Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Es fehlt das Augenmaß
In der auf Ausgleich zwischen den Tarifparteien basierenden sozialen Marktwirtschaft tragen Gewerkschaften nicht nur für ihre Mitglieder Verantwortung, sondern sie tragen mit ihrem Wirken auch zum gesellschaftlichen Frieden bei, indem sie die Arbeitnehmer an den Erfolgen der Kapitalseite beteiligen. Ihre Aufgabe ist es zudem, mit ihrer Arbeit die Stabilisierung der Wirtschaft sicherzustellen. Das gilt nicht zuletzt für Deutschlands größte Einzelgewerkschaft, die IG Metall.
Die IG Metall will nun mit einer Forderung von sieben bis acht Prozent mehr Lohn in die nächste Tarifrunde gehen. Auch vor dem Hintergrund der massiv steigenden Preise ist diese Forderung zu hoch – und die Arbeitnehmervertreter sollten sie in den Gesprächen mit den Unternehmen nur als Richtwert nutzen, um im Anschluss Kompromissbereitschaft zu zeigen.
Natürlich, eigentlich sollten Beschäftigte keine Kaufkraft verlieren und die Erhöhung des Arbeitsentgeltes sollte die Teuerung ausgleichen. Selbst wenn Lohnerhöhungen zu einem Teil auch das auslösen, was sie bekämpfen wollen: Denn die Unternehmen werden die höheren Löhne in Form von Preisaufschlägen an ihre Kunden weitergeben, was wiederum die Inflation treibt. In normalen Zeiten ist das zu verkraften.
In der aktuellen Situation aber, in der die Inflation durch die lockere Geldpolitik der vergangenen Jahre, durch die wegen den Corona-Maßnahmen belasteten Lieferketten und durch die Energieknappheit infolge des Ukraine-Kriegs sowieso droht, außer Kontrolle zu geraten, sind hohe Forderungen gefährlich. Nicht ohne Grund warnen Ökonomen vor einer Lohn-Preis-Spirale, wenn Löhne und Preise sich gegenseitig aufschaukeln.
Hinzu kommt, dass die IG Metall als größte und wichtigste Vertretung von Arbeitnehmern in Deutschland Vorbildfunktion für andere Branchen hat. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die Sicherung des sozialen Friedens muss sie im Herbst Augenmaß und Zurückhaltung zeigen, wenn es gilt, mit den Arbeitgebern über die nun ausgesprochene Forderung zu sprechen.