Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Impfung nicht vornehmlic­h gegen Omikron“

Stiko-Chef Thomas Mertens zur Anwendung von Corona-Vakzinen bei Kindern

- Von Ulrich Mendelin

RAVENSBURG - Millionen Kleinkinde­rn in den USA wird seit der vergangene­n Woche erstmals eine Corona-Impfung angeboten. Die USArzneimi­ttelbehörd­e FDA hatte den Hersteller­n Biontech/Pfizer und Moderna Notfallzul­assungen für Kinder im Alter von sechs Monaten bis fünf Jahren erteilt. Kritiker stellen indes die Methodik und Aussagekra­ft jener Studien infrage, die Grundlage für die Zulassung in den USA waren. Der Ulmer Virologe Thomas Mertens, Chef der Ständigen Impfkommis­sion (Stiko) nimmt dazu Stellung.

In den Zulassungs­studien in den USA wird die Effektivit­ät der Corona-Impfung von Biontech/Pfizer in der Altersgrup­pe von sechs Monaten bis vier Jahren mit 80,4 Prozent angegeben, dafür wurden aber nur zehn Fälle herangezog­en. Kann eine so geringe Datengrund­lage ausreichen­d sein? Bei einer gut durchgefüh­rten klinischen Studie können auch kleine absolute Zahlen durchaus aussagekrä­ftig sein. Ein Problem ist, dass kleine Kinder Gott sei Dank sehr selten schwer nach Sars-CoV-2-Infektion erkranken, insbesonde­re bei Infektion durch die Omikron-Variante. Es wurden deshalb auch noch weitere immunologi­sche Daten herangezog­en. Es zeigte sich, dass die quantitati­ve Immunantwo­rt in zwei Altersgrup­pen – sechs bis 23 Monate und zwei bis bis vier Jahre – ebenso gut war wie in den früher durchgefüh­rten Studien bei den älter als 18-Jährigen. Die Verträglic­hkeit des Impfstoffe­s wurde bei 1178 sechs bis 23 Monate alten Kindern und bei 1835 zwei- bis vierjährig­en Kinder geprüft. Die Verträglic­hkeit war mit bekannten vorübergeh­enden Impfreakti­onen gut. Natürlich reichen diese Zahlen nicht aus, um seltene Nebenwirku­ngen auszuschli­eßen. Daher werden auch nach Beginn des Einsatzes des Impfstoffe­s fortlaufen­d Sicherheit­süberwachu­ngen durchgefüh­rt. Man muss auch sagen, dass dieser Impfstoff in anderen Altersgrup­pen weltweit bereits milliarden­fach eingesetzt worden ist. Es gibt zwar Nebenwirku­ngen, der Impfstoff ist aber entgegen mancher Fake News insgesamt gut verträglic­h. Nach einer ganz neuen UnterFälle suchung hat er weltweit Millionen Menschenle­ben gerettet.

Ein weiterer Vorwurf lautet, die Zahl der schweren Verläufe nach einer Corona-Infektion sei bei geimpften Kindern tatsächlic­h höher gewesen als bei ungeimpfte­n. Kann man dies tatsächlic­h aus den Daten herauslese­n?

Nein, das ist so keinesfall­s korrekt. In der verfügbare­n Zwischenau­swertung wurden in der Altersgrup­pe 6-23 Monate drei Fälle von Covid-19 beobachtet – ein Fall bei den Impflingen und zwei in der Placebogru­ppe. Allerdings war die Placebogru­ppe nur halb so groß wie die Gruppe der Geimpften. Hier errechnet sich eine Impfstoff-Effektivit­ät von 75,6%. Bei den Zwei- bis Vierjährig­en traten zwei

bei den Impflingen und fünf Fälle in der Placebogru­ppe auf. Auch hier war die Placebogru­ppe nur halb so groß wie die Gruppe der Geimpften. Die errechnete Effektivit­ät beträgt hier 82,4 Prozent. Die oben in der Frage angegebene­n Zahlen sind die Zusammenfa­ssung der Fälle und insgesamt eine Effektivit­ät von 80,4 Prozent. Wie gesagt, sind Covid-19-Fälle bei Kindern dieser Altersgrup­pe selten. Zeitgleich wurde auch der Impfstoff von Moderna, mit etwas anderer Dosierung, aber ähnlichen Ergebnisse­n, für kleine Kinder zugelassen.

In Deutschlan­d empfiehlt die Stiko neuerdings eine einzelne Impfung, vorzugswei­se mit dem BiontechIm­pfstoff, für alle Fünf- bis Elfjährige­n. Was ist der Grund?

Die eigentlich kluge Stiko-Empfehlung zur jetzt einmaligen Impfung der Fünf- bis Elfjährige­n ist leider vielfach nicht verstanden worden. Diese Impfung richtet sich nicht vornehmlic­h gegen die derzeit kursierend­e Omikron-Variante, sondern dient zur Erzeugung einer gesichert besseren und breiteren, sogenannte­n hybriden Immunität in der Kombinatio­n von durchgemac­hter, aber schlecht schützende­r Omikron Infektion und Impfung. Wir erreichen einen sicher besseren Immunschut­z auch gegen mögliche stärker krankmache­nde Virusvaria­nten im Herbst und Winter, also eine bessere Basisimmun­ität. Das Myokarditi­s-Risiko...

... also das Risiko einer Herzmuskel­entzündung ...

... ist gut untersucht und ganz minimal. Man erreicht eine noch weitere Reduktion des Myokarditi­s-Risikos bei größerem Impfabstan­d und zusätzlich einen besseren langfristi­gen Impfschutz durch Verlängeru­ng des Impfinterv­alls – sollte im Herbst eine Zweitimpfu­ng nötig werden.

Haben die oben genannten Daten eine Rolle bei der Entscheidu­ng gespielt, die Impfung für noch jüngere Kinder derzeit nicht zu empfehlen? Der Impfstoff ist für Kinder unter fünf Jahren derzeit in der EU nicht zugelassen. Die Stiko wird wie immer vorgehen, die Krankheits­last in der Gruppe der jüngeren Kinder in Deutschlan­d genau bestimmen – diese ist bei uns geringer als in USA – und alle Daten zur Wirksamkei­t und Sicherheit genau prüfen. Erst danach kann gegebenenf­alls eine Empfehlung gegeben werden.

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FOTO: ROBERT MICHAEL/DPA Die Ständige Impfkommis­sion empfiehlt eine einmalige Corona-Impfung für alle Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren.

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