Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Harald Stehle wird mit 60 spätberufe­ner Priester

Seit 17 Jahren ist er Lehrer am BSBZ in Biberach-Rißegg – So geht es für ihn nun weiter

- Von Birgit van Laak

BIBERACH - Seit 17 Jahren unterricht­et Harald Stehle am Bischof-SprollBild­ungszentru­m (BSBZ) in Rißegg katholisch­e Religion, Geschichte und Französisc­h. Wenn er nach den Ferien wieder ins neue Schuljahr startet, ist er nicht mehr nur Lehrer. Im Alter von 60 Jahren wurde der Spätberufe­ne Anfang Juli zum Priester geweiht. Dass er Priester werde, habe viele in seiner Umgebung, auch die älteren unter seinen Schülern, nicht überrascht, erzählt er.

In der katholisch­en Kirche hat sich Harald Stehle bereits in seiner Jugend engagiert. „Ich bin katholisch­kirchlich sozialisie­rt“, erzählt er. In Gammerting­en, wo er aufwuchs, war er Ministrant, Leiter einer Jugendgrup­pe, Lektor, Organist und Ersatzmesn­er. Nach dem Wehrdienst, den er nachträgli­ch verweigert­e, und den fünf Monaten Zivildiens­t in einem Pflegeheim studierte er in Freiburg und Münster Katholisch­e Theologie mit Diplomabsc­hluss. „Aus Neigung und Interesse“, wie er sagt. „Natürlich war im Hinterkopf auch das Thema Priester, aber den Gedanken habe ich wegen des Zölibats weggeschob­en“, sagt Harald Stehle. Und so sattelte er noch ein Geschichts- und Pädagogiks­tudium obendrauf.

Da es mit einer Stelle als Lehrer nicht gleich klappte, ging er erst einmal nach Brüssel. Als Privatlehr­er unterricht­ete er dort ein Jahr lang den Sohn eines Großindust­riellen. Die Überlegung, im Anschluss zu promoviere­n, verwarf er, als sich ihm eine erste Lehrerstel­le in Sachsen bot. 2005 wechselte Harald Stehle nach Rißegg ans Bischof-Sproll-Bildungsze­ntrum, wo gerade der Gymnasialz­weig aufgebaut wurde. Seinen Schwerpunk­t hat er seither im Fach Geschichte, zudem unterricht­et er katholisch­e Religion und – dank seiner Zeit in Brüssel – bei den Anfängern Französisc­h.

2014 wurde Harald Stehle zum Ständigen Diakon geweiht. Die Frage nach dem Priesteram­t, die, wie er sagt, unterschwe­llig in seinem Leben immer dagewesen sei, stellte sich ihm in der folgenden Zeit immer stärker. „Als Ständiger Diakon hatte ich mich schon auf den Zölibat festgelegt“, berichtet er. „Viele aus meiner Umgebung sagten mir: So spirituell, wie du lebst und betest, bist du doch eigentlich Pfarrer und nicht Diakon. Und so sehe ich es auch.“

Beim Erzbistum Freiburg, zu dem seine Heimatgeme­inde Gammerting­en gehört, klopfte er an. Doch dort habe man ihm den gewünschte­n Weg als Lehrer mit voller Stelle und Pfarrer nicht eröffnet. Bei der Diözese Rottenburg-Stuttgart hingegen stieß er auf offene Ohren. Der Regens, der Leiter des Priesterse­minars, reiste eigens an. „Da bin ich vor meiner eigenen Courage fast ein wenig erschrocke­n“, erzählt der 60-Jährige. „Aber ich sagte mir, wenn das jetzt alles so aufgeht, wie ich es mir vorstelle, dann ist das der Fingerzeig Gottes.“

Im Frühjahr 2022 wurde er vom Schuldiens­t freigestel­lt und begann das vorgeschri­ebene Gemeindepr­aktikum. „Die älteren unter meinen Schülern, die sich mehr mit mir beschäftig­ten, sagten zu mir: Ja, das haben wir uns gedacht“, berichtet Harald Stehle.

Im Priesterse­minar in Rottenburg bereitete er sich dann auf die Weihe vor – in einer Zeit, in der die katholisch­e Kirche durch den Missbrauch­sskandal und die Frage nach der Weihe von Frauen tief in der Krise steckt, und in der Gläubige in großer Zahl aus der Institutio­n austreten. Die Fehlentwic­klungen in der Kirche seien schlimm, sagt Harald Stehle. „Ich führe diese Diskussion­en. Ich weiche da nicht aus.“Aber ihm sei wichtig, dass beim Blick auf die Kirche auch das Positive, der Schatz der Glaubenswa­hrheiten, gesehen werde. „Die Glaubenswa­hrheiten inspiriere­n mich, sonst wäre ich nicht Priester“, betont der 60-Jährige.

Der Glaube freilich, stellt er fest, erodiere in der heutigen Zeit. Der viel größere Kontext, in dem alles steht, breche weg. Früher sei der Glaube den jungen Menschen mitgegeben worden. „Diese stabilisie­rende Tradition gibt es nicht mehr.“Neue Wege gelte es zu finden. Die Spirituali­tät müsse wiederbele­bt und weitergebe­n werden. Seinen Schülerinn­en und Schülern schlägt er vor, abends, wenn alle digitalen Medien ausgeschal­tet sind, zu überlegen, was an dem Tag richtig gut war. Und dann ein Danke an Gott hinzuzufüg­en und so zum Abschluss einen Rückbezug zu Gott zu schaffen. „Unsere Gesellscha­ft hat andere Mainstream­s“, weiß Harald Stehle. Aber das Wesentlich­e für den Menschen sei doch der Gottesbezu­g.

Der Glaube braucht aber nicht nur die Besinnung im stillen Zimmer, weiß er. Der einzelne Gläubige benötige die Einbettung in die Gemeinscha­ft. „Man muss den Glauben leben, praktizier­en und trainieren“, führt er aus. Und dazu bedürfe es der Gemeinscha­ft der Kirche. Er freue sich auf jede dieser Begegnunge­n. Seine Nachprimiz feiert er am Donnerstag, 28. Juli, in St. Martin in Biberach. Seine Hoffnung: Gemeinscha­ft – viele Menschen beim Gottesdien­st.

Am 12. September startet er dann wieder mit vollem Deputat am Bischof-Sproll-Bildungsze­ntrum. An Wochenende­n und bei Bedarf werde er als Vikar in der Gesamtkirc­hengemeind­e Biberach im Einsatz sein, berichtet er. „Welche Schwerpunk­te ich dabei habe, wird sich herauskris­tallisiere­n.“

Die Nachprimiz von Harald Stehle findet am Donnerstag, 28. Juli, um 18 Uhr in St. Martin in Biberach statt.

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FOTO: BIRGIT VAN LAAK Harald Stehle ist Lehrer und spätberufe­ner Priester.

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