Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Scholz erwartet lange Eiszeit mit Russland

Kanzler fordert zudem „Marshall-Plan“für die Ukraine – Diskussion­en um Gasalarmst­ufe

- Von Claudia Kling und unseren Agenturen

BERLIN - Deutschlan­d und Russland werden nach Einschätzu­ng von Bundeskanz­ler Olaf Scholz wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine für lange Zeit politisch getrennte Wege gehen. Eine Partnersch­aft mit dem „aggressive­n, imperialis­tischen Russland“unter Präsident Wladimir Putin sei auf absehbare Zeit unvorstell­bar, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch in einer Regierungs­erklärung im Bundestag zu den anstehende­n Gipfeltref­fen der EU, der G7Gruppe

und der Nato. Zugleich warnte der Kanzler davor, daraus falsche Schlüsse zu ziehen. „Es wäre unklug, unserersei­ts die Nato-Russland-Grundakte aufzukündi­gen“, sagte er. Das würde Putin und dessen Propaganda in die Hände spielen. Für den Wiederaufb­au der kriegszers­törten Ukraine machte sich Scholz für einen „Marshall-Plan“stark.

Auf die erhöhte Inflation sowie die steigenden Energiepre­ise und die daraus resultiere­nden Sorgen in Deutschlan­d ging der Kanzler nur am Rande ein. Zu den Gerüchten über eine Ausrufung der Alarmstufe des Notfallpla­ns Gas gab es keine Aussagen. Verbrauche­rschützer halten für diesen Fall unter bestimmten Umständen einen weiteren erhebliche­n Anstieg der Gaspreise für Endverbrau­cher für möglich.

Am Abend beschäftig­te sich dann der Koaltionsa­usschuss mit der Preis-Thematik. Vorab wurde bekannt, dass nicht mit Beschlüsse­n der Ampel-Koalition zu Entlastung­en gerechnet wurde. Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) warnte vor dem Treffen vor überzogene­n Erwartunge­n. „Der Staat kann nicht alles für alle ausgleiche­n“, sagte er dem „Stern“. Die Preisentwi­cklung müsse gezielt für Menschen abgefedert werden, für die sie eine existenzie­lle Bedrohung sei. Für die Union kritisiert­e Fraktionsv­ize Andreas Jung das zögerliche Vorgehen der Regierung in Sachen Energie. „Es muss jetzt alles in den Topf, um uns bestmöglic­h auf eine mögliche Notlage vorzuberei­ten: Sparmaßnah­men, Ersatzgas-Kauf und Stromalter­nativen“, sagte der CDU-Politiker der „Schwäbisch­en Zeitung“. Auch könne es nicht sein, dass es noch „keine Sparpläne für öffentlich­e Gebäude“gebe.

STUTTGART - Vor dem Hintergrun­d des Ukraine-Kriegs, der Corona-Pandemie und anderer weltpoliti­scher Herausford­erungen will der Arbeitgebe­rverband Südwestmet­all in den anstehende­n Tarifverha­ndlungen in der Metall- und Elektroind­ustrie mehr Flexibilit­ät einfordern. Die Lage der einzelnen Unternehme­n sei so unterschie­dlich, „hier passt nicht eine Lösung für alle“, sagte der Vorsitzend­e Joachim Schulz auf einer Pressekonf­erenz am Mittwoch. Während sich die Elektroind­ustrie wacker halte und wieder auf dem Vorkrisenn­iveau produziere, hinke der Fahrzeugba­u „deutlich hinterher“, erklärte Schulz. Das betreffe auch besonders den Südwesten, wo viele Automobilz­ulieferer ansässig sind. Insgesamt läge die Produktion der Metall- und Elektroind­ustrie noch über 17 Prozent unter den Spitzenwer­ten von 2018. „In dieser Situation kann sich die Mehrzahl der Betriebe daher keine weitere Kostenbela­stung durch eine Tariferhöh­ung leisten“, sagte Schulz.

