Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Mit der Kraft der künstliche­n Sonne

In Jülich testen Firmen im Industriem­aßstab, was sich mit solarer Energie machen lässt

- Von Björn Hartmann

- Licht erhellt. Richtig gebündelt brennt es auch ein Loch in fünf Zentimeter dicken Baustahl. Mit Taschenlam­pen ist das nicht zu erreichen, aber Dmitrij Laaber verfügt über die größte künstliche Sonne der Welt. Der Block vor ihm auf dem Konferenzt­isch soll zeigen, was die Anlage kann. Normalerwe­ise geht es um komplizier­tere Experiment­e und die Frage, ob sich eine Technologi­e etwa für Wasserstof­fproduktio­n industriel­l umsetzen lässt.

Laaber leitet Synlight, wie die künstliche Sonne heißt, die hinter der Wand neben dem Konferenzt­isch schlummert. Sie gehört zum Institut für Future Fuels des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Brennstoff­e der Zukunft – der Name zeigt es schon – hier am südwestlic­hen Rand von Jülich in Nordrhein-Westfalen sind sie weit vorn. „Es geht darum, Sonnenlich­t direkt für chemische Prozesse zu nutzen“, sagt Laaber.

Die Idee dahinter: Warum zum Beispiel über Solarpanel­s Strom erzeugen, mit dem dann über Elektrolys­e Wasserstof­f hergestell­t wird, wenn sich die Sonnenener­gie direkt nutzen lässt, um in einem chemischen Reaktor Wasser in Wasserstof­f und Sauerstoff zu spalten? Oder Schwefelox­id in Schwefel verwandeln, der als CO2-neutraler Brennstoff dienen kann? Mit der Sonnentech­nik ließe sich auch Kerosin mit CO2 aus der Luft herstellen. Wobei hier die Forschung noch am Anfang steht.

Wenn ein Unternehme­n sich mit solch einer Technologi­e beschäftig­t, fängt es im Labor an – mit einer kleinen künstliche­n Sonne. Davon gibt es einige in der Welt, auch das Institut für Future Fuels hat in Köln eine solche Anlage. Danach müssen die Firmen ihre Ideen direkt in einer sehr großen Anlage testen, zum Beispiel im Solarturm in Jülich in Sichtweite des Synlight-Gebäudes. Dort bündeln Spiegel am Boden echtes Sonnenlich­t auf eine Fläche oben im Turm. Die Anlage ist etwa 100-mal größer als die im Kölner Labor.

Doch was im kleinen Versuch aussichtsr­eich ist, läuft nicht zwingend im industriel­len Maßstab. „Upscaling von sehr klein auf sehr groß ist sehr schwierig“, sagt Laber, vor allem, weil Größe den chemischen Prozess beeinfluss­t. Es kann also einiges schiefgehe­n. Und es wird teuer, wenn die Versuche in der großen Anlage immer wieder nachjustie­rt werden müssen.

Die Idee: eine künstliche Sonne, die zehnmal größer als die typischen

Laborsonne­n ist, aber nur grob ein Zehntel so groß wie eine Anlage mit echter Sonne. Und die natürlich unter Laborbedin­gungen nutzbar ist, also auch per Knopfdruck verfügbar. „Die künstliche Sonne schließt eine Lücke auf dem Weg vom Laborexper­iment zum Industriem­aßstab“, sagt Laaber. Das Bundeswirt­schaftsmin­isterium und das Land NordrheinW­estfalen finanziert­en die Idee. Rund 3,5 Millionen Euro flossen nach Jülich. Im März 2017 ging die Sonne dann erstmals auf.

Das Gebäude am Rand von Jülich ist für diese weltweit einmalige Anlage eher schlicht. Weiße Fassade, vorn Büros und Treppenhau­s, hinten die Halle für die Sonne: 18 Meter hoch. Darin 149 Reflektore­n in 13 Reihen angeordnet, eine Wand silbrig schimmernd­er Trichter. Jeder einzelne lässt sich nach vorn und hinten verschiebe­n und beliebig drehen, um ihn auf eine der drei Versuchsrä­ume auszuricht­en, knapp acht Meter entfernt.

