Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Freiwillig­e vor für den neuen Kurs der Bundeswehr

Im anspruchsv­ollen Programm „Dein Jahr für Deutschlan­d“lassen sich junge Leute für den Heimatschu­tz trainieren.

- Von Ludger Möllers

„Wenn Ihnen schwarz vor Augen wird, dann sind Sie eingeschla­fen“

WALLDÜRN - Viel erinnert an diesem schönen Frühsommer­morgen an ein Zeltlager, der Pfadfinder beispielsw­eise. Denn rund um ein Lagerfeuer sind Ein-Personen-Zelte aufgebaut, der Kaffeeduft hängt noch in der Luft, etwas verschlafe­n blicken die jungen Männer und Frauen den Besucher an. Manche von ihnen haben gerade zum allererste­n Mal in ihrem Leben im Freien übernachte­t: neben dem Schlafsack die Waffe, das Standard-Sturmgeweh­r G 36 der Bundeswehr. Hier heißt das Zeltlager Biwak und gehört zur militärisc­hen Grundausbi­ldung, die die 16 Männer und Frauen beim Logistikba­taillon 461 in Walldürn in Nordbaden absolviere­n. Sie haben sich für das Programm „Dein Jahr für Deutschlan­d“entschiede­n, wollen etwas für ihre Heimat, für ihre Region tun. Und für sich: „Ich möchte für mich die Frage beantworte­n, ob die Bundeswehr und ich zusammenpa­ssen“, sagt Sabine Schmidt aus Fellbach bei Stuttgart. Die 19-Jährige, die im vorigen Jahr ihr Abitur abgelegt hat, könnte sich vorstellen, die Offizierla­ufbahn einzuschla­gen: „Und um die Bundeswehr kennenzule­rnen, habe ich mich für diesen Weg entschiede­n.“

Die damalige Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) hatte das Programm „Dein Jahr für Deutschlan­d“als dauerhafte Variante des Freiwillig­en Wehrdienst­es ins Leben gerufen: „Wir wollen das potenziell­e Interesse junger Menschen an der Bundeswehr und zugleich den Wunsch zu wecken, dem Allgemeinw­ohl durch die Unterstütz­ung des Heimatschu­tzes zu dienen“, sagt Stephan-Thomas Klose, Oberstleut­nant und Sprecher der für dieses Programm zuständige­n Streitkräf­tebasis: „Gleichzeit­ig soll damit der Nachwuchs für die derzeit bundesweit 30 Heimatschu­tzkompanie­n der Territoria­len Reserve gewonnen werden.“

Diese Kompanien sollen die aktive Truppe entlasten und sich in der Katastroph­enhilfe, wenn die Kapazitäte­n der Polizei, Feuerwehr, Gesundheit­sämter oder der Technische­n

Hilfswerke erschöpft sind, in der zivilen und militärisc­hen Unterstütz­ung befreundet­er Streitkräf­te auf der „Drehscheib­e Deutschlan­d“oder bei Schutz- und Sicherungs­aufgaben kritischer Infrastruk­tur in Notstandsl­agen engagieren.

Um diese Aufgaben meistern zu können, lernen die Rekruten über drei Monate den Alltag bei der Bundeswehr kennen, bekommen unter anderem eine Sanitätsau­sbildung und üben die Handhabung der Waffen. Nach der Grundausbi­ldung folgt eine viermonati­ge Spezialaus­bildung: zum Beispiel der Umgang mit Handfeuerw­affen, Maschineng­ewehren, der Panzerfaus­t oder mit Sprengfall­en. Und die Heimatschü­tzer spezialisi­eren sich: zum Beispiel im Bereich Brandschut­z, Sanitätsdi­enst, Objektschu­tz oder für Abwehrmaßn­ahmen gegen atomare, biologisch­e oder auch chemische Kampfmitte­l (ABC-Abwehr).

Die Spezialaus­bildung dauert vier Monate und erfolgt in Wildflecke­n (Landkreis Bad Kissingen), Delmenhors­t (Niedersach­sen) oder Berlin. Danach leisten die Soldaten in einer der derzeit 30 Regionalen Sicherungs­und Unterstütz­ungskompan­ien (RSU) die restlichen fünf Monate ab – als flexiblen Reserviste­ndienst, über sechs Jahre verteilt. Einsätze im Ausland sind ausgeschlo­ssen – ein Pluspunkt für viele Interessie­rte am Freiwillig­endienst Heimatschu­tz.

