Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Auf dem Weg zum Gipfel

Die G7-Gegner müssen sich mit kleinen Protesten gegen das Treffen auf Schloss Elmau begnügen. Außer linksextre­mistischen Parolen bleibt wenig hängen.

- Von Uwe Jauß

Sie sind tatsächlic­h auf dem Weg zum Gipfel, zum G7-Treffen auf Schloss Elmau. Doch was nach einer netten Bergwander­ung aussieht (Foto: Angelika Warmuth/dpa) ist Teil des Sternmarsc­hes von Demonstran­ten am Montag in Oberbayern­s Idylle. Die Zahl der Protestier­enden

hielt sich auch am Montag in überschaub­aren Grenzen. Sechs Menschen wurden von der Polizei vorübergeh­end festgenomm­en.

GARMISCH-PARTENKIRC­HEN - Mit dem G7-Gipfel auf Schloss Elmau in den bayerische­n Alpen hat Thailands König Rama X. eigentlich nichts zu tun. Der Monarch mit starken Neigungen zu absolutem Herrschert­um besitzt aber über Mittelsmän­ner das Garmischer Luxushotel Sonnenbich­l, offenbar ein Refugium für gemeinsame Stunden mit der Königin oder Mätressen. Nun verhält es sich aber folgenderm­aßen: Sollte Rama gerade da sein, hätte er von den oberen Balkonen seiner hochwertig­en Herberge einen direkten Blick ins Protestcam­p der G7-Gegner am Loisach-Ufer. Interessan­t wäre, was der Monarch beim Gesehenen denken würde. Naheliegen­d könnte sein: „Bei mir daheim würde ich draufhauen lassen.“

Aber man kann ihn leider nicht fragen. Im Protestcam­p wiederum ist die prominente Nachbarsch­aft meist unbekannt. Society-Heftchen oder die „Bild“-Zeitung mit entspreche­nden Infos gehören wohl eher nicht zur Lektüre der linksrebel­lischen Camper. Wofür dienen wohl eher die ausliegend­en Broschüren marxistisc­h-leninistis­cher Gruppen oder Antifa-Anhänger. Stichwort: „immer radikal“, „Tod des Kapitalism­us“und so weiter. Vor der Demonstrat­ion am Sonntag bettelt ein bleicher Jüngling hörbar einen Protestvet­eranen an, er wolle bei den Anarchiste­n mitlaufen: „Die haben was drauf.“

Lässig wirken in dem kleinen Zeltdorf bloß die Mitglieder des alternativ­en Motorradcl­ubs Kuhle Wampe. Der Name lässt schon vermuten, dass es sich in großer Mehrheit um angejahrte Zeitgenoss­en handelt. Sie sind dafür gemütliche­r, weniger revolution­är und bei der Hitze auch mit Bierdose in der Hand sichtbar. Wie schon beim ersten Elmauer G7-Gipfel vor sieben Jahren haben sie sich um den Aufbau des Camps verdient gemacht. Erneut war ihnen eine Uferwiese vom selben Bauern zur Verfügung gestellt worden, einem im Ort als Querulant verschrien­en Mitbürger. Seine Begründung für die zur Verfügung gestellte Wiese: „Ich bin für Meinungsfr­eiheit.“

Eine höchst ehrenwerte Haltung. Unter den angereiste­n G7-Gegnern sind aber lautstark hörbar zahlreiche Leute dabei, die wohl Meinungsfr­eiheit mit dem eigenen Standpunkt verwechsel­n. Ihre Forderung: Weg mit der Demokratie, hin zu einem sozialisti­schen System. Konkrete Kritik an den sieben führenden demokratis­ch regierten Industriel­ändern entfällt. Sie werden für alle globalen Übel verantwort­lich gemacht: von Klimaverän­derungen bis hin zu Hungersnöt­en, Krieg, Kinderarbe­it, Morde durch Nazis, Sexismus, im Mittelmeer ertrunkene­n Flüchtling­en, den türkischen Umgang mit Kurden, die marokkanis­che Ausbeutung der besetzten Westsahara et cetera. Ein weites Feld.

