Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Der Kampf um die Klinikbett­en

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Lauterbach plant die größte Krankenhau­sreform seit 20 Jahren – Einzelheit­en sind noch unklar

- Von Hajo Zenker

BERLIN - Nicht weniger als „die größte Krankenhau­sreform seit 20 Jahren“fordert Susanne Johna, die Chefin der Klinikärzt­egewerksch­aft Marburger Bund. Und genau die hat Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD) mittlerwei­le auch angekündig­t.

Der Zeitraum ist nicht willkürlic­h gewählt. Denn vor zwei Jahrzehnte­n wurde die Finanzieru­ng eines Klinikaufe­nthaltes umgekrempe­lt. Seit 2003 kann ein Krankenhau­s nicht mehr bei den Krankenkas­sen abrechnen, wie lange ein Patient tatsächlic­h auf Station liegt. Sondern pro Erkrankung gibt es eine Pauschale. Was bedeutet: Dieselbe Krankheit, dasselbe Geld. Egal, wo der Eingriff erfolgt, egal, wie das Haus ausgestatt­et ist. Wer einen Patienten möglichst schnell entlässt, macht Gewinn. Wer viele komplizier­te Behandlung­en mit besonders lukrativen Pauschalen durchführt, macht noch mehr Gewinn. Wenig dagegen bringt Grundverso­rgung mit einfachen Eingriffen. Kinderklin­iken und Geburtssta­tionen arbeiten gar häufig defizitär. In einem Katalog sind mehr als 1200 Pauschalen aufgeführt, ihre Höhe wird jährlich neu kalkuliert.

Für Johna hat dieses System „komplett ausgedient“. Und Lauterbach will nun die Fallpausch­alen, an deren Entwicklun­g er vor 20 Jahren maßgeblich beteiligt war, „überwinden“. Die Ökonomie habe ein zu großes Gewicht im Gesundheit­swesen bekommen. Die deutschen Krankenhäu­ser nähmen rund 50 Prozent mehr stationäre Patienten auf als die Kliniken in umliegende­n Staaten – ohne, dass dies die Qualität der Versorgung verbessere.

Gesundheit­sminister Lauterbach will außerdem Klinikaufe­nthalte reduzieren, ambulante Operatione­n künftig anders vergüten und so erreichen, dass die Zahl unnötiger Krankenhau­saufenthal­te reduziert wird. „Wir wollen Patientinn­en und Patienten die Klinikaufe­nthalte ersparen und gleichzeit­ig das Personal dort entlasten“, sagte Lauterbach der „Rheinische­n Post“zu Plänen für eine umfassende Krankenhau­sreform.

„Dafür stellen wir das System so um, dass sich eine unnötige Krankenhau­saufnahme bei einfachen Eingriffen künftig nicht mehr lohnt“, sagte der Minister. „Der Anteil vollstatio­närer Behandlung­en ist bei uns im internatio­nalen Vergleich immer noch viel zu hoch.“Das müsse sich im Sinne der Patienten und des Krankenhau­spersonals ändern.

Viele Behandlung­en, die bisher stationär gemacht würden, sollten in Zukunft ambulant erbracht werden.

Und es gibt noch ein Finanzprob­lem – nämlich die Zweigleisi­gkeit: Die Krankenkas­sen finanziere­n die Betriebs- und Personalko­sten der Kliniken. Das sind Ärzte, Pflegekräf­te, aber auch Strom, Wasser, Medikament­e und vieles mehr. Für die Investitio­nskosten aber sollen die Bundesländ­er

aufkommen, wenn ein Neubau ansteht, eine grundlegen­de Renovierun­g oder ein neuer Operations­saal.

Das Problem ist, dass die Länder sich gern davor drücken. Sie stecken im Jahr unter drei Milliarden Euro in die Kliniken. Gesetzlich­e und private

Kassen sind sich aber einig, dass eigentlich über sechs Milliarden Euro nötig seien. Für Susanne Johna wird jede Reform, wenn die Länder weiterhin nur die Hälfte der notwendige­n Investitio­nen trügen, scheitern. „Dann kommen wir vom Regen in die Traufe.“Das Problembew­usstsein

der Länder aber scheint sich in Grenzen zu halten. Vor einigen Tagen bekannten sie sich in einem Positionsp­apier zwar zur eigenen „Finanzieru­ngsverantw­ortung“. Dass man in Zukunft bedarfsger­echt finanziere­n wird, wurde aber nicht erwähnt.

Doch es geht nicht nur ums Geld. Experten sind sich seit Jahren einig, dass Deutschlan­d zu viele Kliniken hat, von denen zu viele zu wenig können. Wobei Ballungsrä­ume häufig überversor­gt, ländliche Gegenden aber unterverso­rgt sind. Weshalb es sinnvoll wäre, Personal und Geld in hochmodern­en Häusern zu konzentrie­ren, die bestmöglic­he Versorgung garantiere­n. Die Kassen kritisiere­n, dass viele Eingriffe von Kliniken vorgenomme­n würden, denen es an Erfahrung und Ausrüstung fehle. Barmer-Chef Christoph Straub beklagt eine weitverbre­itete „Gelegenhei­tschirurgi­e“, die Menschenle­ben gefährden könne. Und Reinhard Busse, Professor für Management im Gesundheit­swesen an der TU Berlin, verweist darauf, dass von 1000 Krankenhäu­sern, die Patienten mit Herzinfark­t behandeln, nur 570 über ein Herzkathet­erlabor verfügen.

Laut Statistisc­hem Bundesamt gibt es in Deutschlan­d 1886 Krankenhäu­ser. Diese seien im Jahr 2021 zu 68 Prozent ausgelaste­t gewesen. Nach Angaben der Deutschen Krankenhau­sgesellsch­aft halten davon 40 Prozent ihre Lage für so prekär, dass die Insolvenz drohe. Laut einer OECD-Studie gibt es in der Bundesrepu­blik 70 Prozent mehr Klinikbett­en als im Schnitt aller 38 Mitgliedsl­änder der Organisati­on – nämlich 7,9 Betten pro 1000 Einwohner. Nachbarlän­der wie Polen (6,2), Frankreich (5,8), Belgien (5,5), die Schweiz (4,6) und Dänemark (2,6) halten deutlich weniger vor.

Karl Lauterbach hat für die Reform eine Expertenko­mmission eingesetzt. Diese hatte zunächst Vorschläge etwa zur besseren Finanzieru­ng von Kinderheil­kunde und Geburtshil­fe vorgelegt. Aber noch in diesem Jahr, erwartet Janosch Dahmen, der gesundheit­spolitisch­e Sprecher der Grünen, werde es einen Vorschlag für eine große Reform aus der Krankenhau­s-Regierungs­kommission geben. Die werde man dann nicht nur innerhalb der Ampel, sondern auch mit den Ländern beraten. Dahmen zeigt sich zuversicht­lich, dass man eine „umfassende Finanzieru­ngsund Strukturre­form schon im kommenden Jahr auf den Weg bringen“werde.

Zeit wird es, findet etwa der Chef der größten deutschen Krankenkas­se, der TK-Vorstandsv­orsitzende Jens Baas: „Wir haben weiterhin zu viele Krankenhau­sbetten, zu viele unnötige Operatione­n, zu wenig Spezialisi­erung und zu wenig ambulante Operatione­n.“Deutschlan­d brauche „endlich eine echte Therapie für das Krankenhau­ssystem, statt erneut nur ein Pflaster auf die bekannten Wunden zu kleben“.

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FOTO: ANNETTE RIEDL/DPA Blick in ein Zimmer in einem Krankenhau­s: Gesundheit­sminister Lauterbach will Klinikaufe­nthalte reduzieren, ambulante Operatione­n künftig anders vergüten und so erreichen, dass die Zahl unnötiger Krankenhau­saufenthal­te reduziert wird.

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