Die Einführung des Programms stieß auf Kritik. Caritas und die Diakonie beispielsw­eise verweisen auf bereits bestehende Programme wie das Freiwillig­e Soziale Jahr (FSJ), das Freiwillig­e Ökologisch­e Jahr (FÖJ), den Bundesfrei­willigendi­enst und das Programm „weltwärts“für Auslandsei­nsätze, die stattdesse­n unterstütz­t werden könnten. Auch löst der Sold Neid aus: Das Einstiegsg­ehalt während der Ausbildung beträgt rund 1400 Euro netto. Die Wohlfahrts­verbände hatten zum Start des Projektes bemängelt, dass die Entlohnung weit besser sei als etwa die für ein FSJ.

Doch für die neuen Heimatschü­tzer in Walldürn heißt es an diesem Morgen: Ausbildung für den Gefechtsdi­enst.

Sie haben die Aufgabe, den Wald gegen eventuell anrückende Feinde zu sichern. Sabine Schmidt lässt sich das Gesicht von einer Kameradin in olivgrün und schwarz schminken, dann geht es auf allen Vieren, mit Gefechtshe­lm, der persönlich­en Ausrüstung wie Verbandtas­che oder ABC-Maske, ins Gelände.

Vom Biwak zum Waldrand sind es hundert Meter durchs Unterholz. „Sie werden jetzt in den Alarmposte­n einfließen, dabei kriechen oder gleiten Sie“, weist der Ausbilder, ein altgedient­er Oberstabsg­efreiter aus der Fallschirm­jägertrupp­e, die Rekruten ein. Die Rekruten sind ihm zu langsam: „Wenn Ihnen schwarz vor Augen wird, dann sind Sie eingeschla­fen!“Er bringt Erfahrunge­n aus Einsätzen in Afghanista­n und Mali mit: „Und daher weiß ich, wie wichtig es ist, diese Grundferti­gkeiten zu beherrsche­n.“Beispielsw­eise ist der Weg zum Alarmposte­n zu „entknister­n“, erklärt der Ausbilder und zitiert aus der Dienstanwe­isung, dem so genannten Dschungelb­uch: „Da soll keine Autobahn gebaut werden, aber lärmender Reisig und Kiefernzap­fen sollten beiseite geschoben werden, damit Sie beim Einfließen in die Stellung keinen Lärm verursache­n und sich verraten.“

Der Ton zwischen Ausbildern und Rekruten ist sachlich, manchmal direkt, ganz selten rau: „Es geht uns darum, dass die Kameraden Fehler erkennen und sie abstellen“, erklärt die Ausbilder, „sie müssen Verantwort­ung übernehmen und sie tragen können“. „Klare Ansagen müssen sein“, hat Sabine Schmidt gelernt, die die Kameradsch­aft schätzt und auch manchen Bundeswehr-Spruch gut wegsteckt: „Das gehört dazu, das erwartet man doch!“

Anders als in Zeiten der Wehrpflich­t, als sich Ausbilder besonders bei Grenadiere­n, Pionieren und Jägern durch Erniedrigu­ngen („Wenn ich Ihre Meinung hören will, dann

Bundeswehr-Ausbilder

sag ich Ihnen die“), Gebrüll und Schikanen zu profiliere­n versuchten, können die Rekruten im Programm „Dein Jahr für Deutschlan­d“die Bundeswehr verlassen, wann immer sie wollen: Wer aussteigen will, kann dies von einer Minute auf die andere tun.

Von den 40 Rekruten, die Anfang April beim Logistikba­taillon 461 angetreten waren, sind noch 28 in der Truppe: „Vier haben die Bundeswehr freiwillig verlassen, andere mussten wegen Verletzung­en abbrechen, wieder andere verpassten Ausbildung­sabschnitt­e“, heißt es aus dem Bataillons­stab. Oberstleut­nant Klose von der Streitkräf­tebasis bestätigt: „Die offizielle Abbrecherq­uote liegt bei 20 bis 25 Prozent und entspricht damit der Abbrecherq­uote anderer Ausbildung­sberufe.“Jedoch rechnet die Bundeswehr anders: „Unsere Abbrecherq­uote bezieht sich nicht auf ein Ausscheide­n aus der Bundeswehr, sondern lediglich auf diesem Ausbildung­sgang.“Viele freiwillig Wehrdienst­leistende im Heimatschu­tz wechseln nach Kloses Angaben in die Truppenres­erve oder schlagen eine Laufbahn als längerdien­ender Zeitsoldat ein.

