Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Werbeverbot für Abtreibungen fällt
Bundestag schafft Paragraf 219a ab – Einigen reicht das nicht, anderen geht es zu weit
BERLIN/BONN (AFP/KNA) - Das sogenannte Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche ist bald Geschichte: Der Bundestag hat am Freitag die Abschaffung des Strafrechtsparagrafen 219a beschlossen. Für die Streichung stimmten die Koalitionsfraktionen von SPD, Grünen und FDP sowie die Linksfraktion. Union und AfD votierten dagegen. Kritik am Beschluss kam von der katholischen Kirche. Man werde sich auch weiter „konkret und politisch für den Schutz des ungeborenen Lebens und die Sorgen und Nöte ratsuchender Frauen einsetzen“, erklärte Matthias Kopp, der Sprecher der Bischofskonferenz. In den USA kippte derweil das Oberste Gericht das generelle Recht auf Abtreibung.
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BERLIN (dpa) - „Werbung“für Abtreibung: schon der Begriff sorgt bei vielen für Irritationen. Was soll das heißen? Ärzte, die Frauen mit Werbesprüchen dazu verleiten wollen, abzutreiben? „Absurd und aus der Zeit gefallen“, sagt Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) über diese Gedanken, über das, was der Paragraf 219a für Ärztinnen und Ärzte in Deutschland seit seinem Inkrafttreten im Jahr 1933 bedeutet. Geldstrafen und Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren sieht der 219a bislang vor, für jene, die öffentlich für Schwangerschaftsabbrüche werben. Also auch für Mediziner, die möglicherweise nur sachliche Informationen über den Eingriff auf ihre Website stellen wollen. Bis wohin reicht die Information – und wo beginnt die Werbung? Darüber gibt es seit Jahrzehnten Streit.
Auch im Bundestag geht es an diesem Freitag heftig zur Sache. SPD, Grüne, FDP und die Linke scheinen in ihrer Haltung wie von einem eisernen Vorhang von Union und AfD getrennt. Um kurz nach halb 11 Uhr dann die historische Entscheidung: Paragraf 219a wird abgeschafft. Das Parlament votiert für seine Streichung aus dem Strafgesetzbuch. Schon bald wird es keinen Paragrafen mit dem Titel „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“mehr geben.
Alle Urteile gegen Ärztinnen und Ärzte, die auf Basis des Paragrafen seit 1990 ergangen sind, hebt die Bundesregierung damit auf. Die deutschlandweit bekannte Gießener Ärztin Kristina Hänel sitzt im entscheidenden Moment auf der Besuchertribüne. 2017 war sie erstmals verurteilt worden, weil sie auf ihrer Webseite Informationen zu Abtreibungsmethoden anbot. Jetzt lauscht sie mit Maske der Debatte, nickt ein paar Mal, als Parlamentspräsidentin Bärbel Bas (SPD) das Ergebnis verkündet. Ihre Mitstreiterinnen sitzen um sie herum, lächeln sie an, drücken ihre Hand. Auch wenn sie eine Maske trägt, ist zu spüren: Für Hänel ist es ein Moment der Genugtuung, ein Moment, auf den sie jahrelang gewartet hatte.
„Heute ist ein großartiger Tag“, sagt die grüne Frauenministerin Lisa Paus. Auch sie ist berührt und begeistert, spricht von einem „Triumph“für Frauen und Mediziner in Deutschland. Jetzt sei endlich Schluss mit der Stigmatisierung von Ärztinnen und Ärzten. Jetzt könnten ungewollt Schwangere endlich barrierefrei Zugang zu den Informationen erhalten, die sie brauchen. Und dann legt sie noch mit einem Satz nach, der bei Union und AfD für besondere Empörung sorgt: „Man muss auch über den Paragraf 218 reden.“
Die AfD bezeichnet das als „Dammbruch“. Die Union, für die es ohnehin ein schwarzer Tag ist, bringt es noch zusätzlich zur Weißglut. Kann es etwa sein, dass die Ampel im nächsten Schritt plant, Schwangerschaftsabbrüche an sich zu legalisieren? Das würde eine Abschaffung von Paragraf 218 bedeuten – Union und AfD schalten in den Alarmmodus. Paus fügt hinzu: Nicht die Ampel-Koalition, sondern eine extra dafür eingerichtete Kommission werde sich bald mit der Frage befassen, inwieweit Schwangerschaftsabbrüche im Strafgesetzbuch geregelt sein sollten. Was wiederum die Linke enttäuscht: Die wünscht sich, dass Schwangerschaftsabbrüche so schnell wie möglich straffrei werden. Auch der „Zwang“, sich vor einem Abbruch beraten zu lassen, ist der Fraktion ein Dorn im Auge.
Ganz anders die Stimmung auf der anderen Seite. Union und AfD betonen das Recht des ungeborenen Lebens, das mit der Entscheidung zu 219a zu kurz komme. Nun sei der Weg geebnet für jede Art von Werbung zu Schwangerschaftsabbrüchen. Falsch, entgegnet Justizminister Buschmann. Irreführende Werbung bleibe weiterhin verboten, das sei nun durch eine neue Erfassung von Schwangerschaftsabbrüchen im Heilmittelwerbegesetz geregelt. Es gehe vor allem darum, das Recht von Ärztinnen und Ärzten, über die Eingriffe zu informieren, zu stärken und die Hürden für betroffene Frauen abzubauen. „Es ist höchste Zeit, meine Damen und Herren“, ruft Buschmann ins Plenum. „Jede Verurteilung von Ärztinnen und Ärzten ist eine Verurteilung zu viel.“
Für Kristina Hänel war jede Verurteilung bislang ein Ansporn, gegen Paragraf 219a vorzugehen. An diesem Freitag hat sie ihr Ziel erreicht.