Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Kretschmann erhöht Druck auf den Bund
Grüner Regierungschef fordert Rechtsgrundlagen für Corona-Maßnahmen im Herbst
STUTTGART/BERLIN - Die meisten staatlichen Alltagsauflagen zum Corona-Schutz sind mittlerweile weggefallen. Doch aus mehreren Bundesländern, vor allem aus BadenWürttemberg, wächst der Druck auf den Bund, schnell eine Rechtsgrundlage für weitergehende Schutzvorgaben bei einer möglichen neuen Corona-Welle im Herbst zu schaffen. Angesichts bereits jetzt wieder steigender Infektionszahlen bräuchten die Länder dringend wieder mehr Möglichkeiten zur Eindämmung der Pandemie – das forderte Südwest-Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Dienstag in Stuttgart. Er stärkte damit seinem Gesundheitsminister und Parteifreund Manfred Lucha vor der Gesundheitsministerkonferenz ab heute den Rücken. Lucha hatte ein Machtwort von Bundeskanzler Olaf Scholz gefordert. Der SPD-Politiker solle seinen Koalitionspartner FDP dazu bringen, endlich wieder mehr Schutzmaßnahmen mitzutragen.
„Wir brauchen den Instrumentenkasten für alle Fälle. Das habe ich im Rahmen der Pandemie sicher 17mal gefordert“, sagte Kretschmann. Die FDP habe sich jedoch mit ihrem Kurs weitgehend durchgesetzt und den Ländern kaum mehr Möglichkeiten gegeben, entsprechende Schutzmaßnahmen zu verhängen.
Der Bund habe den Ländern die Möglichkeit gegeben, Hotspots zu definieren und dort manche Schutzmaßnahme zu verhängen. Diese Regelung nannte Kretschmann indes einen „Bypass“, über den er sich nicht den Kopf zerbreche. „Dass man den Instrumentenkasten voll befüllt, ist ein Gebot der praktischen Vernunft.“Dafür brauche man auch kein Gutachten, das der Corona-Expertenrat für Ende des Monats angekündigt hat. Von diesen Ergebnissen möchte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sein weiteres Vorgehen abhängig machen. „Die Feuerwehr funktioniert ja auch nicht so, dass sie die Schläuche bestellt, wenn sie die Größe eines Brandes kennt. Da kann ich nur noch mal an die FDP appellieren, dass sie sich den Argumenten der praktischen Vernunft beugt“, sagte Kretschmann.
Der Südwest-Regierungschef forderte den Bund auf, wenigstens eine „Minimalausstattung“in den Instrumentenkasten zu legen. Dazu gehörten unter anderem die Maskenpflicht in Innenräumen, 2G, 3G und Personenobergrenzen. „Ich möchte gerne alles haben, auch Ausgangssperren, aber das ist mit der FDP nicht zu machen“, sagte der Ministerpräsident.
BERLIN - Kommen Corona-Maßnahmen wie Maskenpflicht in Innenräumen, 3G-/2G-Zugangsregeln, Testpflichten und Kontaktbeschränkungen im Herbst zurück? Die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen haben unmittelbar vor der Gesundheitsministerkonferenz am Mittwoch und Donnerstag in Magdeburg den Bund gedrängt, schnell die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen.
Die Ampel müsse noch vor der Sommerpause des Bundestags am 8. Juli eine entsprechende Änderung des Infektionsschutzgesetzes vorlegen, heißt es in einem Beschlussentwurf der vier Länder für die Konferenz. Der Bund müsse schnell rechtliche, finanzielle und organisatorische Planungssicherheit schaffen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte schon Ende vergangener Woche angekündigt, dass es vor der Sommerpause Eckpunkte für die Änderung des Infektionsschutzgesetzes, das am 23. September auslaufen würde, geben solle. Zuvor hatte er bereits das Maskentragen in Innenräumen ab Herbst für „unbedingt notwendig“erklärt. In Teilen der Ampel wird offenbar eine „O-bis-O“-Regelung erwogen, also eine Maskenpflicht in Innenräumen von Oktober bis Ostern.
Die Regierungspartei FDP dagegen will zunächst einmal die Stellungnahme des Sachverständigenrates abwarten, der die Wirkung der bisherigen Corona-Maßnahmen bewerten soll. Das Papier wird am 30. Juni erwartet. Anschließend, sagte der gesundheitspolitische Sprecher Andrew Ullmann der „Schwäbischen Zeitung“, „werden wir in der Koalition über eine mögliche Anpassung des Infektionsschutzgesetzes verantwortungsvoll beraten. Alles andere wäre voreilig und nicht richtig“.
Auch FDP-Bundesjustizminister Marco Buschmann hatte zuvor auf Twitter betont, zunächst müsse das wissenschaftliche Gremium die Corona-Maßnahmen evaluieren. „Dann werden die Ergebnisse ausgewertet, besprochen und dann wird entschieden am Maßstab der Verhältnismäßigkeit.“Lauterbach sagte dazu in der ARD, man werde sich nach Vorliegen des Gutachtens in der Ampel „dann sehr schnell einigen. Das Drama, auf welches jetzt alle warten, wird ausbleiben“.
Der CDU-Gesundheitspolitiker Michael Hennrich zeigt sich zwar grundsätzlich aufgeschlossen für eine Ausdehnung der Maskenpflicht – aber erst, wenn das die Entwicklung der kommenden Wochen und Monate nötig machen sollte. „Jetzt ist keine verbindliche Entscheidung darüber nötig“, sagte er der „Schwäbischen Zeitung“. Die Ampel müsse aber mit einer Änderung des Infektionsschutzgesetzes den nötigen Handlungsrahmen schaffen. „Eine Maskenpflicht lässt sich dann bei Notwendigkeit schnell realisieren.“