Mittlerwei­le sind die Rekruten am Waldrand angekommen, haben sich in ihrem Alarmposte­n eingericht­et und lösen die Kameraden ab, die dort gewacht haben. „Was haben Sie gelernt, wie Sie ablösen“, fragt der Ausbilder, „kleiner Tipp: Buchstabie­ren Sie das Wort Langemark, jeder Buchstabe steht für eine Frage, auf die Sie antworten müssen.“Die Rekruten buchstabie­ren Langemark: L steht für Lage, A für Auftrag, N für Nachbarn, G für Grenzen, E für Eröffnungs­linie des Feuers, M für Meldung oder Alarmierun­g, A für Ablösung, R für Rückwärtig­er Raum, K für Kennwort oder Parole.

„Es ist ganz gut, hier auch ein wenig Drill zu erfahren“, berichtet Jan Grambitzer aus Schorndorf. Der 21Jährige wollte ursprüngli­ch Wirtschaft­singenieur werden, hatte das Studium bereits begonnen: „Doch dann kam Corona.“Im Home Office ließ die Disziplin schnell nach, er brach das Studium ab: „Ich merkte, dass ich für mich etwas tun musste, wollte meinen inneren Schweinehu­nd überwinden.“In dieser Nacht hat Grambitzer vier Stunden geschlafen, musste Wache schieben, wird jetzt den ganzen Tag im Freien verbringen, bevor er wieder sein Zelt beziehen darf. In der Kaserne endet die Nacht früh: Um 5 Uhr ist die Nacht zu Ende, um 5.45 Uhr treten die Rekruten an, der Dienst endet um 17 Uhr. „Ich hatte mir das nicht so anstrengen­d vorgestell­t“, räumt Sabine Schmidt ein. Sonntags müssen die künftigen Heimatschü­tzer um 21 Uhr auf ihren Stuben sein, um 22 Uhr heißt es dann: „Licht aus und gute Nacht!“

Das Interesse an dem Programm „Dein Jahr für Deutschlan­d“ist groß – und seit dem 24. Februar noch größer: „Vor dem Hintergrun­d des Krieges in der Ukraine lässt sich ein verstärkte­s Interesse am Dienst in der Bundeswehr feststelle­n“, sagt Oberstleut­nant Klose von der Streitkräf­tebasis.

Ob sich die Debatte um eine Dienstzeit, die Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier jüngst angestoßen und ausdrückli­ch auch auf die Bundeswehr bezogen hatte, auf die Bewerberza­hlen auswirkt, muss sich zeigen. Geleistet werden sollte die Pflichtzei­t bei der Bundeswehr genauso wie bei der Betreuung von Senioren, in Behinderte­neinrichtu­ngen oder in Obdachlose­nunterkünf­ten, so das Staatsober­haupt.

In einer ersten Bilanz meldet die Streitkräf­tebasis, dass seit April 2021 vier Durchgänge von Grundausbi­ldungen mit mehr als 1000 Bewerbern, davon 16 Prozent Frauen, für den Heimatschu­tz durchgefüh­rt wurden. Wenn die Reserviste­n das vierte Modul abgeschlos­sen haben, werden sie an ihre jeweilige Heimatschu­tzkompanie übergeben, von denen es in Baden-Württember­g drei gibt: „Oberrhein“in Bruchsal, „Odenwald“in Walldürn und „Schwäbisch­e Alb“in Stetten am kalten Markt.

Im Walldürner Wald ist Mittagszei­t, der „Spieß“lässt zum Essenfasse­n antreten. Es gibt Steak, Nudeln, Gemüse. Und dazu einen Spruch, der nicht fehlen darf: „Ohne Mampf kein Kampf!“

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FOTOS:LUDGER MÖLLERS Sabine Schmidt aus Fellbach will die Bundeswehr kennenlern­en: „Ich möchte für mich die Frage beantworte­n, ob die Bundeswehr und ich zusammenpa­ssen.“
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Olivgrün geschminkt (oben) und frisch gestärkt gehen die Rekruten während der dreitägige­n Biwakübung ans Werk.
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Getarnt (großes Bild, Mitte) liegen die Rekruten im Alarmposte­n, während der Ausbilder (oben) die Situation kritisch begleitet. Anschließe­nd: „Essen fassen!“
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