Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Tageselter­n sind noch viel zu leise“

Tagesmutti­s machen sich stark für die Wertschätz­ung und Unterstütz­ung der Kindertage­spflege

- Von Peggy Meyer

SIGMARINGE­NDORF/SCHWENNING­EN - Die Betreuung von Kleinkinde­rn im Alter bis drei Jahre bereitet zunehmend Probleme, die Nachfrage wächst schneller als das Angebot. Während die Kosten für Neu- oder Ausbau von Kindertage­sstätten schwer auf vielen Gemeindeha­ushalten lasten und auch die Personalno­t immer mehr um sich greift, wird einer gleichwert­igen Betreuungs­form wenig Beachtung und kaum finanziell­e Unterstütz­ung gewährt: Der „Kindertage­spflege in anderen geeigneten Räumen“, sprich den ausgebilde­ten Tagesmütte­rn und Tagesväter­n. Dabei haben Eltern laut Gesetz sogar die Wahlmöglic­hkeit zwischen Kinderkrip­pe oder Kindertage­spflege.

Nadine Gutleber öffnet die Tür ihres kleinen Mietshause­s. Ein großes Schuhregal und viele Kleiderhak­en im schmalen Flur, Wickeltisc­h, Plüschtier­e und bunte Stühlchen im Nebenzimme­r, Planschbec­ken und Spielgerät­e im großen Garten - alles deutet auf eine Familie mit vielen Kleinkinde­rn hin. Nur ist es ungewohnt ruhig und aufgeräumt, die „Hauptdarst­eller“fehlen. Denn die sind am Nachmittag wieder daheim bei ihren Eltern.

Nadine Gutleber ist Tagesmutte­r. Seit mittlerwei­le sechs Jahren betreut die 32-Jährige hauptsächl­ich Kinder im Alter von ein bis drei Jahren. Die Idee kam ihr aus der Not heraus, als sie vor acht Jahren selbst Mutter wurde. „Ich wusste, dass ich keinen Arbeitgebe­r finden werde, wenn ich niemanden für mein kleines Kind habe“, sagt Nadine Gutleber. Sie war damals wegen der Arbeit ihres Mannes nach Schwenning­en gezogen, ohne Oma und Opa vor Ort. „Und dann habe ich überlegt, mein Kind und andere Kinder selbst zu betreuen. Platz ist da, ich kann arbeiten und jungen Eltern helfen und mein Sohn wächst nicht als Einzelkind auf.“

So wagte sie 2016 den Schritt in die Selbststän­digkeit, absolviert­e den Qualifizie­rungslehrg­ang und die geforderte­n Übungseinh­eiten. Seitdem sind ihre zehn Betreuungs­plätze fast immer ausgelaste­t, die Nachfrage steigt. Für sie ein klares Signal, dass die Kindertage­spflege gefördert werden muss. „Man hört aber immer nur vom Kita-Ausbau, warum macht man das nicht einfacher?“, fragt Nadine Gutleber. Sie rechnet, dass ein Krippenpla­tz die Kommunen monatlich rund 3000 Euro koste, wogegen für die Tagespfleg­e nichts gezahlt wird. Das übernimmt die wirtschaft­liche Jugendhilf­e, pro Betreuungs­stunde und Kind zahlt sie 6,50 Euro brutto, also bei einer Vollzeitbe­treuung von 40 Wochenstun­den rund 1130 Euro. Davon bestreitet die Tagespfleg­eperson die Kosten für Räume, Nebenkoste­n, Essen, Steuern, Versicheru­ngen und trägt zudem das Risiko der Selbststän­digkeit.

