Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Klingbeils Ideenlosigkeit
Die Welt ist aus den Fugen. Russland führt nicht mehr nur dort Krieg, wo keiner so genau hinsieht. Schweden und Finnland geben ihre Neutralität auf. Und Deutschland soll 77 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine Führungsmacht werden. Jedenfalls, wenn es nach dem Willen des SPDVorsitzenden geht. Und nach dem der anderen europäischen Länder, so lautet zumindest die Analyse von Lars Klingbeil.
Offenbar hat er lange über die veränderten Bedingungen in Europa und auf dem Planeten insgesamt nachgedacht und nun eine Grundsatzrede gehalten. Klingbeil weiß selbst, dass es sehr vielen sehr kalt den Rücken hinunterläuft, wenn im Zusammenhang mit Deutschland das Wort Führung fällt. Deswegen spricht der SPD-Vorsitzende von „kluger Führung“, die „andere einbindet“. Das ändert nichts daran, dass die bislang zurückhaltende, nicht sonderlich militärische Mittelmacht Bundesrepublik sich an die Spitze stellen soll, wenn es um Krieg und Frieden, um die Reorganisation der EU oder um das Zurückdrängen russischen und chinesischen Einflusses geht. Diese Forderung ist neu. Zumindest für die SPD.
Dass die Welt nicht mehr in zwei Blöcke zerfällt, sondern mehrere Machtzentren versuchen, Einfluss auf den Rest der Staaten auszuüben, ist schon deshalb eine interessante These, weil sie recht gut mit der geopolitischen Sicht Wladimir Putins zusammenpasst. Das eigentliche Problem der neuen sozialdemokratischen Weltbetrachtung ist, dass sie zu sehr wenigen Ideen führt. Neue Ideen gibt es überhaupt nicht. Der Aggressor droht mit Waffen, dann müssen wir uns rüsten und auch überall Bundeswehroffiziere in die Schulen lassen.
Und die Zukunft der Europäischen Union? Es liegen laut Klingbeil alle Reformvorschläge längst auf dem Tisch. Nun müsse man sie umsetzen. Und wie das nun genau mit der Führung aussehen soll, erfahren wir vom SPD-Vorsitzenden auch nicht. Somit bleibt ein grundsätzliches Problem: Es genügt nicht, den Führungsanspruch nur zu erheben.