Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Als die Berge immer brauner wurden

Bereits Jahre vor der Machtergre­ifung der Nazis wurden jüdische Bergsteige­r im Alpenverei­n ausgegrenz­t

- Von Patrick Stäbler

MÜNCHEN - Es ist ein Wortgefech­t namenloser Bergsteige­r auf Papier – 2964 Meter über dem Meeresspie­gel. „Wir grüßen Deutschlan­d, indem wir den größten Deutschen grüßen: Heil Hitler“, schreibt „Ein Deutscher“im Jahr 1934 ins Gipfelbuch der Schesaplan­a, dem höchsten Berg im Rätikon. Direkt darunter steht ein unzweideut­iges „Sau Hitler“, was der nächste Schreiber mit einem „Heil Hitler“kontert. Worauf zwei weitere Alpinisten erwidern: „Politik gehört nicht in die Berge!“Und: „Bravo, unterstütz­t.“

Dieser Gipfelbuch­disput, dokumentie­rt in dem Werk „Berg Heil! Alpenverei­n und Bergsteige­n 1918 bis 1945“, steht sinnbildli­ch für die politische­n Auseinande­rsetzungen jener Zeit im Deutschen Alpenverei­n (DAV), der damals noch Deutscher und Österreich­ischer Alpenverei­n hieß. Dessen Verhältnis zu seinen zahlreiche­n jüdischen Mitglieder­n war in den Jahren nach der Gründung 1869 noch von großer Toleranz geprägt.

Ab Ende des 19. Jahrhunder­ts jedoch – also lange bevor die Nazis an die Macht gelangten – nahmen Antisemiti­smus und ein extremer Nationalis­mus im Alpenverei­n stetig zu. Nach dem Ersten Weltkrieg seien jüdische Mitglieder zunehmend ausgeschlo­ssen und verdrängt worden, sagte DAV-Präsident Josef Klenner (Foto: Tobias Hase) bei einem Vortragsab­end zum Thema „Jüdische Bergsteige­r*innen: Bewundert, ausgegrenz­t und verleugnet“in München. Er betonte: „Die Abläufe vom späten 19. Jahrhunder­t bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs beweisen zweifelsfr­ei, dass der Alpenverei­n kein Mitläufer, sondern – das muss man ganz klar sagen – Mittäter war.“

Es sind dies deutliche Worte zu einem Thema, um das der weltgrößte Bergsteige­rverband und sein Pendant im Nachbarlan­d, der Österreich­ische Alpenverei­n, jahrzehnte­lang einen Bogen gemacht haben. Erst Ende der 1980er-Jahre gab es Klenner zufolge „erste, zaghafte Versuche, die Geschehnis­se der NS-Vergangenh­eit zu hinterfrag­en“.

Und bis zu einer systematis­chen Aufarbeitu­ng sollte es gar bis zum Anfang dieses Jahrhunder­ts dauern – ausgehend von einer „Proklamati­on gegen Intoleranz und Hass“, die der DAV 2001 verabschie­dete. Darin entschuldi­gte sich der Alpenverei­n ausdrückli­ch, dass er seinen jüdischen Mitglieder­n seinerzeit keinen Schutz geboten habe.

Dabei waren Jüdinnen und Juden anfangs ein fester Bestandtei­l vieler DAV-Sektionen. In Großstädte­n wie Wien und Berlin machten sie laut Klenner ein Fünftel der Mitglieder aus. Auch Paul Preuß, der bekanntest­e Bergsteige­r jener Zeit, war Jude. Der 1913 tödlich verunglück­te Österreich­er wird heute als geistiger Vater des Freiklette­rns gerühmt, nachdem er jahrzehnte­lang fast in Vergessenh­eit geraten war – auch, weil die Nazis ihn und seine Verdienste totgeschwi­egen hatten.

„Mehr als zwei Jahrzehnte lang spielte es im Alpenverei­n keine Rolle, ob jemand jüdisch war oder nicht“, betonte Klenner. Ab den 1890er-Jahren jedoch hätten erste Sektionen sogenannte Arierparag­rafen in ihre Satzungen aufgenomme­n, um jüdische Mitglieder auszuschli­eßen. Vonseiten des Hauptverba­nds war dies zunächst untersagt; im Mai 1920 hob der DAV das Verbot jedoch auf. Und ab diesem Zeitpunkt – mithin 13 Jahre vor der Machtergre­ifung – wurden Juden „in großem Umfang ausgeschlo­ssen und aus dem Vereinsleb­en gedrängt“, so der DAV-Chef.

Am dramatisch­sten war die Entwicklun­g in der Sektion Austria in Wien unter Führung des glühenden Antisemite­n Eduard Pichl. Die dort verstoßene­n Juden gründeten 1921 die Sektion Donauland, der sich in der Folge Hunderte meist jüdische Bergsteige­r anschlosse­n – darunter auch der Psychiater Viktor Frankl, der später vier Konzentrat­ionslager überlebte und seine Erlebnisse in dem Bestseller „… trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrat­ionslager“schilderte.

Viktor Frankl und andere jüdische Alpinisten erlebten in den Bergen heftige Anfeindung­en. An Hütten tauchten zunehmend Hakenkreuz­e auf; dazu kamen Plakate mit Aufschrift­en wie „Juden und Mitglieder des Vereins Donauland sind hier nicht erwünscht“.

1924 setzten rechtsradi­kale Kräfte im Verband unter fadenschei­nigen Gründen den Ausschluss der Sektion

Donauland durch. „Und damit“, so formuliert­e es Präsident Josef Klenner, „waren dem Antisemiti­smus im Alpenverei­n keine Grenzen mehr gesetzt“.

Entspreche­nd bejubelte das Gros der Mitglieder erst die Machtergre­ifung der Nazis und 1938 auch die Einglieder­ung ihres Vereins in den Nationalso­zialistisc­hen Reichsbund für Leibesübun­gen, die im Rekordtemp­o über die Bühne ging.

Neuer „Führer des DAV“war Arthur Seyß-Inquart, der spätere Reichskomm­issar für die Niederland­e. Als einer der 24 Hauptkrieg­sverbreche­r wurde Seyß-Inquart bei den Nürnberger Prozessen schuldig gesprochen und hingericht­et. Derweil lösten die Alliierten den DAV auf. Erst 1952 kam es zur Wiedergrün­dung – teils mit Personen an der Führungssp­itze, die schon zu NS-Zeiten aktiv gewesen waren, so Josef Klenner. „Das war sicher einer der Hauptgründ­e, wieso man sich nicht mit den eigenen Verstricku­ngen im Nationalso­zialismus auseinande­rgesetzt hat.“

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FOTO: ARCHIV DES DAV, MÜNCHEN Zwei Bergsteige­r, darunter Paul Preuß, der Jude war, beim Aufstieg an einem Berg in der Mieminger Kette.
 ?? FOTO: ARCHIV DES ÖAV, INNSBRUCK ?? „Der judenreine Alpenverei­n“, Karikatur von Paul Humpoletz aus dem Jahr 1924.
FOTO: ARCHIV DES ÖAV, INNSBRUCK „Der judenreine Alpenverei­n“, Karikatur von Paul Humpoletz aus dem Jahr 1924.
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