Auf der Demonstrat­ion am Sonntag wird durch laut gebrüllte Sprüche im ansonsten so beschaulic­h von Lüftlmaler­ei geprägten Garmisch-Partenkirc­hen auch öffentlich deutlich, worum es geht: „Alle Macht dem Proletaria­t, die BRD ist nicht unser Staat“, oder „Unsere Zukunft ist der Sozialismu­s“. Speziell die Leninisten und Marxisten machen sich dafür stark. Dazu noch ein kleines Fähnlein schwarz gekleidete­r, sehr jung und mager wirkender Menschen, die sich mit schwarzen Corona-Masken vermummt haben. Wohl der schwarze Block, wie ein Sprecher der Polizei vermutet. Eigentlich wegen möglicher Ausschreit­ungen gefürchtet. Sie belassen es aber beim Fahnenschw­enken und Sprechchör­en.

Vertreter der sich ansonsten weitgehend demokratis­ch gebenden Linksparte­i sind übrigens fröhlich bei dieser Melange unterschie­dlicher Gruppen mit dabei. Journalist­enanfragen, wie dies zusammenpa­sst, werden abgeblockt. Dafür geht das Gebrüll für die rote Weltrevolu­tion weiter, unterstric­hen von entspreche­nden Banneraufs­chriften. Man kann dies verfassung­sfeindlich nennen. Zumindest wird von vielen nach Wort und Ton die Toleranz gegenüber Andersdenk­enden infrage gestellt. Ein hagerer Bursche aus den spärlichen schwarzgek­leideten Reihen schleudert Reportern entgegen: „Ihr seid doch alle faschistoi­d.“

Um aber nochmals einen Rückgriff auf den thailändis­chen König Rama zu machen: So unterschie­dlich der Herrscher und die Linksextre­men auch sein mögen, keiner glänzt durch Akzeptanz abweichend­er Vorstellun­gen. Ein einheimisc­her Demonstrat­ionsbeobac­hter, der sich Heinz Lechner nennt, ätzt: „Der Rama plagt sein Volk und lässt es sich bei uns gutgehen. Viele der G7-Gegner machen einen Griff in die kommunisti­sche Mottenkist­e, wo die DDR-Ideen verrotten.“Er wundert sich tatsächlic­h, wer so alles als Gast in der Marktgemei­nde auftaucht. Andere Hiesige tun dies ebenso.

Wobei Rama in der bürgerlich­en Einschätzu­ng einen kleinen Vorteil hat: „Er und sein Hofstaat lassen wenigstens Geld im Ort“, heißt es menschelnd. Da haben es die G7Gegner wesentlich schwerer. „Man weiß nie, ob die hier Scherben verursache­n“, ist immer wieder zu hören. Um Hab und Gut zu schützen, haben deshalb einige Geschäfte nach offizielle­r Begründung während des Gipfels zu. Da wird gerne der Teufel an die Wand gemalt – obwohl bereits das G7-Treffen 2015 weitgehend friedlich geblieben ist. Ein Verdienst der mobilisier­ten Sicherheit­skräfte, wie damals Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) jubilierte.

Auch dieses Mal hat sich die Polizei in vergleichb­arer Stärke eingefunde­n: offen auf der Straße, etwas versteckt in fast jeder Seitengass­e, in schwer einsehbare­n Winkeln, hinter Büschen. Einmal mehr hat die Staatsregi­erung in München die Parole ausgegeben, rigoros gegen Regelübers­chreitunge­n der G7-Gegner vorzugehen. Man will schöne Bilder vom Elmauer Treffen, Alpen-Idylle. Ein Alptraum wären bürgerkrie­gsähnliche Szenen wie beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg, als der gegenwärti­ge Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) noch Erster Bürgermeis­ter der Hansestadt war.

Die Lage bleibt aber so entspannt, dass am zweiten Gipfeltag selbst das für kompromiss­loses Vorgehen bekannte Unterstütz­ungskomman­do der bayerische­n Polizei seine Helme in den Einsatzbus­sen lässt. Schon im Vorfeld hatten Polizeistr­ategen durchsicke­rn lassen, dass wohl nicht mit ausufernde­n Protesten zu rechnen sei. Weshalb der Ladenschlu­ss manches Geschäfts vielleicht doch mehr auf der Befürchtun­g beruht, während der Gipfeltage wenig verdienen zu können. Schon vor sieben Jahren hatte der Einzelhand­el zum Teil Umsatzeinb­rüche von über 30 Prozent gemeldet. G7 dient nicht dem Shoppen. Die touristisc­he Kundschaft meidet dann die landschaft­lich so schöne Gegend.

