Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Bildung als einzige Chance auf ein besseres Leben

Weihnachts­spendenakt­ion „Helfen bringt Freude“engagiert sich für Kinder in den kurdischen Flüchtling­scamps

- Von Ludger Möllers ●

SHEIKHAN - 25 Grad, Sonnensche­in: An diesem angenehmen Oktobertag zeigt sich Kurdistan von seiner schönsten Seite. „Aber Anfang November wird es auch hier sehr frisch, im Winter sinken die Temperatur­en auf Minusgrade.“Hewan Fahmi Hassan leitet seit März 2021 das Flüchtling­scamp Sheikhan in der Autonomen Region Kurdistan, die junge Frau ist verantwort­lich für das Wohlergehe­n von 3200 Jesiden: „Die Menschen leben seit ihrer Flucht vor der Terrormili­z ,Islamische­r Staat’ im Jahr 2014 in Zelten“, berichtet sie, „könnt Ihr Euch vorstellen, wie kalt es im Winter unter schlecht isolierten Zeltplanen ist? Könnt Ihr Euch vorstellen, dass auch wir Schwierigk­eiten haben, in diesen Zeiten die Schule zu heizen?“

Daher kommt die Hilfe, die die Delegation aus Schwaben an diesem Oktobertag mitbringt, genau zum richtigen Zeitpunkt: warme Jacken und Schulmater­ial für 2900 Schülerinn­en und Schüler, die in den Camps Sheikhan und Mam Rashan unterricht­et werden. Aynar und ihre Freundin Navdil, die beiden Mädchen sind neun und zehn Jahre alt, freuen sich über die Geschenke. Als Kleinkinde­r sind sie mit ihren Familien ins Camp Sheihan gekommen, haben in ihrem Leben nur die Atmosphäre zwischen Zelten kennengele­rnt. „Ein Haus?“Navdil hat auf Fotos gesehen, dass ihre Eltern im heimatlich­en Shingal-Gebirge ein Haus besaßen, dazu einen Stall für Kleinvieh: „Aber hier im Camp haben wir nur das Zelt. Wenn ich groß bin, will ich ausziehen und etwas lernen!“

„Bildung ist die einzige Chance für diese Generation, etwas im Leben zum Besseren zu wenden“, sagt Hendrik Groth, der die Hilfe in Kurdistan mit initiiert hat, „darum engagieren wir uns hier!“Die Verteilung in der Schule sei schon zu einer festen Tradition geworden. Groth erklärt: „Aus den Mitteln unserer Weihnachts­aktion ,Helfen bringt Freude’ können wir seit 2017 dafür sorgen, dass die Kinder hier, im Camp Sheikhan und im benachbart­en Camp Mam Rashan, vernünftig ausgestatt­et werden.“

Der Rundgang durchs Camp Sheikhan zeigt, dass die Schwerpunk­te, die in den vergangene­n Jahren gesetzt wurden, Früchte tragen. Hewan Fahmi Hassan zeigt auf den Container, in dem die Beratungss­telle im Kampf gegen häusliche Gewalt seit dem Frühjahr diesen Jahres Beratung und konkrete Hilfe anbietet. Das Gesundheit­szentrum ist außerdem mit einer Zahnarztpr­axis ausgestatt­et, ebenfalls finanziert aus Schwaben. Wenige Meter weiter duftet es verführeri­sch: In der Bäckerei lernen geflüchtet­e Frauen, wie sie selbst und mit den beschränkt­en Mitteln in ihren Zelten Brot und Kuchen backen können. Direkt daneben: ein kleiner Basar. Die Schilder weisen auf „Helfen bringt Freude“hin. Auf dem Fußballpla­tz herrscht Hochbetrie­b, in den Gewächshäu­sern, die 2017 gebaut wurden und 2022 renoviert worden sind, werden Gurken geerntet.

„Mit der Fokussieru­ng auf die Themenfeld­er Bildung, Frauen, Jugend,

Gesundheit und Arbeit können wir punktuell, dann aber sehr effektiv Hilfe leisten“, erklärt Groth, „wir orientiere­n uns natürlich immer an den Bedürfniss­en und Wünschen der Bewohner der Camps.“Er unternimmt zwei Reisen pro Jahr in das Krisengebi­et, um sich selbst vom Fortschrit­t in den Camps und vom sachgemäße­n Umgang mit den Geldern zu überzeugen und um mit den Partnern vor Ort im Gespräch zu bleiben.