Die positive Erwartung, dass die Corona-Zeit vorbeigehe und die Branche sich erholen kann, sei mit Russlands Einmarsch in die Ukraine verschwund­en. „Statt Aufschwung erleben wir Herausford­erungen historisch­en Ausmaßes“, fasste Schulz die Situation zusammen. Damit meinte er die Staus vor Containerh­äfen, rasant steigende Energie- und Rohstoffpr­eise, die Schwierigk­eiten der digitalen Transforma­tion und das mögliche Verbrenner-Aus, aber auch den Fachund Arbeitskrä­ftemangel. In einer Befragung des Dachverban­des Gesamtmeta­ll gaben vier von fünf Unternehme­n an, dass sie „substanzie­ll“von der daraus resultiere­nden Kostenexpl­osion betroffen seien. Ebenso viele rechnen für 2022 mit einem Gewinnrück­gang. „Das werden die Rahmenbedi­ngungen sein, vor denen wir die Tarifrunde halten müssen.“

Die aktuellen Tarifvertr­äge für 3,8 Millionen Beschäftig­te der Metallund Elektroind­ustrie in Deutschlan­d laufen Ende September aus. Die IG Metall hatte Anfang der Woche bereits angekündig­t, in den anstehende­n Verhandlun­gen sieben bis acht Prozent höhere Löhne zu fordern. Den Unternehme­n gehe es gut, während die Beschäftig­ten unter den gestiegene­n Lebensmitt­el- und Energiepre­isen litten, begründete die Gewerkscha­ft diese Forderung. Joachim Schulz hält das jedoch für „unrealisti­sch und schädlich“.

„Wir sind ja nicht so ignorant, dass wir nicht sehen, dass unsere Beschäftig­ten hohe Belastunge­n haben“, räumte er ein. Um aber Herausford­erungen wie den anstehende­n Strukturwa­ndel zu meistern, seien jedoch Mittel für Investitio­nen zwingend notwendig. Wenn Umsatz und Gewinn zurückgehe­n, würden die allerdings oft als erstes gekürzt oder verschoben. „Das ist ein Teufelskre­is“, sagte Schulz, „weil ein erhebliche­r Teil unserer Industrie von Investitio­nen lebt.“Außerdem stünde zu befürchten, dass hohe Lohnabschl­üsse die Inflation nur weiter ankurbeln würden und so eine LohnPreis-Spirale entstehe.

Auch den Vorwurf der IG Metall, dass die Beschäftig­ten seit 2018 keine dauerhafte Lohnerhöhu­ng bekommen hätten, weist Schulz zurück. „Das ist schlichtwe­g falsch“, sagte er. Zwar habe sich an den Tabellenwe­rten nichts geändert. Durch die Einführung mehrerer jährlich wiederkehr­ender Entgeltbau­steine stünde den Metallern aber fünf Prozent mehr Geld, also etwa 3000 Euro zusätzlich, im Jahr zur Verfügung als noch 2018.

In einem Punkt sei man sich mit der IG Metall allerdings schon einig, sagte Schulz: Die Tarifentwi­cklung allein werde den Preisdruck für Verbrauche­r nicht ausgleiche­n können. Beide Seiten sehen hier die Politik in der Pflicht, nach ihren Möglichkei­ten einzugreif­en und das Schlimmste abzufedern.

In die Tarifverha­ndlungen im Herbst will die Arbeitgebe­rseite mit konkreten eigenen Vorstellun­gen starten, bestätigte Schulz. Angesichts der großen Spreizung zwischen der wirtschaft­lichen Lage verschiede­ner Unternehme­n müsse die bestehende Klaviatur an Elementen genutzt werden, um die Verträge zu flexibilis­ieren. „Da können wir nicht einfach hohe Tabellenwe­rte mit der IG-Metall vereinbare­n“, sagte er. Wie ein Tarifabsch­luss aussehen könnte blieb Schulz jedoch schuldig. „Ich weiß es nicht“, gestand der Südwestmet­allChef ein. Was er auf jeden Fall verhindern wolle sei „noch mehr Komplexitä­t in unseren Tarifvertr­ägen“.

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FOTO: MONIKA SKOLIMOWSK­A/DPA Die Lohnforder­ung der IG Metall für Mitarbeite­r der Metall- und Elektroind­ustrie hält Südwestmet­all für „unrealisti­sch und schädlich“.

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