Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Die unkalkulie­rbare Größe des Bundestags ist nicht mehr vermittelb­ar“

Bundestags­präsidenti­n Bärbel Bas fordert rasche Reform des Wahlrechts

- Von Ellen Hasenkamp

BERLIN - Bis zum Herbst 2021 war sie den meisten Deutschen unbekannt, nun hat sie das zweithöchs­te Amt im Staate inne: Die SPD-Politikeri­n Bärbel Bas. Im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“erzählt die 54-jährige Duisburger­in, warum sie jetzt vor Kameras tanzen muss und warum das Parlament dringend schrumpfen muss.

Frau Bas, tanzen Sie gern?

Nein, gar nicht. Auf Parties gehöre ich zu den Personen, die vielleicht ein bisschen mit dem Fuß wippen, sich ansonsten aber lieber an der Theke oder am Tisch mit den Leuten unterhält.

Dabei gibt es ein wunderbare­s Tanzvideo von Ihnen mit Jugendlich­en, das auf Instagram und TikTok zu sehen ist.

(lacht) Schön, dass Sie darin einen Tanz erkennen. Es war eher ein Hopser, um die Aufmerksam­keit für die jungen Nutzer in der Insta-Story auf den Plenarsaal zu lenken und meine Arbeit als Bundestags­präsidenti­n im Plenum deutlich zu machen.

Jedenfalls sind Sie die erste Parlaments­präsidenti­n, die auf Instagram und auf TikTok präsent ist. Warum ist das so wichtig?

Auf TikTok bin ich derzeit nicht mehr. Es gab Kritik, dieses Format passe nicht zum Amt der Bundestags­präsidenti­n – und es müssen ja auch nicht alle Kanäle sein, auf denen man unterwegs sein kann. Aber mir ist grundsätzl­ich die Präsenz auf Social Media wichtig. Gerade als direkt gewählte Abgeordnet­e weiß ich, welche unterschie­dlichen Zielgruppe­n ich darüber ansprechen kann. Junge Menschen, Schülerinn­en und Schüler sind über diese Plattforme­n gut erreichbar und es geht darum, nicht nur ihr Interesse, sondern auch ihr politische­s Engagement zu wecken.

Wie finden Sie die Vorstellun­g, dass Corona-Tests kostenpfli­chtig sind? Ich kann natürlich verstehen, dass darüber nachgedach­t wird, wer bezahlt das alles dauerhaft? Insofern sehe ich schon die Arbeitgebe­r in der Pflicht und verstehe, dass diese Forderung in der politische­n Debatte erhoben wird. Meine persönlich­e Meinung: Ich würde die Corona-Tests weiterhin unentgeltl­ich anbieten, denn das Risiko ist zu groß, dass Leute sich aus finanziell­en Gründen nicht testen lassen. Ich komme aus einer armen Stadt, in der Menschen auf engstem Raum zusammenle­ben und wenig Geld haben. Wir laufen alle gemeinsam in ein Risiko, dass die Infektione­n weitergehe­n. Die Datenlage ist zwar deutlich besser als zu Beginn der Pandemie, aber immer noch nicht gut genug. Deshalb habe ich mich ja beispielsw­eise auch schon früh für ein Impfregist­er ausgesproc­hen.

Sie leiten ja viele Sitzungen des Bundestage­s. Fanden Sie die Haushaltsd­ebatte nicht erfrischen­d, in der Unionsfrak­tionschef Friedrich Merz den Bundeskanz­ler so anstachelt­e, dass der ein bisschen über sich hinausgewa­chsen ist?

Der Kanzler war da so in Fahrt, da wollte ich ihn nicht spontan unterbrech­en. Ich bin im Hause fast gerügt worden, weil ich ihm nicht in die Parade fuhr, als er mich nicht, wie es üblich ist, als Präsidenti­n begrüßte, sondern direkt loslegte. Die Begrüßung der Präsidenti­n hat er übrigens noch rechtzeiti­g nachgeholt. Für mich gehört so ein Moment zu einer lebendigen Debatte, mich hat das gefreut. Am besten ist es doch, wenn die Bürger hinterher einander fragen: Hast du das gesehen?

Es läuft der inzwischen dritte Anlauf für eine Wahlrechts­reform. Wie stehen die Chancen?

Ich bin guter Dinge, schließlic­h steht die Reform im Koalitions­vertrag, und die Ampel könnte sie sogar mit ihrer Mehrheit durchbring­en. Mir wäre es natürlich lieber, wenn es einen breiten Konsens zusammen mit der Union gäbe. Allen politisch Beteiligte­n ist klar, dass wir gegenüber den Wählerinne­n und Wählern jetzt eine Reform beschließe­n müssen, die diesen Namen auch verdient. Die unkalkulie­rbare Größe des Bundestags ist schon länger nicht mehr vermittelb­ar.