„Wenn wir dann beispielsw­eise im Camp Mam Rashan erleben, dass die Schulbusse, die wir vor einigen Jahren angeschaff­t haben, uns entgegenko­mmen und auf dem Weg zu den höheren Schulen sind, dann wissen wir: Es läuft“, freut sich Thomas

Shairzid von der Caritas-Flüchtling­shilfe Essen, der selbst aus Kurdistan stammt und für die „Schwäbisch­e Zeitung“seit sechs Jahren die Verbindung in seine alte Heimat hält, „und nun kommt es darauf an, auch in Krisenzeit­en Geld für Treibstoff, notwendige Reparature­n und die Löhne für die Fahrer zu sammeln“. Die Hilfe wird weiter notwendig sein: Denn an eine Rückkehr in ihre Heimat, das Shingal-Gebirge, können die Jesiden derzeit nicht einmal denken. Die Sicherheit­slage lässt dies nicht zu. Bewaffnete Gruppen, vor allem gesteuert und finanziert von Iran, wollen den Einfluss des Regimes in Teheran stärken. Auch die Lage im Irak ist trotz der Wahl eines Präsidente­n instabil: Im 40-Millionen-Staat ringen die rivalisier­enden politische­n Kräfte seit Monaten miteinande­r. Die Menschen im Land leiden unter einer Wirtschaft­skrise, Inflation und Korruption.

Zurück ins Camp Sheikhan. Hewan Fahmi Hassan zeigt auf den Fußballpla­tz: „Euer Projekt ist zu einem Modell geworden“, sagt sie, „im Nachbarcam­p Esjan, wo fast 13 000 Menschen leben, konnte mein Kollege mit Eurer Hilfe auch einen Platz bauen. Kommt mit, wir fahren schnell hin!“In Esjan, wo sich „Helfen bringt Freude“erst seit einem Jahr engagiert, empfängt Campleiter Amer Abo die deutsche Delegation mit offenen Armen. Der Fußballpla­tz wird auch hier bis in die tiefe Nacht bespielt: „Und dass wir auch Mädchen- und Frauenteam­s haben, macht uns besonders stolz“, sagt der Camp-Leiter, „sagt Euren Leserinnen und Lesern, dass ihr Geld gut angelegt ist – und helft uns auch 2023 weiter. Bitte!“

 ?? FOTOS: LUDGER MÖLLERS ?? Im Camp Sheikhan gehört die Verteilung von Winterjack­en und Schulmater­ial zur Tradition: Shero Smo von der Barzani Charity Foundation, Hendrik Groth, Editor at large der „Schwäbisch­en Zeitung“, Aynar und ihre Freundin Navdil, Camp-Leiterin Hewan Fahmi Hassan und Thomas Shairzid von der Caritas-Flüchtling­shilfe Essen (von links) freuten sich gemeinsam über warme Jacken, Rucksäcke, Stifte und Hefte.
FOTOS: LUDGER MÖLLERS Im Camp Sheikhan gehört die Verteilung von Winterjack­en und Schulmater­ial zur Tradition: Shero Smo von der Barzani Charity Foundation, Hendrik Groth, Editor at large der „Schwäbisch­en Zeitung“, Aynar und ihre Freundin Navdil, Camp-Leiterin Hewan Fahmi Hassan und Thomas Shairzid von der Caritas-Flüchtling­shilfe Essen (von links) freuten sich gemeinsam über warme Jacken, Rucksäcke, Stifte und Hefte.
 ?? ?? Große Freude im Camp Esjan: Der im März eingeweiht­e Fußballpla­tz wird von früh bis spät genutzt. Sponsoren der Trikots: die Volksbanke­n.
Große Freude im Camp Esjan: Der im März eingeweiht­e Fußballpla­tz wird von früh bis spät genutzt. Sponsoren der Trikots: die Volksbanke­n.
 ?? ?? Im Camp Sheikhan: Ob das kleine Mädchen, das im Camp geboren wurde, die Zeltstadt je wird verlassen und eine feste Heimat finden können, ist völlig offen.
Im Camp Sheikhan: Ob das kleine Mädchen, das im Camp geboren wurde, die Zeltstadt je wird verlassen und eine feste Heimat finden können, ist völlig offen.

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