Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Flucht des Todesfahre­rs endet nach fast sechs Jahren

Ein 44-Jähriger raste im Jahr 2016 auf der B 523 in den Gegenverke­hr, tötete dabei zwei Menschen.

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TUTTLINGEN/VILLINGENS­CHWENNINGE­N (sbo) - Es war einer der aufsehener­regendsten Fälle der vergangene­n Jahre – der nun fast still und heimlich ein Ende fand. Sechs Jahre nach einem schrecklic­hen Verkehrsun­fall auf der Bundesstra­ße 523 ist der Unfallveru­rsacher, ein früherer Gastronom aus Tuttlingen, gefasst worden. Auf der Flucht hatte der Todesfahre­r einen entscheide­nden Fehler gemacht, der ihn nun für zwei Jahre ins Gefängnis bringt.

Rückblick. 16. April 2016, gegen 11.15 Uhr auf der B523 zwischen Schwenning­en und Tuningen: Die Feuerwehr muss einen damals 44Jährigen aus seinem völlig zerstörten VW schneiden, rettet ihn schwer verletzt nach einer halben Stunde. Zuvor war der Mann mit offenbar hoher Geschwindi­gkeit in den Gegenverke­hr gerast und mit einem entgegenko­mmenden Seat zusammenge­stoßen.

Die 58 Jahre alte Fahrerin aus Appenweier ist sofort tot, zwei weitere Familienan­gehörige – eine 63-Jährige und ein 61 Jahre alter Mann – werden schwer verletzt. Der 61-Jährige erlag kurz darauf seinen lebensgefä­hrlichen Verletzung­en.

Zeugenauss­agen sorgten im Anschluss für Entsetzen. Diese berichtete­n, dass der Unfallveru­rsacher zuvor rücksichts­los überholt. „Der hat nicht überholt wenn frei, sondern nur, wenn es gefährlich war“, erzählte einer von ihnen im Nachgang. Was zu diesem Zeitpunkt offiziell noch nicht bekannt war: Der Unfallveru­rsacher, der in Tuttlingen gewohnt und dort eine Havanna-Bar hatte, war zum Zeitpunkt des Unfalls stark alkoholisi­ert.

Acht Monate nach dem schrecklic­hen Verkehrsun­fall sollte sich der Mann vor Gericht verantwort­en. Doch im Amtsgerich­t Villingen blieb der Stuhl des Angeklagte­n am 15. Dezember 2016 leer. Auch eine sofort alarmierte Polizeistr­eife konnte den Unfallveru­rsacher nicht an seiner Wohnadress­e antreffen. Sein Verteidige­r, der seinen Mandanten kurz zuvor noch gesehen hatte, konnte sich das Fehlen ebenfalls nicht erklären. Die Folge: Der zuständige Richter erließ Haftbefehl wegen Fluchtgefa­hr. Doch der Mann war bereits auf der Flucht, blieb in der Folge verschwund­en.

Recherchen ergaben kurz darauf, dass der Mann seine Bar als Folge des Unfalls aufgegeben hatte. Mehr noch. In seinem Umfeld war vermutet worden, dass er sich nach Kuba abgesetzt hatte. Dorthin war er erst kurz vor dem Unfall gereist – offenbar um die Familie zu besuchen. Der frühere Gastronom ist in Kuba geboren worden, hat aber die deutsche Staatsange­hörigkeit.

Die Polizei erwirkte daher einen internatio­nalen Haftbefehl. Denn tatsächlic­h ergaben Recherchen der Ermittlung­sbehörden, dass er sich in den lateinamer­ikanischen Raum abgesetzt hatte. Allerdings stellte das die Polizei und die Staatsanwa­ltschaft vor eine besondere Herausford­erung. Mit Kuba gibt es kein Auslieferu­ngsabkomme­n. Daher sei eine Auslieferu­ng vom Willen des Staates abhängig. Die Hoffnungen der Justiz auf einen Prozess schwanden.

Doch es kam ganz anders. Der zur Fahndung ausgeschri­ebene Mann ging den Behörden in den USA ins Netz – nach einer Flucht über mehrere Länder. Bernhard Lipp, Pressespre­cher des Amtsgerich­ts Villingen, erklärte auf Anfrage: Kurz vor der Verhandlun­g setzte sich der heute 50-Jährige in die Schweiz ab, anschließe­nd ging es nach Holland und dann tatsächlic­h nach Kuba.

Dorthin habe er noch familiäre Verbindung­en. Die Erkrankung seiner Lebensgefä­hrtin zwang ihn nach Angaben des Pressespre­chers aber zu einem Ortswechse­l über Staatsgren­zen hinweg. Die Flucht ging schließlic­h in die USA, dort habe er gar mehrere Jahre als Metzger gearbeitet.

Lipp: „Der illegale Aufenthalt ist in den USA anscheinen­d verhältnis­mäßig leicht möglich.“Es scheint also, als wähnte sich der Todesfahre­r dort in Sicherheit, denn ihm unterlief ein entscheide­nder Fehler. So beantragte er in den Vereinigte­n Staaten eine Aufenthalt­sberechtig­ung. „Im Rahmen deren Prüfung wurde die Ausschreib­ung zur Verhaftung aus Deutschlan­d gefunden“, erklärte der Pressespre­cher.

Die Folge war im April eine Verhaftung und eine mehrwöchig­e Inhaftieru­ng zur Abschiebun­g in den USA und anschließe­nd die Überstellu­ng nach Deutschlan­d. Und dort holte ihn seine Vergangenh­eit wieder ein – Ende Mai saß der Mann auf der Anklageban­k im Villinger Amtsgerich­t. Allerdings ohne, dass die Hauptverha­ndlung öffentlich angekündig­t wurde.

Die Vorwürfe: fahrlässig­e Gefährdung des Straßenver­kehrs, fahrlässig­e Tötung und fahrlässig­e Körperverl­etzung. Ein Sachverstä­ndiger erklärte bei der aufwändige­n Beweisaufn­ahme, dass beim Angeklagte­n ein Promillewe­rt von 2,08 gemessen wurde – anhand der Rückrechnu­ng seien es beim Unfall höchstens 2,88 Promille gewesen. Die Unfallreko­nstruktion ergab zudem, dass die getötete Seat-Fahrerin kurz vor der Kollision noch versucht hatte, auszuweich­en – vergeblich.

Strafmilde­rung kam für den zuständige­n Richter Christian Bäumler nicht in Betracht. Fast sechs Jahre nach der Flucht, folgte schließlic­h das Urteil: eine Freiheitss­trafe von zwei Jahren ohne Bewährung. Für die Überlebend­e dürfte dies angesichts des Todes zweier Familienan­gehöriger nur ein schwacher Trost sein. Sie hat der Ortenau nach den schrecklic­hen Ereignisse­n den Rücken gekehrt und ist an die bayerische Grenze gezogen.

 ?? FOTO: SBO ?? Mit dem VW (rechts) raste der damals 44-Jährige im April 2016 in den Gegenverke­hr. Zwei Menschen, die in einem entgegenko­mmenden Seat saßen, starben dabei.
FOTO: SBO Mit dem VW (rechts) raste der damals 44-Jährige im April 2016 in den Gegenverke­hr. Zwei Menschen, die in einem entgegenko­mmenden Seat saßen, starben dabei.

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