Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Kleinkunst am Kühler

Fußgängers­chutz und Aerodynami­k haben die Bühne am Bug bereinigt – Aufwand bei Auto-Markenzeic­hen bleibt

- Von Thomas Geiger

WÜLFRATH/GOODWOOD (dpa) Ein Dutzend Einzelteil­e und ebenso viele Arbeitssch­ritte, vom Druckguss bis zur Politur, die Montage von Hand und danach eine mechanisch­e Endkontrol­le für jedes einzelne Exemplar: Wo andere einfach nur eine Plakette ans Auto pappen, treibt der Zulieferer Witte Automotive für den Stern hoch oben auf dem Kühler der meisten MercedesMo­delle einen großen Aufwand.

„Jeder Stern geht durch zehn Hände, bevor er unser Werk in Wülfrath verlässt“, sagt Pressespre­cherin Bettina Janke und nennt imposante Zahlen: So werden für die bis zu 30 000 Sterne im Monat fast sieben Tonnen einer speziellen Zinklegier­ung verarbeite­t. Die Produktion mag komplizier­t sein, doch kreativ ist sie nicht. Schließlic­h gibt es bei Mercedes nur die eine Kühlerfigu­r. Und selbst die macht immer öfter Platz für einen großen Stern im Grill.

Früher war das ganz anders, sagt Ruth Schumacher. Die Waiblinger­in hat eine der größten Sammlungen an Kühlerfigu­ren zusammenge­tragen. Dass sie mittlerwei­le über circa 1500 verschiede­ne Kühlerfigu­ren und Embleme ihr Eigen nennt, liegt an der Kreativitä­t der ersten Autokäufer. Denn in den Kindertage­n des Autos waren es nicht die Hersteller, sondern die Kunden, die eine entspreche­nde Figur beim Kunsthandw­erker ihrer Wahl in Auftrag gegeben haben, so Schumacher.

Wer bei Oldtimertr­effen durch die Reihen schreitet, sieht deshalb gläserne Schwäne, goldene Löwen, silberne Schweine, Indianerkö­pfe aus Bleikrista­ll und sogar tanzende Elefanten. Während den BugattiEle­fanten wohl nur Experten kennen, ist der „Geist der Verzückung“, so die offizielle Übersetzun­g der Rolls-Royce-Patin, so geläufig, dass die meisten die leicht bekleidete Muse sogar beim Spitznamen kennen: Lady Emily. Die Skulptur wird in einer kleinen Manufaktur bei

Southampto­n weitgehend von Hand hergestell­t. Die mehrtägige Prozedur beginnt laut Hersteller mit einem 3D-Abbild des Originals, aus dem im nächsten Schritt ein Werkzeug entsteht, dessen kleinste Details zusätzlich von Spezialist­en mit extrem feinen Messern nachgearbe­itet werden. Diese Formen werden bei 1600 Grad Celsius mit flüssigem Edelstahl gefüllt. Danach werden Gussreste im Luftstrom mit Stahlkügel­chen von 0,04 Millimeter­n Durchmesse­r entfernt. Erst dann erzeugen die Polierer mit viel Fingerspit­zengefühl und noch mehr Zeit jenen besonderen Hochglanz, der jede Emily so ungemein kostbar schimmern lässt. Trotz ihres jugendlich­en Looks hat die Dame bereits über 100 Jahre auf dem Buckel, seit sie 1911 das erste Mal montiert wurde. Doch die älteste Kühlerfigu­r ließ sich Lord Montagu of Beaulieu 1899 auf den Kühler seines Daimlers schrauben. Sein Christophe­rus gilt als erste und damit älteste Kühlerfigu­r der PS-Welt. „Der Fußgängers­chutz und die Aerodynami­k machen der Kühlerfigu­r das Leben schwer“, sagt Ruth Schumacher. Wo es früher zuging wie im Skulpturen­garten, ist die Kühlerfigu­r heute zur Seltenheit geworden.

Das heißt nicht, dass die Marken diese Figuren nicht mehr wertschätz­en: So hat Bentley zur Premiere des Flying Spur auch wieder ein neues Flying B für den Kühler entwickelt. Allein für das Design dieses geflügelte­n und auf Wunsch auch beleuchtet­en Buchstaben­s hat man sich laut Hersteller mehr als ein Jahr Zeit gelassen.

Nur weil sie die Kühlerfigu­ren ausgemuste­rt haben, mangelt es aber auch den anderen Marken nicht gleich an der Liebe zum eigenen Label. Klar, der Opel-Blitz, der Peugeot-Löwe und selbst der berühmte Dreizack von Maserati, die platt auf dem Blech kleben, sind Massenarti­kel aus dem Aluminiumo­der Kunststoff-Spritzguss und kosten nur ein paar Cent. Doch beweisen andere Marken, dass man auch für solche Applikatio­nen einen großen Aufwand treiben kann.

Die Special Vehicle Operations (SVO) von Jaguar und Land Rover etwa führt mit dem neuen Range Rover auch ein neues Badge ein, das eigens aus Keramik hergestell­t wird und deshalb optisch wie haptisch ganz neue Eindrücke verspricht, sagt SVO-Chef Michael van der Zande. Das Markenlogo von Bugatti im Grill des Chiron wird laut Hersteller bei einem Juwelier in Süddeutsch­land aus massivem Sterling-Silber gegossen und so aufwendig emailliert, dass die Produktion mehrere Tage dauert und pro Teil schon im Einkauf allein 500 Euro kostet.

 ?? FOTO: BUGATTI ?? Hand anlegen: Ein Emblem für den Bugatti Chiron entsteht mit manueller Hilfe.
FOTO: BUGATTI Hand anlegen: Ein Emblem für den Bugatti Chiron entsteht mit manueller Hilfe.
 ?? FOTO: KLAUS-DIETMAR GABBERT/DPA ?? Ein Jaguar aus den 1950er-Jahren.
FOTO: KLAUS-DIETMAR GABBERT/DPA Ein Jaguar aus den 1950er-Jahren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany