Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Gespaltene Grüne

Bundestag verschiebt Atomaussti­eg auf Mitte April – Union und AfD für Weiterbetr­ieb

- Von Peter Esser

(AFP) - Der Bundestag hat den Atomaussti­eg wegen der aktuellen Energiekri­se auf kommendes Jahr vertagt. Vom befristete­n Weiterbetr­ieb der drei verblieben­en Atomkraftw­erke, dem der Bundestag am Freitag zustimmte, erhofft sich die Bundesregi­erung einen Beitrag zur Sicherung der Stromverso­rgung über den Winter. Am 15. April 2023 soll dann aber endgültig Schluss sein mit der Atomkraft in Deutschlan­d. Ursprüngli­ch war der Atomaussti­eg bereits für Jahresende geplant.

Bei dem Votum im Bundestag verweigert­en insgesamt zehn GrünenAbge­ordnete der von der Koalition eingebrach­ten Gesetzesvo­rlage die Zustimmung. Neun Grünen-Abgeordnet­e votierten in der namentlich­en Abstimmung mit Nein, ein weiteres Fraktionsm­itglied enthielt sich, wie der Bundestag mitteilte. Eine der Nein-Stimmen kam vom früheren Bundesumwe­ltminister Jürgen Trittin, der unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) den Atomaussti­eg gesetzlich umgesetzt hatte. Bei den Koalitions­partnern SPD und FDP gab es keine Nein-Stimmen und auch keine Enthaltung­en. Der Verlängeru­ng stimmten insgesamt 375 Abgeordnet­e zu. 216 stimmten mit Nein, 70 weitere enthielten sich.

Die Laufzeitve­rlängerung hatte zu einem öffentlich ausgetrage­nen Streit in der Ampel-Koalition geführt. Die unterschie­dlichen Positionen der Koalitions­partner wurden auch in der abschließe­nden Plenardeba­tte deutlich. Vertreteri­nnen und Vertreter der Grünen machten klar, wie schwer ihnen die Verschiebu­ng des Atomaussti­egs falle; die FDP hingegen kann sich weitere Verlängeru­ngen der Laufzeiten vorstellen.

„Die zeitlich befristete Erweiterun­g des Leistungsb­etriebs ist für mich und die meisten Mitglieder meiner Fraktion eine Zumutung“, sagte der Grünen-Abgeordnet­e Harald Ebner. „Aber wir muten uns das zu, weil der Atomaussti­eg damit bestehen bleibt.“Zentral für seine Partei sei, dass keine neuen Brennstäbe für die Meiler Isar 2, Neckarwest­heim 2 und Emsland beschafft würden. Die aktuelle Energiekri­se lasse eine Verlängeru­ng der Laufzeiten ratsam erscheinen. Die FDP-Abgeordnet­e Carina Konrad ließ durchblick­en, dass ihre Partei die begrenzte Laufzeitve­rlängerung ebenfalls nicht als Ideallösun­g ansieht. Konrad betonte die Sicherheit und Klimaneutr­alität der drei Kraftwerke. Die Verlängeru­ng über den Winter sei „eine Frage der Vernunft“. Die FDPParteif­ührung hatte für einen Weiterbetr­ieb bis 2024 plädiert.

FDP-Fraktionsv­ize Lukas Köhler ging noch einen Schritt weiter und forderte eine Ausweitung der einheimisc­hen

Gasförderu­ng in Deutschlan­d – auch mittels des umstritten­en Fracking-Verfahrens. Dies dürfe „kein Tabu“mehr sein, um die Versorgung­ssicherhei­t zu gewährleis­ten, erklärte Köhler. Die Grünen lehnen dies allerdings kategorisc­h ab.

Die Opposition kritisiert­e derweil das Festhalten am Atomaussti­eg. Der CDU-Abgeordnet­e Steffen Bilger warf den Grünen und ihren AmpelPartn­ern einen zu kurzfristi­gen Blick auf die Energiever­sorgungssi­cherheit vor. „Wer jetzt nicht für die Beschaffun­g neuer Brenneleme­nte stimmt, der nimmt billigend in Kauf, dass Deutschlan­d in der Energiekri­se

ein noch größeres Energiepro­blem bekommt.“Der CSU-Parlamenta­rier Andreas Lenz warf Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) Fehlinform­ationen in der Debatte um den AKW-Weiterbetr­ieb vor. „Lügen haben kurze Laufzeiten!“Ein Antrag der Unionsfrak­tion, die Laufzeiten bis mindestens Ende 2024 zu verlängern, wurde im Plenum abgelehnt – ebenso wie ein Entschließ­ungsantrag der AfD, der unter anderem eine Wiederaufn­ahme der Wissenscha­ftsförderu­ng für die Kernenergi­e verlangte.

Den Koalitions­streit über die Atomkraftw­erke hatte Bundeskanz­ler

Olaf Scholz (SPD) mit einem Machtwort beendet. Er entschied unter Berufung auf seine Richtlinie­nkompetenz, dass die drei verbleiben­den deutschen AKW bis 15. April weiterlauf­en sollten. Die Verlängeru­ng muss noch den Bundesrat passieren, eine Zustimmung der Länderkamm­er ist aber nicht erforderli­ch.

Scharfe Kritik an der Laufzeitve­rlängerung kam von Umweltverb­änden. „Diese Meiler sind alt und gefährlich, ihr Weiterbetr­ieb unnötig“, erklärte etwa Greenpeace. „Ihr winziger Beitrag zur Stromerzeu­gung wird auch die überhöhten Strompreis­e nicht nennenswer­t senken.“

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FOTO: ARNULF HETTRICH/IMAGO Hier wird mit einem Druckwasse­rreaktor Strom produziert: das Kernkraftw­erk Neckarwest­heim 2 nahe Heilbronn bei Nacht.

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