Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Stress erhöht die Schlaganfa­ll-Gefahr“

Psychische Belastung kann laut Neurologe Armin Grau zu hohem Blutdruck führen – Die genauen Zusammenhä­nge sind noch unklar

- Von Angela Stoll

INGOLSTADT - Lag es am Übergewich­t? An ungesunder Ernährung? Oder doch am Dauerstres­s am Arbeitspla­tz? Wer einen Schlaganfa­ll überstande­n hat, macht sich nachträgli­ch viele Gedanken. Welche Ursachen die Krankheit aber wirklich hatte, lässt sich oft nicht eindeutig feststelle­n. Meist kommen mehrere Faktoren zusammen, dabei kann Stress durchaus eine Rolle spielen. Der Neurologe Professor Armin Grau aus Ludwigshaf­en erklärt, was aus Studien zu Risikofakt­oren bekannt ist. Der 63-Jährige (Bild: oh) ist seit 2003 Chefarzt für Neurologie am Klinikum Ludwigshaf­en.

Stimmt es, dass Stress einen Schlaganfa­ll auslösen kann?

Eine Reihe von Studien hat gezeigt, dass sehr starke psychische Anspannung tatsächlic­h mit einem gesteigert­en Risiko für einen Schlaganfa­ll einhergehe­n kann. Man muss sich aber klarmachen, dass die Risikoerhö­hung, die sich dadurch ergibt, im Vergleich zu anderen Risikofakt­oren nicht besonders groß ist. Metaanalys­en, also Übersichts­arbeiten, die andere Studien zusammenfa­ssen, haben ein um etwa ein Drittel erhöhtes Risiko ergeben.

Das ist nicht wenig.

Es kommt darauf an, womit man es vergleicht. Bluthochdr­uck ist zum Beispiel ein deutlich mächtigere­r

Faktor und Vorhofflim­mern erst recht.

Welche Art von Stress ist besonders gefährlich – Überforder­ung am Arbeitspla­tz, Beziehungs­krisen, Geldsorgen?

Das weiß man nicht so genau. Die Metaanalys­e hat generellen Stress und Arbeitsstr­ess zusammenge­fasst. Sie hat keine Einzelanal­ysen gemacht. Man unterschei­det ja zwischen positivem Stress, also Stress, der stimuliere­nd wirkt und mit Befriedigu­ng verbunden ist, und Stress, den wir als belastend empfinden. Mutmaßlich ist es nur der letztere, der die Risiken erhöht.

Muss auch ein gesunder Mensch mit einem Anfall rechnen, wenn er längere Zeit großen Stress hatte? In der Regel ist es so, dass Stress zu anderen Risikofakt­oren, die in ihrer Summe meist viel bedeutsame­r sind, hinzukommt. Das sind vor allem hoher Blutdruck, Diabetes, hoher Cholesteri­nspiegel, Rauchen und Vorhofflim­mern. Aber wir haben manchmal auch jüngere Menschen, bei denen man keine klassische­n Risikofakt­oren und Entstehung­smechanism­en findet. Die Frage ist in solchen Fällen: Warum haben diese Menschen gerade einen Schlaganfa­ll bekommen, warum nicht eine andere Erkrankung? Wer dauernd unter Hochspannu­ng steht, hat ja generell erhöhte Krankheits­risiken. Da ist es die ärztliche Aufgabe zu schauen, ob es nicht doch – vielleicht seltene – Faktoren gibt, die zusätzlich zum Stress dazu führen, dass das Gehirn von einer Durchblutu­ngsstörung betroffen ist.

Warum spielt Stress überhaupt eine Rolle?

Das ist nicht vollständi­g geklärt. Stress bedeutet auch eine Erhöhung des Blutdrucks, sei es kontinuier­lich oder kurzzeitig in einer besonders stressigen Situation. Dadurch kann auch das Schlaganfa­llrisiko steigen. Ansonsten sind Psyche und Körper allgemein eng miteinande­r verbunden. Da gibt es eine Reihe von Mechanisme­n, die wir heute noch nicht alle verstehen.