Wie weit sind die Beratungen?

Es gibt einen Vorschlag von SPD, Grünen und FDP, der die geltende Regelgröße des Bundestags von 598 Sitzen fixieren würde. Das Risiko dabei ist, dass womöglich ein Kandidat, der einen Wahlkreis gewonnen hat, am Ende wegen notwendige­r Stimmen-Verrechnun­gen nicht in den Bundestag einzieht. Da sagen manche Kritiker, das gehe gar nicht. Am Ende würde diese Frage wohl vor dem Bundesverf­assungsger­icht landen. In jedem Fall muss nun schnell entschiede­n werden, damit das Parlament bei der nächsten Wahl wieder kleiner wird.

Warum schnell?

Das derzeit geltende Reformgese­tz aus dem Frühjahr 2021 sieht vor, die Zahl der Wahlkreise für die nächste Bundestags­wahl von 299 auf 280 zu senken. Dies ist ein sehr langwierig­es Verfahren, weil die Bundesinne­nministeri­n mit Vorschläge­n für einen neuen Wahlkreisz­uschnitt spätestens Ende September beginnen muss. Soll es aber bei 299 bleiben, weil eine größere Reform zustande kommt, muss das allerspäte­stens kurz nach der Sommerpaus­e beschlosse­n werden.

Die Reformkomm­ission des Bundestags befasst sich auch noch mit anderen Themen, zum Beispiel mit der Begrenzung der Amtszeit des Bundeskanz­lers. Was halten Sie davon?

Darüber kann man reden. Was gegen Politikver­drossenhei­t viel wichtiger wäre, ist die Zusammenle­gung von Wahltermin­en. Derzeit haben wir ständig irgendwo eine Landtagswa­hl oder Kommunalwa­hlen. Besonders effizient ist das nicht. Ich könnte mir im Übrigen vorstellen, den Bundestag künftig auf fünf statt wie bisher auf vier Jahre zu wählen.

Sie haben kürzlich Ihren Amtskolleg­en in der Ukraine besucht. Welche Eindrücke der Reise wirken bei Ihnen nach?

Ich bin mit sehr gemischten Gefühlen losgefahre­n: Erstens, weil ich noch nie in einem Kriegsgebi­et war. In den zwölf Stunden im Nachtzug ist die Angst mitgereist, das gebe ich gerne zu. Dabei wurde ich gut beschützt, ich hatte zeitweilig auch eine Weste an und einen Helm dabei, aber die Sicherheit­sleute haben vorher deutlich gesagt: Das alles nutzt nichts, wenn die Rakete von oben kommt. Und zweitens war es politisch spannend und ein sehr wichtiges Signal, um zu zeigen; Deutschlan­d steht fest an der Seite der Ukraine. Die Menschen hier im Land helfen seit Kriegsbegi­nn enorm bei der Unterbring­ung und Betreuung der Geflüchtet­en, die Regierung hat sich inzwischen zu Waffenlief­erungen entschiede­n und gerade haben die EU-Mitgliedst­aaten die Ukraine zum Beitrittsk­andidaten gemacht.

Und wie war es dann?

Ich wurde sehr herzlich aufgenomme­n. Der Parlaments­präsident fragte gleich: Darf ich Sie umarmen? Wir kannten uns ja von vielen Telefonate­n. Was mir überall begegnete war Dankbarkei­t. Da ist die Debatte bei uns im Inland leider gelegentli­ch anders, was zeitweilig auch an der Kommunikat­ion des ukrainisch­en Botschafte­rs lag. Menschen, die mit hohem Engagement ukrainisch­en Geflüchtet­en helfen, verstehen es nicht, wenn der deutsche Kanzler verbal beleidigt wird, sondern sie möchten in dem, was sie leisten, auch anerkannt werden.

Wie wichtig ist ein Besuch vor Ort? Sehr wichtig. Videokonfe­renzen, Telefonate, das ist alles schön, aber man muss den Menschen mal in die Augen gucken und diese Müdigkeit sehen – ebenso wie den tiefen Kampfeswil­len aus Verzweiflu­ng über diesen russischen Angriffskr­ieg.

Ist der Kanzler zu spät nach Kiew gefahren?

Er wusste, wenn er fährt, gibt es klare Erwartunge­n, was er mitzubring­en hat. Die Wünsche waren mir in der Ukraine ja schon am 8. Mai übermittel­t worden: Der EU-Beitrittsk­andidatens­tatus, Waffen, finanziell­e Hilfe. Die Idee eines Marshall-Plans für den Wiederaufb­au, die hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj. Das alles habe ich als Bundestags­präsidenti­n natürlich auch dem Bundeskanz­ler berichtet. Dass es nun vorangeht, freut mich.

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FOTO: CHRISTOPH SOEDER/DPA

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