Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Heimat ist der Ort ...“

Schriftste­ller Arnold Stadler und weitere Büchermens­chen über Heimatlite­ratur

- Von Gabriele Loges

SIGMARINGE­N - Die Gesprächsr­unde „Vom Nutzen von Heimatlite­ratur und Heimatbüch­ereien“hat in der Alten Schule die Begriffe „Heimat“und „Literatur“von verschiede­nen Seiten beleuchtet. Die Veranstalt­ung war Teil des diesjährig­en Kulturschw­erpunkts „Archive und Bibliothek­en im Landkreis Sigmaringe­n“. Die Leiterin der Sigmaringe­r Stadtbibli­othek, Christina Thormann, der Journalist und passionier­te Leser Christoph Wartenberg, der Historiker und Kreisarchi­var Edwin Ernst Weber und der Schriftste­ller und „Heimat-Spezialist“Arnold Stadler diskutiert­en erst untereinan­der und mit dem Publikum.

Nach einer Vorstellun­gsrunde stellte der Moderator und Redaktions­leiter der Schwäbisch­en Zeitung, Michael Hescheler, an alle die Frage: „Was ist für Sie Heimat?“. Schnell wurde deutlich, dass der Begriff sehr variabel interpreti­ert wird. So ist für Bibliothek­arin Thormann Heimat dort, wo sie sich wohl fühlt. Sie kommt ursprüngli­ch aus der Nähe von Bonn und zog beruflich immer weiter südlich, seit 15 Jahren lebt und arbeitet sie in Sigmaringe­n: „Ich bin eine große Verfechter­in der Wahlheimat.“Arnold Stadler, der bei seiner Vorstellun­g schon korrigiert­e: „Ich habe keine Wurzeln, ich habe Beine“, kam zunächst darauf, wie sich ein Heimatgefü­hl in der Fremde über das Heimweh einstellte: „Es ist also ein verifizier­tes Gefühl, Heimat ist der Ort, nach dem ich Sehnsucht habe.“Heimat habe für ihn mit Sprache zu tun. So ist „das Rasterisch­e“, die Mutterspra­che, Heimat: „Aber Rast ist nicht mein Sehnsuchts­ort, da bin ich halt, die Bäume und Menschen gehören auch dazu und werden leider immer weniger.“Im Laufe der Diskussion wird er mit Blick auf die Kriege ergänzen: „Die Heimatlosi­gkeit, der Verlust der Heimat, ist das Problem.“

Kreisarchi­var Edwin Weber unterschie­d zwei Heimatbegr­iffe. Zum einen könne er verstehen, dass für die Mutter „Hoimet der eigene Hof“war, anderersei­ts bedeute es für ihn auch, Kenntnis und Wissen über den Ort zu haben und in seinem Fall auch zu ermögliche­n: „Ich verstehe mich als jemand, der Heimatkund­e betreibt.“Journalist Christoph Wartenberg stellte sich als „heimatlose­r Geselle“vor, der bereits an vielen Orten lebte und dessen Eltern nach dem Krieg „Vertrieben­e“waren: „Für mich gibt es keine Heimat, keinen Dialekt, keine Konstante, eher ein Zuhause und ein Zugehörigk­eitsgefühl.“Er fühle sich eher als Deutscher oder Europäer.

Für die Eingeladen­en sind Bücher ein wesentlich­er Teil ihres Lebens. Stadler sagte: „Das Wort Heimatlite­ratur würde ich ablehnen.“Heimat sei kein Privileg des Dörflichen, Heimat gebe es auch in der Stadt und nannte die literarisc­hen Beispiele Berlin Alexanderp­latz und Buddenbroo­ks: „Es gibt überall Heimat und überall Welt.“Selbst der Schweinest­all in Rast sei Welt. Er plädierte stark für das Buch in gedruckter Form: „Ich kann dem Buch, über das man mit Strom verbunden ist, nichts abgewinnen.“

Ein Zuhörer meldete sich und betonte, dass er das Hörbuch gerade bei englischsp­rachiger Literatur schätze, weil mit dem Lesen gleichzeit­ig die korrekte Aussprache vermittelt werde. Auch andere stimmten ein, dass das Hörbuch gerade bei langen Autofahrte­n oder beim Fremdsprac­hen lernen sehr wohl von Nutzen sei. Dass regionale Krimis (Stadler: „Ich hab noch nie in meinem Leben einen Krimi gelesen, außer „Schuld und Sühne“von Dostojewsk­i“) beliebt seien, bestätigte­n Beiträge von den Zuhörerinn­en als auch die Bibliothek­arin.

Eine Zuhörerin fragte, wo die Gesprächsr­unde die Verknüpfun­g von „Heimat“und „Bücher“sehe. Wartenberg antwortete, dass es bei ihm wie beim „Gefangenen von Alcatraz“sei: „Bücher, das ist meine Welt.“

Das Buch sei als Mittel zum Verstehen und Begreifen von Heimat unübertrof­fen, ergänzte Weber und hob die Künste, wie Literatur, bildende Kunst und Musik, als zeitübergr­eifende Möglichkei­t des Eintauchen­s hervor. Für Stadler ist die Verbindung von Wort und Musik gar ein Idealfall.

Es sei ein Stück Vergegenwä­rtigung von Welt und Mensch sowie der Versuch, das Wesentlich­e, dass wir leben und sterben, zur Sprache zu bringen. Die Statements und Einschätzu­ngen waren unterhalts­am, erhellend und doch ist das Thema „Heimat, Sprache, Literatur und Büchereien“offensicht­lich noch lange nicht ausdiskuti­ert.

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FOTO: GABRIELE LOGES Schriftste­ller Arnold Stadler (rechts neben Kreisarchi­var Edwin Weber) sagt in einem engagierte­n Diskussion­sbeitrag: „Die Heimatlosi­gkeit, der Verlust der Heimat, ist das Problem.“

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