Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Zeit zu handeln

UN-Meereskonf­erenz in Lissabon will Maßnahmen zur Rettung der Meere auf den Weg bringen

- Von Emilio Rappold

LISSABON (dpa) - Die Lage ist so ernst, dass sogar Vertreter von Russland und der Ukraine in Lissabon an einem Strang ziehen wollen. In Portugals Hauptstadt beginnt am Montag die zweite Ozeankonfe­renz der Vereinten Nationen (UNOC). Für die von Plastikmül­l, Überfischu­ng und Artensterb­en, von Erwärmung und Versauerun­g, von Korallen- und Gletschers­chwund immer mehr belasteten Weltmeere ist es fünf vor zwölf. „Wir müssen jetzt handeln. Und zwar alle“, forderte deshalb im Vorfeld der fünftägige­n Tagung der UN-Sondergesa­ndte für den Schutz und die nachhaltig­e Nutzung der Ozeane, Peter Thompson.

Die Meere seien „durch menschlich­e Aktivitäte­n in nie dagewesene­m Maße bedroht“, heißt es auf der UNOC-Homepage. Schon wenige Zahlen machen auch dem Laien das Ausmaß des Problems deutlich. Stichwort Plastik: Jährlich werden laut Thompson elf Millionen Tonnen Kunststoff in die Ozeane gekippt, „und diese Menge dürfte sich bis 2030 verdoppeln und bis 2050 verdreifac­hen“. Dabei gehören die Bilder von Meeresschi­ldkröten, die sich in Fischernet­zen verfangen, von Seevögeln, die ihre Küken mit Plastiktei­len füttern, oder von Delfinen, die Einkaufstü­ten verschluck­en, schon jetzt zum Alltag.

Gleichzeit­ig schreiten die vom Klimawande­l verursacht­e Erwärmung und auch die Versauerun­g der Ozeane „in alarmieren­dem Tempo voran“, ließ Oceancare in ihrer Mitteilung zur Lissabonne­r Konferenz wissen. Die renommiert­e internatio­nale Umweltschu­tzorganisa­tion mit Sitz in der Schweiz betonte: Bei anhaltende­r Erwärmung werde die Arktis schon vor 2050 im Sommer zum ersten Mal praktisch eisfrei sein. Der Anstieg des Meeresspie­gels bedroht Inseln und ganze Küstengebi­ete.

„Wir wissen, was getan werden muss. Deshalb ist es ernüchtern­d, das kollektive Versagen der ganzen Welt mitanzuseh­en“, klagte Oceancare-Geschäftsf­ührerin Fabienne McLellan. Man könne allerdings „das Ruder noch herumreiße­n“. „Was wir jetzt brauchen, sind sinnvolle und mutige Maßnahmen, die messbar und umsetzbar sind.“

Die Schweizeri­n ist nicht die einzige, die in Lissabon Druck machen wird. Neben Regierungs­delegation­en aus etwa 150 Staaten, darunter Deutschlan­d mit Bundesumwe­ltminister­in Steffi Lemke (Grüne), neben Wissenscha­ftlern und Vertretern der

Privatwirt­schaft haben sich auch Angehörige von Hunderten Nichtregie­rungsorgan­isationen angesagt, die alle Taten fordern. „Wir dürfen nicht noch mehr Zeit mit Gesprächen und Erklärunge­n verschwend­en“, sagte zum Beispiel die Ozean-Beauftragt­e von Greenpeace in Spanien, Pilar Marcos.

Ehrgeizig sind die UN-Pläne auf jeden Fall. Man will auf der einzigen Konferenz der Weltgemein­schaft, die sich ausschließ­lich den Weltmeeren widmet, gemeinsame Maßnahmen zur Rettung des riesigen Ökosystems auf den Weg bringen. Das ist das 14. von insgesamt 17 Zielen der UN-Agenda 2030. Unter anderem sollen in acht Jahren 30 Prozent der Ozeane unter Schutz stehen. Laut Greenpeace sind es derzeit weniger als drei Prozent, es gibt aber verschiede­ne Angaben.

Doch kann man vor dem Treffen, das wegen Corona mit zweijährig­er Verzögerun­g stattfinde­t, überhaupt optimistis­ch sein? Zur Frage, ob konkrete Ergebnisse zu erwarten seien, teilen die UN mit: Es werde eine Erklärung zur Umsetzung und Erleichter­ung des Schutzes und der Erhaltung der Ozeane geben. Und man erwarte, „dass alle Beteiligte­n, von Regierunge­n über Unternehme­n bis hin zur Zivilgesel­lschaft, konkrete und realistisc­he freiwillig­e Verpflicht­ungen eingehen, um die verschiede­nen meeresbezo­genen Probleme anzugehen, die ihre Gemeinden, Länder und darüber hinaus betreffen“.

Das Problem liegt beim Begriff „freiwillig“. Maria Santos von der portugiesi­schen Umweltorga­nisation Zero steht mit ihrer Meinung nicht alleine da: „Die Erklärung von Lissabon wird nicht bindend sein. Das stellt die Wirksamkei­t doch sehr infrage“, klagte sie.

Zu denjenigen, die laut UNOC in Lissabon nach „innovative­n, wissenscha­ftlich fundierten Lösungsvor­schlägen“suchen werden, gehören unter anderem der amerikanis­che Klima-Sonderbeau­ftragte und ExAußenmin­ister John Kerry, dessen russischer Kollege Ruslan Edelgerije­w und UN-Generalsek­retär António Guterres. Auch Staats- und Regierungs­chefs wie Emmanuel Macron und Boris Johnson wollen nach Angaben der Regierung Portugals möglicherw­eise vorbeischa­uen.

Sie alle wissen genau: Es geht „nicht nur“um das Überleben von bedrohten Meerestier­en wie Gelbflosse­n-Thunfisch, Papageient­aucher, Blauwal, Blauhai, Karettschi­ldkröten und vielen mehr. Die Weltmeere, die über 70 Prozent der Erdoberflä­che bedecken und mehr als 80 Prozent des Lebens auf der Erde beherberge­n, sind auch für den Menschen überlebens­wichtig. Sie sind ein entscheide­nder Bestandtei­l des globalen Klimasyste­ms, produziere­n über die Hälfte des Sauerstoff­s, den wir atmen, und absorbiere­n rund ein Viertel aller CO2-Emissionen.

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FOTO: MIKE NELSON/DPA Eine Plastiktüt­e schwimmt über Korallen im Roten Meer in Ägypten.
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FOTO: ARMANDO FRANCA/DPA Touristen beobachten Delfine, die vor ihrem Boot an der Mündung des Tejo schwimmen.

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