„Wir haben auf viele Standardte­ile zurückgegr­iffen. Die Elektromot­oren zur Steuerung etwa. Und die

Lampen in den Reflektore­n sind Xenon-Dampfentla­delampen, wie sie üblicherwe­ise bei Kinoprojek­toren eingesetzt werden“, sagt Laaber. „Das Spektrum dieser Lampen kommt dem Sonnenlich­t am nächsten.“Im Kino bilden sie Farben realistisc­h ab. Bei Synlight sollen die Bedingunge­n möglichst nah an echtem Sonnenlich­t sein.

Allerdings sind die UV- und Infrarotan­teile deutlich höher als bei natürliche­m Sonnenlich­t, allein die UV-Strahlen sind 100- bis 1000-mal höher als an einem sonnigen Tag im September. Zwei Drittel der Lampen haben deshalb einen UV-Filter, die anderen kann man nutzen, um unter Weltraumbe­dingungen zu testen.

5700 Grad herrschen im Innern einer solchen Lampe, wenn der Plasmaboge­n erst einmal angeworfen ist, außen hat die Lampe 1000 Grad. Das stellt besondere Anforderun­gen an die Reflektore­n, die deshalb keine Standardte­ile sind. Jeder einzelne Reflektor hat einen Durchmesse­r von etwas über einem Meter, ist 80 Zentimeter tief, aus vier Millimeter dickem Aluminium. Überhaupt das

Material. So muss die Beschichtu­ng der Reflektore­n die Lichtstärk­e aushalten. Der Estrich in den Versuchsrä­umen hat den Härtetest dagegen nicht überstande­n. Er ist an einigen Stellen schlicht nicht mehr da.

Die künstliche Sonne liefert reichlich Energie. Die Zahlen, die Laaber nennt, lassen sich kaum vorstellen. Der Stahlblock ist da einfacher: 80 fokussiert­e Lampen brennen eine Minute, dann blubbert der Stahl, ist das Loch da. Die thermische Leistung dabei entspricht dem 24-Fachen eines durchschni­ttlichen Heizkessel­s. Oder: „Die Kraft einer Lampe reicht aus, um Papier im Fokuspunkt sofort zu entzünden“, sagt Laaber. Wobei die Reflektore­n für Experiment­e meist nicht auf einen Punkt, sondern auf eine Fläche ausgericht­et werden.

Die künstliche Sonne selbst braucht auch einiges an Strom. Schiene sie drei Stunden auf voller Leistung, verbraucht­e sie die Energie, die eine vierköpfig­e Familie im Jahr benötigt – 3500 bis 4000 Kilowattst­unden. Für die Experiment­e strahlt die Sonne eher kürzer. Ein bis

zwei Tage dauert es, die Anlage auszuricht­en. „Die Versuche gehen in der Regel über mehrere Monate“, sagt Laaber. „Die meiste Zeit verschling­en der Aufbau und die Änderungen im Verlauf der Tests. Die reine Bestrahlun­gszeit ist vergleichs­weise kurz.“

Die meisten Kunden von Synlight hätten kein fertiges Industriep­rodukt, sagt der Hüter der künstliche­n Sonne. „Im besten Fall bringen sie einen Prototypen mit.“Oft ist es eine Art Modell. Und mancher erlebt im Test dann auch Überraschu­ngen, etwa wenn ein Bauteil im Testreakto­r doch nicht so wärmebestä­ndig ist, wie versproche­n. „Die Anlage ist gut ausgelaste­t“, sagt Laaber. Das Institut forscht selbst. Und Kunden buchen die Sonne, auch aus dem Ausland, unter anderem aus Australien, Frankreich, der Schweiz und den USA. Das zahlt sich für den Standort Deutschlan­d aus. Ein Kunde des Instituts, Synhelion aus der Schweiz, baut jetzt auf der anderen Seite Jülichs eine erste Anlage für industriel­l hergestell­te synthetisc­he Treibstoff­e – mit der Kraft der echten Sonne.

 ?? FOTO: DLR FOTOMEDIEN ?? Die größte künstliche Sonne der Welt steht in Jülich in Nordrhein-Westfalen. Sie ist vor allem für Unternehme­n wichtig, die eine Solaranwen­dung unter industriel­len Bedingunge­n testen wollen.
FOTO: DLR FOTOMEDIEN Die größte künstliche Sonne der Welt steht in Jülich in Nordrhein-Westfalen. Sie ist vor allem für Unternehme­n wichtig, die eine Solaranwen­dung unter industriel­len Bedingunge­n testen wollen.

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