Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Scholz erwartet lange Eiszeit mit Russland
Kanzler fordert zudem „Marshall-Plan“für die Ukraine – Diskussionen um Gasalarmstufe
BERLIN - Deutschland und Russland werden nach Einschätzung von Bundeskanzler Olaf Scholz wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine für lange Zeit politisch getrennte Wege gehen. Eine Partnerschaft mit dem „aggressiven, imperialistischen Russland“unter Präsident Wladimir Putin sei auf absehbare Zeit unvorstellbar, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch in einer Regierungserklärung im Bundestag zu den anstehenden Gipfeltreffen der EU, der G7Gruppe
und der Nato. Zugleich warnte der Kanzler davor, daraus falsche Schlüsse zu ziehen. „Es wäre unklug, unsererseits die Nato-Russland-Grundakte aufzukündigen“, sagte er. Das würde Putin und dessen Propaganda in die Hände spielen. Für den Wiederaufbau der kriegszerstörten Ukraine machte sich Scholz für einen „Marshall-Plan“stark.
Auf die erhöhte Inflation sowie die steigenden Energiepreise und die daraus resultierenden Sorgen in Deutschland ging der Kanzler nur am Rande ein. Zu den Gerüchten über eine Ausrufung der Alarmstufe des Notfallplans Gas gab es keine Aussagen. Verbraucherschützer halten für diesen Fall unter bestimmten Umständen einen weiteren erheblichen Anstieg der Gaspreise für Endverbraucher für möglich.
Am Abend beschäftigte sich dann der Koaltionsausschuss mit der Preis-Thematik. Vorab wurde bekannt, dass nicht mit Beschlüssen der Ampel-Koalition zu Entlastungen gerechnet wurde. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) warnte vor dem Treffen vor überzogenen Erwartungen. „Der Staat kann nicht alles für alle ausgleichen“, sagte er dem „Stern“. Die Preisentwicklung müsse gezielt für Menschen abgefedert werden, für die sie eine existenzielle Bedrohung sei. Für die Union kritisierte Fraktionsvize Andreas Jung das zögerliche Vorgehen der Regierung in Sachen Energie. „Es muss jetzt alles in den Topf, um uns bestmöglich auf eine mögliche Notlage vorzubereiten: Sparmaßnahmen, Ersatzgas-Kauf und Stromalternativen“, sagte der CDU-Politiker der „Schwäbischen Zeitung“. Auch könne es nicht sein, dass es noch „keine Sparpläne für öffentliche Gebäude“gebe.
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STUTTGART - Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs, der Corona-Pandemie und anderer weltpolitischer Herausforderungen will der Arbeitgeberverband Südwestmetall in den anstehenden Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie mehr Flexibilität einfordern. Die Lage der einzelnen Unternehmen sei so unterschiedlich, „hier passt nicht eine Lösung für alle“, sagte der Vorsitzende Joachim Schulz auf einer Pressekonferenz am Mittwoch. Während sich die Elektroindustrie wacker halte und wieder auf dem Vorkrisenniveau produziere, hinke der Fahrzeugbau „deutlich hinterher“, erklärte Schulz. Das betreffe auch besonders den Südwesten, wo viele Automobilzulieferer ansässig sind. Insgesamt läge die Produktion der Metall- und Elektroindustrie noch über 17 Prozent unter den Spitzenwerten von 2018. „In dieser Situation kann sich die Mehrzahl der Betriebe daher keine weitere Kostenbelastung durch eine Tariferhöhung leisten“, sagte Schulz.
Die positive Erwartung, dass die Corona-Zeit vorbeigehe und die Branche sich erholen kann, sei mit Russlands Einmarsch in die Ukraine verschwunden. „Statt Aufschwung erleben wir Herausforderungen historischen Ausmaßes“, fasste Schulz die Situation zusammen. Damit meinte er die Staus vor Containerhäfen, rasant steigende Energie- und Rohstoffpreise, die Schwierigkeiten der digitalen Transformation und das mögliche Verbrenner-Aus, aber auch den Fachund Arbeitskräftemangel. In einer Befragung des Dachverbandes Gesamtmetall gaben vier von fünf Unternehmen an, dass sie „substanziell“von der daraus resultierenden Kostenexplosion betroffen seien. Ebenso viele rechnen für 2022 mit einem Gewinnrückgang. „Das werden die Rahmenbedingungen sein, vor denen wir die Tarifrunde halten müssen.“
Die aktuellen Tarifverträge für 3,8 Millionen Beschäftigte der Metallund Elektroindustrie in Deutschland laufen Ende September aus. Die IG Metall hatte Anfang der Woche bereits angekündigt, in den anstehenden Verhandlungen sieben bis acht Prozent höhere Löhne zu fordern. Den Unternehmen gehe es gut, während die Beschäftigten unter den gestiegenen Lebensmittel- und Energiepreisen litten, begründete die Gewerkschaft diese Forderung. Joachim Schulz hält das jedoch für „unrealistisch und schädlich“.
„Wir sind ja nicht so ignorant, dass wir nicht sehen, dass unsere Beschäftigten hohe Belastungen haben“, räumte er ein. Um aber Herausforderungen wie den anstehenden Strukturwandel zu meistern, seien jedoch Mittel für Investitionen zwingend notwendig. Wenn Umsatz und Gewinn zurückgehen, würden die allerdings oft als erstes gekürzt oder verschoben. „Das ist ein Teufelskreis“, sagte Schulz, „weil ein erheblicher Teil unserer Industrie von Investitionen lebt.“Außerdem stünde zu befürchten, dass hohe Lohnabschlüsse die Inflation nur weiter ankurbeln würden und so eine LohnPreis-Spirale entstehe.
Auch den Vorwurf der IG Metall, dass die Beschäftigten seit 2018 keine dauerhafte Lohnerhöhung bekommen hätten, weist Schulz zurück. „Das ist schlichtweg falsch“, sagte er. Zwar habe sich an den Tabellenwerten nichts geändert. Durch die Einführung mehrerer jährlich wiederkehrender Entgeltbausteine stünde den Metallern aber fünf Prozent mehr Geld, also etwa 3000 Euro zusätzlich, im Jahr zur Verfügung als noch 2018.
In einem Punkt sei man sich mit der IG Metall allerdings schon einig, sagte Schulz: Die Tarifentwicklung allein werde den Preisdruck für Verbraucher nicht ausgleichen können. Beide Seiten sehen hier die Politik in der Pflicht, nach ihren Möglichkeiten einzugreifen und das Schlimmste abzufedern.
In die Tarifverhandlungen im Herbst will die Arbeitgeberseite mit konkreten eigenen Vorstellungen starten, bestätigte Schulz. Angesichts der großen Spreizung zwischen der wirtschaftlichen Lage verschiedener Unternehmen müsse die bestehende Klaviatur an Elementen genutzt werden, um die Verträge zu flexibilisieren. „Da können wir nicht einfach hohe Tabellenwerte mit der IG-Metall vereinbaren“, sagte er. Wie ein Tarifabschluss aussehen könnte blieb Schulz jedoch schuldig. „Ich weiß es nicht“, gestand der SüdwestmetallChef ein. Was er auf jeden Fall verhindern wolle sei „noch mehr Komplexität in unseren Tarifverträgen“.