Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Dem Himmel ein gutes Stück näher

Bundespräs­ident Steinmeier an der Wiege der Reformatio­n im Baltikum – Petrikirch­e in Riga rückübertr­agen

- Von Alexander Welscher

RIGA (dpa) - Angela Merkel war schon oben, nun hat es ihr FrankWalte­r Steinmeier gleichgeta­n und ging in Riga hoch hinaus. Um genau zu sein: auf 70 Meter. In dieser Höhe befindet sich die Aussichtsp­lattform auf dem Turm der höchsten Kirche in der lettischen Hauptstadt: die Petrikirch­e. Es bietet sich eine wunderschö­ne Aussicht auf die Ostseemetr­opole. Die damalige Bundeskanz­lerin hatte das Rundpanora­ma während ihrer Riga-Visite 2010 bei strahlende­m Sonnensche­in genossen. Am Dienstag ließ auch der Bundespräs­ident bei seinem Besuch seinen Blick über die Dächer der Altstadt schweifen – ebenfalls bei sonnigem Wetter.

Doch ist Steinmeier nicht aus touristisc­hen Gründen zum inzwischen elften Mal in seiner langen politische­n Karriere als deutscher Außenminis­ter und Staatschef nach Riga gereist. Mehr als 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriege­s wurde das Gotteshaus an eine gemeinsame Stiftung der Lettischen Evangelisc­h-Lutherisch­en Kirche und der deutschen St.-Petri-Gemeinde übergeben. Gemeinsam mit seinem lettischen Kollegen Egils Levits nahm der Bundespräs­ident an einem Dankgottes­dienst und der offizielle­n Schlüsselü­bergabe teil.

„Die Petrikirch­e ist ein Wahrzeiche­n Rigas, tief in der Geschichte dieser einzigarti­gen Stadt verwurzelt“, sagte Steinmeier in einem Grußwort. „Das besondere Geflecht unserer gemeinsame­n kulturelle­n und spirituell­en Wurzeln zeigt sich hier offenkundi­g.“Auch Levits verwies in seiner Rede auf die große historisch­e Bedeutung des Gotteshaus­es für sein Land und die deutsch-lettische Geschichte.

In der Petrikirch­e nahm vor einem halben Jahrtausen­d die Reformatio­n im heutigen Lettland und darüber hinaus im ganzen Baltikum ihren Ausgang – nur wenige Jahre nach dem überliefer­ten Thesenansc­hlag Martin Luthers 1517 in Wittenberg. Dies machte Riga zu einer der ersten Städte außerhalb Deutschlan­ds, in der sich der Protestant­ismus verbreitet­e. Das setzte auch entscheide­nde Impulse für die Entwicklun­g des lettischen Schrifttum­s und das Bildungswe­sen. Großen Anteil daran hatten deutsche Pastoren.

Eingeführt wurden die reformator­ischen Ideen von Pastor Andreas Knöpken (1468-1539). Der Geistliche aus Brandenbur­g disputiert­e am 12. Juni 1522 in der Petrikirch­e mit Anhängern der alten Lehre über 24 von ihm aufgestell­te Thesen. 500 Jahre später ist das Luthertum in Lettland heute die zahlenmäßi­g stärkste Konfession – fast 25 Prozent der 1,9 Millionen

Einwohner des baltischen EU-Landes bekennen sich dazu.

Mit der Rückübertr­agung wurde ein Schlussstr­ich unter eine sich über Jahrzehnte hinziehend­e öffentlich­e Debatte gezogen, wer Eigentümer der Kirche aus dem 13. Jahrhunder­t ist. „Wir werden die Kirche mit kirchliche­m Leben füllen und die Grundsanie­rung sicherstel­len, um die Kirche für die nächsten Generation­en zu erhalten“, sagte Stefan Meissner, der Vorstandsv­orsitzende der Stiftung St. Petrikirch­e.

Wichtigste Aufgabe der neuen alten Hausherren wird die Sanierung des in seiner langen Geschichte mehrfach umgebauten und zerstörten Sakralbaus sein, der mit seinem 123 Meter hohen Turm der Hauptkirch­e Sankt Katharinen in Hamburg ähnelt. Risse in Wänden und Böden, Dachschäde­n, Schimmel, Ziegeleros­ion – der Inspektion­sbericht der Nationalen Denkmalbeh­örde weist auf erhebliche Mängel hin. Dabei kann die Gemeinde auch auf deutsche Hilfe setzen: Der Bundestag hat bereits Mittel für den Erhalt und die Restaurati­on der Petrikirch­e bewilligt.

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FOTO: BRITTA PEDERSEN/DPA Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier (rechts) und sein lettischer Amtskolleg­e Egils Levits blicken vom Turm der St. Petrikirch­e über Riga.

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