Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Ein Superheld der Musik
Baz Luhrmanns Film über Elvis Presley ist Aufklärung über einen Mythos und großes Kino
Jahrzehnte nach seinem frühen Tod im Sommer 1977 ist es unmöglich, die Wirkung überhaupt zu ermessen, die Elvis Presley auf seine Zeitgenossen in den Fünfzigerjahren hatte, oder sich die Reichweite der kulturellen Revolution vor Augen zu führen, die „Elvis“seinerzeit bedeutete.
In gewisser Weise sind der Sänger und seine Songs ein Teil des kollektiven Unbewussten geworden: Seine Haare, seine Stimme, seine Anzüge und selbst noch die heute absurd anmutenden Kostüme am Ende seiner Karriere haben mythologische Konturen angenommen.
Das Kuriose ist, dass ausgerechnet eine so magnetische Figur, die mit dem Image des Antiautoritären und der Revolte gegen die Elterngeneration assoziiert wird, ihr Leben unter der Kontrolle eines seltsamen Ersatzvaters verbracht hat, der sich mit „Colonel Parker“anreden ließ und als Manager des Künstlers diesen bereits zur „Marke“machte, als Elvis noch komplett unbekannt war.
Parker war es, der das weltweite Phänomen Elvis Presley schuf, der den jungen Mann in eine Geldmaschine verwandelte und ihn noch über seinen frühen Tod im Alter von 42 Jahren hinaus sowohl finanziell als auch psychologisch ausbeutete.
Es ist insofern ganz angemessen, dass die Hauptfigur dieses Films trotz seines Titels eben jener „Colonel Parker“ist und dass diese von dem bekanntesten Schauspieler im Ensemble gespielt wird, von Weltstar Tom Hanks, dem es auch hier gelingt, unter seine leutselige, freundliche „all american“Oberflänen eine dämonisch schillernde Komponente zu legen.
Aber der australische Regisseur Baz Luhrmann („Moulin Rouge", „The Great Gatsby“) interessiert sich auch in diesem Film nicht für Moral, sondern für die schillernden Oberflächen seines Stoffes. Er kann bei jeder neuen Intrige und jedem neuen Manipulationsakt seiner Hauptfigur Parker mit der sicheren Komplizenschaft des Kinopublikums rechnen. Denn auch wir Zuschauer wollen den Elvis, den wir kennen: den Elvis der Bühne, der Verführung, der Sexyness, den „weißen Schwarzen“.
Baz Luhrmann ist ein Aufklärer im Sinne der Postmoderne: einer, der dekonstruiert, einer, der das Skelett der großen Erzählung namens Elvis Presley freilegt und der den Star als Konstrukt einer Starindustrie, das Gefühl als Gleitmittel des Geschäfts und die Moral als Maske der Macht offen zur Schau stellt.
So ist Elvis auch hier das, was er auch im echten Leben vor allem war: in erster Linie eine Figur für die Bühne und lange Zeit das willenlose Objekt allerlei Begehrlichkeiten: seiner Fans, seiner Liebhaberinnen, seiner Mutter und vor allem seines Managers. Zugleich ist er natürlich trotz allem der Titelheld, auch wenn er über große Längen die Rolle des Objekts und Nebendarstellers übernimmt, für die Wirkung von entscheidender Bedeutung – und der relativ unbekannte Austin Butler liefert eine bewundernswerte Leistung als Presley ab, indem er dessen Manierismen perfekt einfängt und zugleich dem Musiker Menschlichkeit und Verletzlichkeit einflößt und dessen Zerbrechlichkeit im Laufe der Erzählung immer deutlicher macht.
Das Ergebnis ist das Porträt eines musikalischen Superhelden, aber auch eine scharfe Analyse der Starindustrie, des Ineinandergreifens von Ausbeutung und Versprechen, Verführung und Verdienst. Der ausschweifende barocke Stil des Australiers – Splitscreens, Zeitlupen, Gewitter aus schnellen Montagen – passt dazu perfekt. Auch Baz Luhrmann, der schon immer einer war, der die große Geste und dem Aplomb liebt, hat in Elvis Presley eiche
Gegenstand gefunden, der seinem melodramatischen Stil und seiner opernhaften Filmsprache überaus angemessen ist. Mit Wucht wirft er die Gefühle der Figuren und die Farben der Kostüme al fresco und gleichberechtigt auf die Leinwand – ein abstrakter Expressionist des Kinos, dessen Filme immer glitzernder, mit falschen Diamanten besetzter Rock'n'Roll sind.
Jederzeit wird dem Zuschauer deutlich gemacht, dass hier kein Realismus angestrebt wurde; Luhrmanns Kino ist ein materialistisches Kino der Effekte und Objekte, ein Kino, das seine Mittel nie zu verbergen sucht, sondern offen zur Schau stellt – aber auch nicht als intellektueller Verfremdungseffekt, sondern mit dem Stolz des Neureichen, der sich einen Rolls-Royce leisten kann, und das natürlich auch tut: „Schaut her, was ich alles kann und mich einfach mal zu machen traue.“
Elvis Presley und der erwähnten Kulturrevolution, die sein Stil noch mehr als seine Musik bedeuteten, ist das ganz und gar angemessen. Luhrmann visualisiert diese Wirkung in furiosen Montagen: Er springt von der Bühne zu den Frauen im Publikum, aus dem Gesang ins Gestöhn, aus der musikalischen Bewegung in die sexuelle. Es ist ein Kino des Schocks und der dynamischen Übertreibung – dies ist kein Zufall, sondern eine kalkulierte Tugend des Australiers – dem mit „Elvis“ein großartiger hochunterhaltsamer Kinofilm gelungen ist.
Elvis, USA 2022, 159 Minuten, FSK 6, Regie Baz Luhrmann, mit Austin Butler, Tom Hanks, Olivia DeJonge