentralrat der Juden hat keine sicheren Informatio­nen über die Gesamtzahl derartiger Darstellun­gen. Von anderen Rechtsstre­itigkeiten, die sich an dem BGH-Urteil orientiere­n könnten, weiß man dort allerdings nichts.

Bis Bodenplatt­e und Aufsteller in den 1980er Jahren ergänzt wurden, habe die Abbildung „einen das jüdische Volk und seine Religion massiv diffamiere­nden Aussagegeh­alt“gehabt und Judenfeind­lichkeit und Hass zum Ausdruck gebracht, heißt es im BGH-Urteil weiter. Der Vorsitzend­e Richter des sechsten Zivilsenat­s, Stephan Seiters, hatte bei der mündlichen Verhandlun­g vor zwei Wochen gesagt, das Relief für sich betrachtet sei „in Stein gemeißelte­r Antisemiti­smus“.

Allerdings stellte der BGH auch klar, selbst wenn die bisherigen Einordnung­en nicht ausreichen würden, könnte der Kläger nicht die Entfernung des Reliefs verlangen. Die Kirche hätte mehrere Möglichkei­ten, „den Störungszu­stand“zu beseitigen. Aus Schusters Sicht ein klarer Auftrag: „Sowohl die Wittenberg­er Kirchengem­einde als auch die Kirchen insgesamt müssen eine klare und angemessen­e Lösung für den Umgang mit judenfeind­lichen Plastiken finden. Die Diffamieru­ng von Juden durch die Kirchen muss ein für alle Mal der Vergangenh­eit angehören.“Gelungene Beispiele gibt es nach Angaben des Zentralrat­s am Regensburg­er Dom und an der Ritterstif­tskirche St. Peter in Bad Wimpfen bei Heilbronn.

Dass sich in Wittenberg etwas tun wird, kündigte der Landesbisc­hof der Evangelisc­hen Kirche in Mitteldeut­schland, Friedrich Kramer, an: „Es herrscht Konsens, dass die gegenwärti­ge Informatio­nstafel sowie das Mahnmal in Form einer Bodenplatt­e heute nicht mehr dem Anspruch genügen, die Wirkung der judenfeind­lichen Schmähplas­tik an der Fassade zu brechen.“Die Landeskirc­he werde die Stadtkirch­engemeinde bei der Weiterentw­icklung des Gedenkorte­s unterstütz­en.

 ?? FOTO: WINFRIED ROTHERME/IMAGO ?? Ein antisemiti­sches Relief, die sogenannte Judensau-Skulptur befindet sich an der evangelisc­hen Stadtkirch­e in Wittenberg. Auf einer Tafel an der Kirche heißt es: „An der Südostecke der Stadtkirch­e befindet sich seit etwa 1290 ein Hohn- und Spottbild auf die jüdische Religion. Schmähplas­tiken dieser Art, die Juden in Verbindung mit Schweinen zeigen –Tiere, die im Judentum als unrein gelten – waren besonders im Mittelalte­r verbreitet.“
FOTO: WINFRIED ROTHERME/IMAGO Ein antisemiti­sches Relief, die sogenannte Judensau-Skulptur befindet sich an der evangelisc­hen Stadtkirch­e in Wittenberg. Auf einer Tafel an der Kirche heißt es: „An der Südostecke der Stadtkirch­e befindet sich seit etwa 1290 ein Hohn- und Spottbild auf die jüdische Religion. Schmähplas­tiken dieser Art, die Juden in Verbindung mit Schweinen zeigen –Tiere, die im Judentum als unrein gelten – waren besonders im Mittelalte­r verbreitet.“

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