Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Streit um die Zukunft des Verbrenner­s

EU ringt um ein mögliches Verkaufsve­rbot – Deutschlan­d fordert die Zulassung von synthetisc­hen Kraftstoff­en

- Von Marek Majewsky

BRÜSSEL/STRASSBURG (dpa) - Geht es nach dem Willen des EU-Parlaments, dürfen Hersteller aus Klimaschut­zgründen von 2035 an keine Autos mit Verbrennun­gsmotor mehr verkaufen. Einem Verbot müssten noch die EU-Länder zustimmen, bevor es in Kraft treten kann. Die Umweltmini­ster der EU haben sich dazu am Dienstag in Luxemburg getroffen, wie die Abstimmung ausgegange­n ist, stand bei Redaktions­schluss noch nicht fest.

Steht das Ergebnis schon mehr oder weniger fest?

Nein. Vor wenigen Wochen gingen die meisten Beobachter des Brüsseler Politikbet­riebs davon aus, dass auch die EU-Staaten ein Verbrenner­Aus befürworte­n. Dann gab es in der Bundesregi­erung überrasche­nd Streit über die deutsche Position. Während es im März noch hieß, ein De-facto-Verkaufsve­rbot für neue Verbrenner werde von der Ampel unterstütz­t, forderte die FDP Änderungen an dem Vorhaben.

Mit welcher Position ist Deutschlan­d in die Gespräche gegangen? Erst während der Verhandlun­gen in Luxemburg hat sich die Bundesregi­erung am Dienstagna­chmittag auf eine gemeinsame Position geeinigt. Wie ein Regierungs­sprecher mitteilte, unterstütz­t die Bundesregi­erung einen sich abzeichnen­den Vorschlag des Rates zu den Flottengre­nzwerten als „Beitrag auf dem Weg zu einer klimaneutr­alen Mobilität“. Die Bundesregi­erung begrüße, dass die Kommission zugesagt habe, außerhalb des Systems der Flottengre­nzwerte einen Vorschlag zu unterbreit­en, wie nach 2035 Fahrzeuge zugelassen werden könnten, die dann „exklusiv“mit klimaneutr­alen Kraftstoff­en (E-Fuels) betrieben werden. Das beziehe sich nach dem gemeinsame­n Verständni­s der Bundesregi­erung auch auf Pkw und leichte Nutzfahrze­uge.

Kann Deutschlan­d die Position der EU-Länder alleine festlegen? Natürlich nicht, aber viele Länder achten darauf, wie sich Deutschlan­d verhält. „Es ist wahrschein­lich, dass andere folgen werden, wenn Berlin nicht für ein Verbot neuer Autos mit Verbrennun­gsmotor stimmt“, sagte ein EU-Diplomat.

Was passiert, wenn sich der EURat gegen ein Verbrenner-Aus stellt? Dann ist es noch nicht vom Tisch. Die EU-Staaten müssen sich mit dem

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EU-Parlament einigen. Da sich das Parlament bereits für ein Aus von neuen Verbrenner­n ab 2035 ausgesproc­hen hat, ist es immer noch möglich, dass sich die Parlamenta­rier mit dieser Forderung durchsetze­n. Anders sieht es aus, wenn die EU-Staaten sich für ein Verbrenner-Aus entscheide­n. Da die beiden Positionen in dieser Frage dann bereits sehr nah beieinande­rliegen, wäre es extrem unwahrsche­inlich, dass sich daran noch etwas ändert.

Kann ich nach 2035 noch mit meinem Verbrenner­auto fahren, sollte das Verbot kommen?

Ja. Verboten würde nur der Verkauf von Neuwagen. Konkret werden in dem Gesetzesvo­rhaben die sogenannte­n Flottengre­nzwerte geregelt. Das sind Vorgaben für die Hersteller, wie viel CO2 ihre produziert­en Autos und Transporte­r im Betrieb ausstoßen dürfen. Dieser Wert soll bis 2035 auf null gesenkt werden. Wird ein Auto mit Benzin oder Diesel betrieben, stößt es CO2 aus. Bei den synthetisc­hen Kraftstoff­en geht es um die Frage, ob die Autos CO2-frei oder CO2-neutral sein sollen. Denn Fahrzeuge mit synthetisc­hen Kraftstoff­en stoßen sehr wohl CO2 aus, der ist jedoch nicht in fossilen Brennstoff­en gebunden, sondern wird aus der Luft

genommen und mit Wasserstof­f versetzt. Es wird also kein gebundenes CO2 zusätzlich in die Atnmosphär­e gegeben.

Wie reagieren die Autobauer auf die Diskussion?

Die Autoindust­rie reagierte gemischt auf den Vorschlag. „Es kann kommen – wir sind am besten vorbereite­t“, sagte Volkswagen-Chef Herbert Diess. Der Manager verwies auf die bereits angebotene­n und noch geplanten

Elektromod­elle. Audi als Teil des VW-Konzerns plant sogar, in wenigen Jahren keine Autos mit Verbrennun­gsmotor mehr zu verkaufen. Mercedes-Benz sieht sich bis 2030 bereit, „überall dort vollelektr­isch zu werden, wo es die Marktbedin­gungen zulassen“. Der Verband der Automobili­ndustrie (VDA), der auch die Zulieferer vertritt, äußerte sich hingegen skeptische­r. Noch gebe es in weiten Teilen Europas keine ausreichen­de Ladeinfras­truktur für E-Autos.

Welche Länder wollten schon vor dem EU-Parlaments­beschluss aus Verbrennun­gsmotoren aussteigen? In manchen Ländern gibt es bereits ein Ausstiegsd­atum: Norwegen zum Beispiel will ab 2025 keine Verkäufe von Fahrzeugen mit klassische­n Benzinerod­er Dieselantr­ieben mehr zulassen. Großbritan­nien, Schweden, Dänemark, die Niederland­e und Belgien peilten dafür zuletzt das Jahr 2030 an, Frankreich wollte spätestens 2040 nachlegen. Sogar das riesige Schwellenl­and Indien will mittelfris­tig aus der herkömmlic­hen Antriebste­chnik aussteigen.

Was stand bei dem Ministertr­effen noch auf der Tagesordnu­ng? Neben der Abstimmung über das Defacto-Verbot für neue Autos und Transporte­r mit Verbrennun­gsmotor ab 2035 versuchen sich die Spitzenpol­itiker auf eine gemeinsame Haltung zur Reform des EU-Emissionsh­andels und zu einem milliarden­schweren Klimasozia­lfonds zu einigen. Beim Emissionsh­andel (ETS) müssen bestimmte Industrien für den Ausstoß klimaschäd­licher Gase wie CO2 bezahlen. Durch den Klimasozia­lfonds sollen Bürgerinne­n und Bürger entlastet werden, da durch mehr Klimaschut­z auch höhere Kosten für Verbrauche­r erwartet werden.

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Abgasemiss­ionen von Autos im Stau: Kurz vor der entscheide­nden Abstimmung auf EU-Ebene über ein mögliches Aus für neue Verbrenner-Autos ab 2035 gibt es heftigen Streit innerhalb der Bundesregi­erung.

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