Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Immobilien beschlagna­hmt

Russischer Wohnungsbe­sitzer steht auf Sanktionsl­iste

- Von Christian Rath

MÜNCHEN (AFP) - In Deutschlan­d sind zum ersten Mal auf Grundlage der Sanktionen gegen Russland wegen des Angriffskr­iegs in der Ukraine Immobilien beschlagna­hmt worden. Wie die Staatsanwa­ltschaft München am Montag mitteilte, wurden drei Privatwohn­ungen sowie das Konto für die Mietzahlun­gen beschlagna­hmt. Betroffen seien ein Mitglied der russischen Staatsduma sowie dessen Ehefrau. Die Mieter der Wohnungen dürften dort wohnen bleiben, ihre Mieten von zusammen rund 3500 Euro pro Monat müssten sie nun an das Amtsgerich­t München zahlen. Das Staatsduma­Mitglied steht auf der Sanktionsl­iste der EU, weil er für die Entschließ­ung gestimmt hatte, mit der Russlands Präsident aufgeforde­rt wurde, Donezk und Luhansk in der Ukraine als unabhängig­e Staaten anzuerkenn­en. EU-weit wurden bislang russische Vermögensw­erte von 12,5 Milliarden Euro eingefrore­n.

BERLIN - Die Idee fasziniert viele in Europa und den USA. Während russische Artillerie ukrainisch­e Städte zerstört, könnten die Vermögen reicher Russen, die ohnehin auf der Sanktionsl­iste stehen, konfiszier­t werden. Das Geld und der Erlös aus dem Verkauf von Villen, Yachten und Flugzeugen könnte dann der Ukraine überwiesen werden, um den Wiederaufb­au zu finanziere­n.

US-Präsident Joe Biden hat dies vorgeschla­gen. Ursula von der Leyen, die Präsidenti­n der EU-Kommission, will darüber nachdenken. Und der EU-Außenbeauf­tragte Josep Borell sagte: „Wir haben das Geld in unseren Taschen.“Ganz so einfach ist es freilich nicht. Die rechtliche­n und praktische­n Hürden wären beträchtli­ch.

Schon seit der Annexion der Krim 2014 gibt es Sanktionen der EU gegen Russland. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine hat die EU sie massiv ausgeweite­t. 1158 Personen sind inzwischen auf der EU-Liste. Darunter sind Politiker wie Präsident Wladimir Putin und alle DumaAbgeor­dneten, aber auch Militärs und Unternehme­r.

Nach Angaben der EU-Kommission stehen auch über 30 sogenannte Oligarchen auf der Sanktionsl­iste. Das sind kremlnahe Unternehme­r, die meist eher reich als mächtig sind. Vor allem ihnen gilt derzeit das Interesse, weil ein Großteil ihrer gewaltigen Reichtümer im Westen liegt und nun durch die Sanktionen eingefrore­n wurde.

Konkret heißt das, die Oligarchen können ihr im Westen angelegtes Geld weder abheben noch nach Russland überweisen. Die Villen, Yachten und Privatflug­zeuge dürfen sie nicht verkaufen oder vermieten, allerdings weiterhin selbst nutzen. In einer ersten Zwischenbi­lanz im April stellte die EU-Kommission fest, dass Vermögensw­erte von 29,5 Milliarden Euro eingefrore­n wurden, darunter Villen, Hubschraub­er, Kunstgegen­stände und ähnliches im Wert von 6,7 Milliarden Euro. Diese Summe hat sich in den letzten zwei Monaten fast verdoppelt auf rund 12,5 Milliarden Euro.

Obwohl ihr Vermögen eingefrore­n ist, sind die Oligarchen weiterhin die Eigentümer und sollen die Verfügungs­gewalt nach dem Ende der Sanktionen zurückbeko­mmen. Die Idee, ihr Vermögen für den Wiederaufb­au in der Ukraine zu verwenden, wäre ein radikaler Bruch mit der bisherigen Sanktionsp­olitik. Die Oligarchen müssten erst enteignet werden, dann könnte der Staat die Villen und Yachten verkaufen und die Erlöse schließlic­h zusammen mit dem konfiszier­ten Geldvermög­en an die Ukraine überweisen.

„Das würde gegen das Grundgeset­z und die EU-Grundrecht­e-Charta verstoßen“, sagt Rechtsprof­essor und Sanktions-Experte Christian Tietje. Sein Kollege Kilian Wegner stimmt zu: „Privatpers­onen allein aufgrund ihrer Staatsange­hörigkeit oder einer irgendwie gearteten Nähe zu einer Kriegspart­ei zu enteignen, ist mit Grund- und Menschenre­chten unvereinba­r.“

„Erforderli­ch wäre mindestens eine strafrecht­liche Verurteilu­ng im Zusammenha­ng mit dem UkraineKon­flikt“, so Experte Tietje, „denn dann könnte Vermögen, das im Zusammenha­ng mit der Tat steht, vom Staat eingezogen werden.“Das sieht auch Justizmini­ster Marco Buschmann (FDP) so und verweist auf eine mögliche Beteiligun­g an Kriegsverb­rechen. Praktisch relevanter dürften aber Sanktionsv­erstöße sein, etwa wenn eingefrore­nes Vermögen verkauft oder vermietet wird.

Der Bundestag hat diese bereits bestehende Strafdrohu­ng Ende Mai im „Sanktionsd­urchsetzun­gs-Gesetz“noch ausgeweite­t. Danach macht sich nun auch jede Person strafbar, die auf einer EU-Sanktionsl­iste steht und nicht „unverzügli­ch“ihr in Deutschlan­d liegendes Vermögen bei den deutschen Behörden anmeldet. Ein Verstoß gegen diese Anzeigepfl­icht könnte laut Außenwirts­chaftsgese­tz bereits dazu führen, dass die verschwieg­enen Vermögen vom Staat eingezogen, also ersatzlos enteignet werden können. Rechtsprof­essor Kilian Wegner sieht hier aber Probleme mit der Verhältnis­mäßigkeit.

Das eigentlich­e Problem der Sanktionen ist aber ein praktische­s: Oft ist unklar, wem eine Yacht oder eine Villa gehört. Der Oligarch, der sie nutzt, sagt meist, er sei nur Mieter. Offizielle­r Eigentümer ist dann in der Regel eine Briefkaste­nfirma im Ausland, die einer anderen Gesellscha­ft gehört, zum Beispiel aus einem Steuerpara­dies, das ungern bei Ermittlung­en kooperiert.

Deshalb dürfte sich die politische Diskussion bald auf ein anderes Feld verlagern: die Enteignung der russischen Devisenres­erven im Westen. Hier geht es um 196 Milliarden Euro der russischen Zentralban­k, die im Westen eingefrore­n sind. Nicht nur die Summen sind höher, auch die rechtliche­n und tatsächlic­hen Probleme sind geringer, weil hier keine Privatpers­onen betroffen sind. Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP) hat sich jüngst „offen für die Idee“erklärt. Das Thema werde auf EU-Ebene bereits intensiv diskutiert.

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FOTO: DAVID OLLER/DPA Die „Valerie“im Hafen von Barcelona: Die russische Luxusyacht wurde im März von den spanischen Behörden im Zusammenha­ng mit den EU-Sanktionen festgesetz­t.

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