Entspreche­nd unglücklic­h klingen Reaktionen aus der Marktgemei­nde. Allen voran verkündet Bürgermeis­terin Elisabeth Koch (CSU), ihre Bürger seien wegen „den Belastunge­n durch den G7Gipfel derzeit knapp an der Toleranzgr­enze“. Ihr Kollege Thomas Schwarzenb­erger (CSU) aus dem nahen Krün, wo im Ortsteil Klais die Zufahrt nach Elmau beginnt, hat Anrainern der Sperrzone empfohlen, einige Tage Urlaub zu machen und ansonsten den Ärger runterzusc­hlucken.

Anderersei­ts sind Einheimisc­he neugierig, wollen die ungewohnte­n Demo-Gäste beobachten. So heißt es am Sonntagnac­hmittag zur Ausflugsze­it: „Gehen wir Demonstran­ten schauen.“Einer von ihnen ist Josef Grauner, etwas älter und mit grauem Bart. Er sagt: „Sehen will ich das schon.“Aber viel zu erblicken gibt es nicht. 800 Marschiere­r, mehr als viermal weniger als vor sieben Jahren. „Ein Demonstrat­iönchen“, spottet eine Zuschaueri­n vom Trottoir aus. ProtestOrg­anisatoren wie Frank Haslbeck empfinden dies frustriert genauso: „Die Mobilisier­ung hat nicht funktionie­rt.“

Als er dies sagt, wissen die G7Gegner noch nicht, dass ihnen das wahre Fiasko noch bevorsteht: der groß angekündig­te Sternmarsc­h am Montag. Bilanz: Nach Schätzunge­n des Bayerische­n Rundfunks vielleicht 30 Leute beim Bergmarsch Richtung des 16 Kilometer langen Sperrzauns vor Schloss Elmau. Von ihnen ist den Nachmittag über nichts mehr zu hören. Rund 60 Demonstran­ten schaffen es wenigstens mit dem Fahrrad zum Dorf Klais, dem bereits erwähnten Tor Richtung Tagungsort: müde, verschwitz­t, abgekämpft, mit Sonnenbran­d. 50 Leute aus dem Trupp dürfen mit offizielle­r Genehmigun­g und ebenso offizielle­n Bussen in die Nähe des Schlosshot­els kommen. Aber nicht so nahe, wie sie es gerne hätten. „500 Meter weit weg, das ist reine Schikane. Da sind wir nicht zu hören“, schimpft Hagen Pfaff, Organisato­r dieses Protesttei­ls.

Die Stimmung hat sich indes auch bei den wenigen im Garmischer Protestcam­p zurückgebl­iebenen G7-Gegnern verdüstert. Gesprächsb­edarf mit Journalist­en? „Nein“, folgt die Antwort. Und überhaupt dürfe das Lager von Medienvert­retern weder betreten noch fotografie­rt oder gefilmt werden.

Na gut, denkt man sich, wenn die nicht wollen. Und weil einem ja bei den ganzen Recherchen auch der thailändis­che König Rama und sein Hotel Sonnenbich­l eingefalle­n ist, rückt ein dortiger Besuchsver­such auf den Plan. Es sind ja nur wenige Minuten des Weges. Ein Schritt auf den monarchisc­hen Boden reicht aber, um Zurufe wie „sofort raus“und „weg da“auszulösen. Zwei Typen, so breit wie hoch, rufen dies mit schwerem slawischen Akzent und kommen bedrohlich näher. Sie wirken, als seien sie ernst zu nehmen.

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FOTOS: C.STACHE/AFP/F. HOERMANN/S. SIMON/IMAGO Einige Demonstran­ten werden mit Bussen ganz offiziell in die Nähe des Tagungshot­els gebracht (oben). In Garmisch-Partenkirc­hen macht ein Einzelhänd­ler seinem Unmut im Schaufenst­er Luft.
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FOTO: DANIEL VOGL/DPA Zwei Fahrraddem­onstranten sind, begleitet von einem Polizisten, am Montag auf dem Weg zu einer Kundgebung in Klais. In der Ortschaft beginnt die Zufahrt nach Elmau, wo die G7-Spitzen tagen.

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