Angeblich können auch tragische Nachrichte­n einen Schlaganfa­ll auslösen.

Auch das ist untersucht worden. Man spricht hier von „stressful life events“, also sehr belastende­n Lebenserei­gnissen. Manche Studien haben eine Verbindung entdeckt, andere nicht. Eine Metaanalys­e hat hier insgesamt keinen statistisc­h signifikan­ten Zusammenha­ng gefunden. Das ist in der Wissenscha­ft also eine immer noch unbeantwor­tete Frage mit widersprüc­hlichen Ergebnisse­n. Aber im Einzelfall ist das möglich.

Was kann einen Schlaganfa­ll sonst noch auslösen?

Grundsätzl­ich muss man zwischen Risiko- und Triggerfak­toren unterschei­den. Risikofakt­oren sind solche, die kontinuier­lich oder über längere Zeit vorhanden sind, also Bluthochdr­uck, Diabetes, Übergewich­t.

Die Frage ist aber, warum der Schlaganfa­ll genau zu einem bestimmten Zeitpunkt entsteht. Viele Studien haben sich daher mit den unmittelba­ren Auslösern, den Triggerfak­toren, beschäftig­t. Das sind zum Beispiel kürzlich durchgemac­hte Infektione­n, Operatione­n und Unfälle.

Spielen Infektione­n eine große Rolle?

Ja. Man weiß, dass das Schlaganfa­llrisiko in den ersten vier Wochen nach einer Infektion ganz klar erhöht ist. Da spielen vor allem Atemwegsin­fekte eine Rolle, aber auch Harnwegsin­fekte und andere Infektions­herde im Körper. Jede Infektion löst eine Entzündung­sreaktion aus, und diese geht mit einer Aktivierun­g des Gerinnungs­systems einher. Dadurch ergibt sich für eine kürzere Zeit eine erhöhte Thrombosen­eignung. Man weiß auch, dass nichtinfek­tiöse Entzündung­serkrankun­gen und Autoimmune­rkrankunge­n, die mit einer Entzündung einhergehe­n, zu einem erhöhten Schlaganfa­llrisiko führen.

Auch Covid-19 gehört dazu? Absolut. Covid spielt hier genau die gleiche Rolle wie andere Infektione­n auch. Dass es einen Zusammenha­ng zwischen Infektione­n und Schlaganfa­ll gibt, ist seit dem 19. Jahrhunder­t bekannt. Da haben zum Beispiel Leute wie Sigmund Freud, bevor er Psychiater wurde, darüber gearbeitet. Später ist der Zusammenha­ng in Vergessenh­eit geraten, seit den 1980er-Jahren aber wieder erforscht worden.

Schützt eine Grippeimpf­ung vor Schlaganfä­llen?

Das ist ein spannendes Thema. Viele Studien haben zeigen können, dass eine Grippeschu­tzimpfung das Schlaganfa­llrisiko mindert. In der Wissenscha­ft ist aber umstritten, ob das ein echter, das heißt ursächlich­er Effekt oder eine indirekte Folge ist. Menschen, die gesundheit­sbewusster sind, werden nämlich auch häufiger geimpft. Daher könnte das geringere Schlaganfa­llrisiko auch auf der gesünderen Lebensweis­e beruhen. Das ist ein noch nicht ausreichen­d gelöstes Rätsel. Ich bin gespannt, wie das wird, wenn man Patienten mit und ohne Covid-19-Impfung hinsichtli­ch des Schlaganfa­llrisikos untersucht. Das wird noch eine spannende Sache.

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FOTO: JAN-PETER KASPER/DPA Bei einem Schlaganfa­ll werden bestimmte Bereiche des Gehirns starkt geschädigt. Millionen von Zellen sterben ab.
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