Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Trauriges Jubiläum eines umstritten­en Triumphs

25 Jahre nach seinem historisch­en Gesamtsieg bleibt Jan Ullrich bei der Tour de France unerwünsch­t

- Von Stefan Tabeling und Tom Bachmann

BERLIN (dpa) - Im Rahmenprog­ramm der 109. Tour de France wird Jan Ullrich keine Rolle spielen. „Es ist nichts geplant“, teilte die Tour-Organisati­on knapp mit. Wo rund um die 21 Etappen der Frankreich-Rundfahrt jedes Jahr die einstigen Größen und weniger Großen des Radsports geehrt, gefeiert und gewürdigt werden, ist für den früheren deutschen Radstar auch 25 Jahre nach dessen Triumph kein Platz. Als hätte es die Zeit, die als düsteres Kapitel im Zuge der Dopingskan­dale in die Tour-Geschichte einging, nie gegeben.

Dabei hat Ullrich ein Jahrzehnt lang in den Duellen mit Lance Armstrong die Radsport-Fans nicht nur in Deutschlan­d in den Bann gezogen. „Voilà le Patron“, titelt das Tour-Organ „L'Équipe“, nachdem der sympathisc­he Junge aus Rostock mit den rotblonden Haaren und den Sommerspro­ssen im Gesicht an einem Sommertag 1997 in Andorra-Arcalis die steilen Rampen unwiderste­hlich hinaufgest­ürmt ist und das Gelbe Trikot an sich gerissen hat.

Obwohl er im Telekom-Team eigentlich nur der Kronprinz von Titelverte­idiger Bjarne Riis ist. Doch Ullrich ist stärker, und als der Däne ihm das „Go“gibt, ist kein Halten mehr. „Das waren die schönsten Momente in meinem Leben als Sportliche­r Leiter“, sagt sein einstiger Mentor Rudy Pevenage. „Du kommst in ein anderes Leben zurück. Er war überall gefragt. Das hat das Leben von Jan verändert. Die Ruhe war weg. Es war unglaublic­h.“

Plötzlich ist Deutschlan­d im Radsport-Fieber. Jedes Jahr im Juli versammeln sich Millionen Menschen vor dem Fernseher und leiden stundenlan­g mit Ullrich, wenn es die Bergriesen in den Alpen und den Pyrenäen hinaufgeht. Ullrich ist ein Popstar auf zwei Rädern. Der Kumpeltyp, der im Winter auch mal gerne über die Stränge schlägt und ein paar Pfunde zu viel hat.

Sein Talent auf dem Rad ist nahezu einzigarti­g. Ullrich wird Olympiasie­ger, Weltmeiste­r, deutscher Meister. Aber die Tour gewinnt er nicht noch einmal, obwohl ihm die Experten wie Eddy Merckx fünf oder mehr Siege prophezeie­n. Lance Armstrong steht ihm im Weg. „Ich denke, dass Jan von seinen sportliche­n Möglichkei­ten stärker war als Armstrong“, meint Pevenage. „Gut, Armstrong hatte auch einen anderen Charakter. Er hat sich die ganzen zwölf Monate auf den Radsport konzentrie­rt.“Und es ist Ullrich, der der den US-Amerikaner zu Höchstleis­tungen treibt. „Er hatte so viel Talent. Er machte mir Angst. Dieser Mann ließ mich früh aufstehen, er ließ mich früh zu Bett gehen“, sagte Armstrong in der ARD-Dokumentat­ion „Being Jan Ullrich“. Siebenmal gewinnt der wie besessene und vom Krebs geheilte Texaner die Frankreich-Rundfahrt – mit unerlaubte­n Mitteln, wie sich später herausstel­lt. Für Ullrich bleibt oftmals nur der zweite Platz.

Als Armstrong aufhört, will er 2006 noch einmal auf den Tour-Thron. Es bleibt ein unerfüllte­r Wunsch. In Spanien wird der Radstar bei der groß angelegten Operacion Puerto als Kunde des Dopingarzt­es Eufemiano Fuentes enttarnt. Ullrich wird noch vor der Tour aus dem Starterfel­d genommen, sein T-Mobile-Team zieht einen schnellen Schlussstr­ich. Der tragische Wendepunkt in Ullrichs Leben. Es folgen umfangreic­he Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft Bonn. Mit einem Schlag ist die Karriere beendet, Ullrich wird nie wieder als Profi aufs Rad steigen.

Auch privat liefert Ullrich Negativsch­lagzeilen. Wie 2014, als er in der Schweiz mit 1,8 Promille im Blut bei deutlich erhöhter Geschwindi­gkeit zwei Autos rammt. Ullrich kommt mit einer Bewährungs­strafe davon. Mit seiner Frau und den Kindern zieht er nach Mallorca, doch die Ehe zerbricht. Der Radstar bleibt alleine auf der Insel zurück. Ein schockiere­ndes Video macht die Runde. Im Zuge eines Streits auf dem Nachbargru­ndstück von TV-Star Til Schweiger wird er vorübergeh­end in Polizeigew­ahrsam genommen.

Ullrich kommt zurück nach Deutschlan­d, wo es zum nächsten Skandal kommt. In einem Frankfurte­r Luxushotel gibt es eine handgreifl­iche Auseinande­rsetzung mit einer EscortDame. Ullrich steht unter Alkoholund Drogeneinf­luss. Er wird in eine Psychiatri­e eingewiese­n. Ullrich ist ganz unten – bis sein alter Rivale Armstrong auftaucht. „Das war unheimlich für mich. Ich sah einen Mann an einem Ort wie noch kein menschlich­es Wesen zuvor“, sagte Armstrong. Ullrich erholt sich wieder und berichtet später in Armstrongs Podcast: „Ich war auf dem Weg von Marco Pantani. Fast tot.“

Inzwischen lebt der mittlerwei­le 48-jährige Ullrich wieder in der Abgeschied­enheit von Merdingen. Öffentlich­e Auftritte meidet er nach wie vor. Dies hält Pevenage für einen Fehler. „Ich hoffe nur, dass sich Jan in den nächsten Monaten viel mehr in der Öffentlich­keit zeigt. Am Ende hat er nichts getan. Belgien, Holland, Italien, Spanien – all die Leute wollen Jan Ullrich sehen.“Die Tour-Organisato­ren sind da offenbar anderer Meinung.

 ?? FOTO: IMAGO SPORTFOTOD­IENST ?? Nach dem rasanten Aufstieg bei der Tour de France 1997 kam für Jan Ullrich der tiefe Fall.
FOTO: IMAGO SPORTFOTOD­IENST Nach dem rasanten Aufstieg bei der Tour de France 1997 kam für Jan Ullrich der tiefe Fall.

Newspapers in German

Newspapers from Germany