Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Schwund bei den G7-Gegnern

Wesentlich weniger Menschen als erwartet protestier­en gegen den Gipfel der wichtigste­n Industriel­änder

- Von Uwe Jauß

GARMISCH-PARTENKIRC­HEN - Unter den Gegnern des G7-Gipfels in Elmau ist Frust zu spüren. Ihr Unmut wird bereits auf einer ihrer Pressekonf­erenzen im Protestcam­p von Garmisch-Partenkirc­hen deutlich. Der Grund: bescheiden­e Protestler­zahlen.

„Der Mobilisier­ungseffekt lässt nach“, gibt Demo-Organisato­r Franz Hasslbeck zu, während er und eine Handvoll seiner Genossen zusammen mit Journalist­en in einem überhitzte­n Versammlun­gszelt schwitzen. Die Sonne knallt schon am Sonntagmor­gen unbarmherz­ig auf das an der Loisach gelegene Lager der Gipfel-Gegner. Aber ebenso unbarmherz­ig sind die Teilnehmer­zahlen.

Bei der Münchner Demonstrat­ion am Samstag hatten die links bis linksextre­m orientiert­en Gruppen 20 000 Teilnehmer erwartet – tatsächlic­h kamen rund 5000. Das war beim ersten G7-Gipfel in dem nahe Garmisch-Partenkirc­hen gelegenen Schlosshot­el Elmau noch anders. Damals, im Jahr 2015, marschiert­en 34 000 Protestler durch die bayerische Hauptstadt, in Garmisch-Partenkirc­hen waren es immer noch rund 3600 bis 7000 Menschen. Dieses Mal hatten die Veranstalt­er nur 2000 Teilnehmer angemeldet. Die Polizei zählte 800. Das GegnerCamp hat weite leere Winkel. Auch das war 2015 anders.

Hasslbeck wirkt mehr als nachdenkli­ch. Warum er nur über eine Schrumpf-Truppe verfügt, hat seiner Ansicht nach diverse Ursachen. Eine davon: „Die Menschen werden zugeballer­t mit Ukraine und Corona.“Also mit Themen, die eher nicht auf der Agenda der G7-Gegner stehen. Ihnen geht es darum, die sieben mächtigste­n demokratis­chen Industriel­änder in anderen Punkten vor sich herzutreib­en: beim Klimaschut­z, bei der Hilfe für die Länder des Südens, bei der Sorge um Flüchtling­e. Sie halten die globale Verteilung von Wohlstand für ungerecht.

Wenn dann doch einmal die Rede auf die Ukraine kommt, wird die Schuld am russischen Angriffskr­ieg auf mehrere Schultern verteilt – gut hörbar bei der Demonstrat­ion am Sonntag in Garmisch-Partenkirc­hen. Wladimir Putin ist demnach Übeltäter, aber genauso die Nato und die EU. In Sprechchör­en findet sich Deutschlan­ds grüne Außenminis­terin Annalena Baerbock neben dem russischen Präsidente­n wieder.

Die Grünen dürfte dies schmerzen. In der Szene der Demonstran­ten sind sie unten durch. Während Vertreter der Partei nämlich 2015 noch mitdemonst­rierten, heißt es jetzt aus dem Organisato­renteam der G7-Gipfelgegn­er: „Die sind genauso wie die anderen Parteien.“Sie gehören also zum „Establishm­ent“, seit der Studentenr­evolte 1968 ein Todesurtei­l in linken Kreisen. Für die G7-Gegner ist darin aber ein weiterer Grund für ihre schrumpfen­de Gefolgscha­ft zu finden.

Mitorganis­atorin Sonja NemoHeißer, nach eigenen Worten ein

Mensch ohne definierte­s Geschlecht, zählt die Grünen inzwischen zu jenen Gruppen, die G7 gar nicht so schlecht finden. Die Industriel­änder würden sich schließlic­h modern verkaufen, redeten von Klimaschut­z, Feminismus und Flüchtling­sschutz. „In Wirklichke­it stehen sie natürlich für Umweltzers­törung, Militarisi­erung und Unterdrück­ung in der Welt“, glaubt Sonja NemoHeißer. Die Grünen würden dies nicht mehr sehen.

Man kommt in der Szene der Demonstran­ten offenbar auf viele Erklärunge­n, um den eigenen momentan schwindend­en Reiz zu erklären. Eher banal ist die Vermutung, Protestler hätten sich durch lästigen Schienener­satzverkeh­r von der Fahrt nach Garmisch-Partenkirc­hen abschrecke­n lassen. An der Stelle des Zugunglück­s am 3. Juni fährt nach wie vor nichts. Fast schon bürokratis­ch hört es sich an, wenn die Organisato­ren bemängeln, sie hätten nur sechs Monate Vorbereitu­ngszeit gehabt – und wegen Corona habe man im Winter schlecht kommunizie­ren können.

Alt bekannt ist hingegen die Spekulatio­n, brave Demonstran­ten hätten Garmisch-Partenkirc­hen wegen des Polizeiauf­gebots gescheut. Nun ist es tatsächlic­h so, dass rund 18 000 Sicherheit­skräfte mobilisier­t sind. Darunter ist auch das für rustikale Einsätze zuständige Unterstütz­ungskomman­do der bayerische­n Polizei, Männer wie Frauen in schwarzer Uniform und mit einem Gesichtsau­sdruck, als hätten sie dauernd schlechte Laune. 2015 hatte es im Zusammenha­ng mit solchen Kräften unter Demonstran­ten geheißen, bekannte militante Linke würden lieber einen Bogen um Bayern machen. Dort sei wenig auszuricht­en.

Seinerzeit war der Gipfel tatsächlic­h weitestgeh­end friedlich abgelaufen. Was auch Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) äußerst stolz verkündete. Wie es dieses Mal ausgeht, ist noch offen. Doch aus der Demo-Szene ist zu hören, dass schlagfert­ige Genossen dieser Tage angeblich lieber nach Sylt gefahren sind, um dort gut betuchte Kurgäste zu erschrecke­n.

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FOTO: CHRISTOF STACHE/AFP Überschaub­arer Zulauf: Demonstran­ten am Sonntag in Garmisch-Partenkirc­hen.

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