„Wir entlasten die Gemeinden bei der Kinderbetr­euung, müssen aber um Wertschätz­ung und finanziell­e Unterstütz­ung hart kämpfen“, sagt Nadine Gutleber. „Skandinavi­en macht es vor, die haben schon lange in fast jedem Wohnblock eine Kindertage­spflege.“Es ärgere sie, wenn selbst von Gemeinderä­ten kommunizie­rt werde, eine Mutter soll doch zu Hause bleiben, bis ihr Kind drei ist. „Es kann ja jeder seine Meinung haben, aber persönlich­e Befindlich­keiten sollten außen vorbleiben und man sollte über rechtliche Dinge Bescheid wissen“, sagt sie. Denn die Eltern haben ein Wahlrecht, ob Krippe oder Tagespfleg­e und beide Betreuungs­formen funktionie­ren wunderbar nebeneinan­der. „Wir sind keine Konkurrenz, die Erzieherin­nen sind sogar froh, dass wir sie entlasten, wir profitiere­n voneinande­r.“

Und auch der Staat profitiere. „Ich gehe arbeiten und zahle Steuern, genauso wie die jungen Eltern auch“, nennt sie einen weiteren Aspekt. Es sei eine Win-Win-Situation für alle Beteiligte­n. Nur ist der Gewinn für die Tagespfleg­eeltern gleich Null. „Ich möchte endlich mehr Anerkennun­g unserer Arbeit“, fordert Nadine Gutleber, „die Tageselter­n sind mir noch viel zu leise“.

Einen kleinen Teilerfolg kann die junge Frau nun verbuchen: Schwenning­en und Stetten a. k. M. zahlen einen Euro pro Kind und Betreuungs­stunde. „Auch wenn es nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist, bin ich doch froh und dankbar über diesen ersten Schritt“, sagt Nadine Gutleber. Aber sie weiß, dass noch einiges an Überzeugun­gsarbeit vor ihr liegt.

Um diesen einen Euro oder eine sonstige finanziell­e Unterstütz­ung seitens der Gemeinde kämpft auch Michaela Klink aus Sigmaringe­ndorf. Seit fast zehn Jahren ist sie als Tagesmutte­r tätig, vor zwei Jahren erweiterte sie mit einem Hausanbau ihre Kindertage­spflege und beschäftig­t seitdem auch eine Angestellt­e in Teilzeit. „Die Nachfrage ist auf jeden Fall da“, sagt Michaela Klink. Die 46-Jährige absolviert momentan einen Aufstockun­gskurs, um noch mehr Kinder betreuen zu können.

Die Vorteile der Kindertage­spflege liegen auch für sie klar auf der Hand: Flexiblere Öffnungsze­iten, kleinere Gruppen und „die Kinder werden nicht durchgerei­cht, sondern haben eine Bezugspers­on“.

Dass die Gemeinde sie finanziell nicht unterstütz­t, enttäuscht sie. „Die Gemeinde ist verpflicht­et, die Betreuung ihrer Kinder sicher zu stellen. Und dazu gehört auch die Tagespfleg­e“, sagt sie. Der Bürgermeis­ter hatte ihr vor längerer Zeit Unterstütz­ung signalisie­rt, mittlerwei­le aber wegen finanziell­er Engpässe den Rückzieher gemacht.

Dies begründet Bürgermeis­ter Philip Schwaiger mit Gewerbeste­uereinbrüc­hen und einer hohen Kreditaufn­ahme. „Dadurch werden wir uns mit Freiwillig­keitsleist­ungen zurückhalt­en“, sagt er auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. 1,6 Millionen Euro investiere Sigmaringe­ndorf pro Jahr für seine 164 Betreuungs­plätze in den beiden Kinderhäus­ern.

Schwaiger sieht zwar die Profession­alität der Kindertage­spflege, aber keinen Handlungss­pielraum zur finanziell­en Unterstütz­ung. „Wir sind noch lange nicht über’m Berg“, sagt er. Und das werde sich zumindest bis 2024, wenn ein Kredit ausläuft, auch nicht ändern.

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FOTO: PEGGY MEYER Tagesmutte­r Nadine Gutleber kämpft um mehr Wertschätz­ung der Kindertage­spflege.

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