Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Automobile Freiheitsberaubung
Das Kreuz mit dem Verreisen ist seit jeher, dass man am Ziel nie alleine ist. Weil da immer schon jemand rumlungert, der die gleiche Urlaubsidee hatte und man fern von zu Hause unter keinen Umständen seinesgleichen treffen möchte. Es gibt Ferienregionen, wo ganz besonders viele Menschen vor sich selber auf der Flucht sind. Zum Beispiel die italienische Amalfi-Küste. Dort kuscheln sich pittoreske Dörfer an die Hänge vor dem Meeresufer. Und weil das so hübsch anzusehen ist, können die Einheimischen kaum einen Schnaufer tun, ohne dabei ganz nebenbei drei bis fünf Touristen einzuatmen.
Der Tourist kommt zudem oft im eigenen Automobil oder Reisebus, was nicht besonders gut in die Amalfi-Dörfer passt, weil die Straßen dort eher Gässlein sind und hiesige Feldwege oft breiter als die Hauptstraßen von Städtchen wie etwa Positano. Und weil dem so ist, haben manche Gemeinden nun zu einer verkehrspolitischen Verzweiflungstat gegriffen: Am Wochenende dürfen nur noch Fahrzeuge mit geradem und am nächsten Tag mit ungeradem Kennzeichen in die Dörfer fahren. Würde sich diese automobile Freiheitsberaubung bei uns abspielen, das FDP-geführte Verkehrsministerium würde wenigstens erwirken, dass ein Einfahrtsverbot mit geradem Kennzeichen zwar gültig ist. Zugleich aber die Ausnahme festlegen, dass an Wochentagen, die auf -tag enden, ausnahmsweise auch Fahrzeuge mit geradem Kennzeichen fahren dürfen. Schließlich hat jeder das Recht, an einem Stau teilzunehmen. Gerade im Urlaub, wo man genug Zeit dafür hat.