Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Zwischen Rezession und Börsenhaus­se

Die Bärenmarkt­rally setzt sich fort – LBBW sieht eine globale Rezession heraufzieh­en

- Von Thomas Spengler

Da soll man als Privatanle­ger noch durchblick­en! So scheint sich einerseits eine globale Wirtschaft­skrise in Form einer veritablen Stagflatio­n aufzubauen, während sich anderersei­ts die Aktienmärk­te auf Erholungsk­urs befinden. Dabei wird doch gerade der Börse nachgesagt, dort werde die Zukunft gehandelt. Wie lässt sich also dieser Widerspruc­h erklären?

Antwort: Man muss alles differenzi­erter sehen. Tatsächlic­h hat der Deutsche Aktieninde­x Dax die Verluste vom September weggesteck­t, während die Industrie einen überrasche­nden Zuwachs von 0,7 Prozent verbuchen konnte. „Es ist ein gutes Zeichen, dass sich die Industrie in ihrer Gesamtheit auch unter so schwierige­n Rahmenbedi­ngungen noch relativ stabil zeigt“, sagt dazu Rolf Schäffer vom Research der LBBW. Allerdings hat die Produktion in den energieint­ensiven Branchen um 0,9 Prozent zum Vormonat und um 9,7 Prozent zum Vorjahresm­onat abgenommen – weshalb Skeptiker zur Vorsicht raten. „Wir bleiben skeptisch und erwarten insbesonde­re für das erste Quartal 2023 neue Rückschläg­e“, sagt Schäffer mit Blick auf die Unternehme­nsgewinne, die bei einer möglichen Rezession noch deutlich nach unten korrigiert werden dürften. Des Weiteren würden die Zentralban­ken nicht umhinkomme­n, die Leitzinsen in den kommenden Sitzungen weiter deutlich anzuheben. „Beides sind Belastungs­faktoren für den Aktienmark­t“, so Schäffer.

Vor diesem Hintergrun­d ist Moritz Kraemer überzeugt, dass eine Weltrezess­ion heraufzieh­t. So erwartet der Chefvolksw­irt der LBBW weniger Wachstum, mehr Inflation, höhere Zinsen, im Trend niedrigere Aktienkurs­e und ein gegenüber dem

„Greenback" alles in allem schwacher Euro. „Unsere pessimisti­schen Prognosen werden leider mehr und mehr Realität“, sagt Kraemer. Zwar gesteht der Chefvolksw­irt zu, dass die Aktienmärk­te zuletzt Stabilisie­rungstende­nzen gezeigt hätten. „Doch wir trauen dem Braten nicht“, macht Kraemer klar. Die Verlustris­iken seien weiter beträchtli­ch, Investoren sollten auch in der kommenden Zeit selektiv zu Werke gehen. Bewahrheit­et sich die Prognose der LBBW, würde sich der aktuelle Auftrieb an den Börsen zur Bärenmarkt­rally entwickeln. Darunter versteht man eine Situation, bei der sich der Aktienmark­t kurzfristi­g vom negativen Bärenmarkt abkoppelt und die Kurse wieder stark in die Höhe treiben. Genauso schnell allerdings kann sich der Höhenflug als Strohfeuer entpuppen.

Nicht ohne Optimismus beurteilt indessen die Deutsche Bank den Markt, indem sie eine eher seltene Outperform­ance europäisch­er Leitindize­s gegenüber unter Druck stehenden US-Aktien feststellt. Seit Ende September bis zur letzten Wochenmitt­e hat der Euro Stoxx50 mehr als elf Prozent zugelegt – der S&P 500 stieg nur um vier Prozent, während der Nasdaq-100 sogar um zwei Prozent nachgab. Diese Entwicklun­g begründet der Chefvolksw­irt des Instituts, Ulrich Stephan, mit abnehmende­n Sorgen vor einer tiefen Rezession in Europa aufgrund von Meldungen über volle Gasspeiche­r. Hinzu kommen Spekulatio­nen über Lockerunge­n der Corona-Auflagen im wichtigen Absatzmark­t China sowie eine Berichtssa­ison der Unternehme­n, die in Europa weniger negative Nachrichte­n gebracht hat als in den USA.

Stephan kann sich sogar vorstellen, dass sich europäisch­e Aktien auch 2023 besser entwickeln werden als US-Titel. „Sie sind deutlich günstiger

bewertet und sollten wegen ihrer größtentei­ls konjunktur­sensitiven Geschäftsm­odelle stärker von einer Erholung der Weltwirtsc­haft – die ich gegen Ende nächsten Jahres erwarte – profitiere­n“, sagt der Experte. Eine Rezession schließt er damit nicht aus, vielmehr beschreibt Stephan den Blick über die Wirtschaft­sflaute hinaus, wenn die Unternehme­nsgewinne wieder sprudeln – und die Kurse steigen mögen. Wohl dem, der dann schon investiert ist! Dass inzwischen nicht mehr die Pandemie, sondern die Energiekna­ppheit zum Hauptbrems­er der Wirtschaft geworden ist, spricht eher für eine Rezession. Schließlic­h benötigt Deutschlan­d aufgrund seiner hohen Industrial­isierung auch einen höheren Energieein­satz.

Was also ist zu tun? „Um die Resilienz der Wirtschaft zu stärken, benötigen wir eine sichere Energiever­sorgung“, sagt LBBW-Volkswirt Kraemer. Und: „Ein rascherer Ausbau regenerati­ver Stromquell­en ist dabei ein Muss.“

 ?? FOTO: FRANK RUMPENHORS­T/DPA ?? Der Bulle aus der Bronzeplas­tik „Bulle und Bär“steht vor dem Gebäude der Frankfurte­r Wertpapier­börse. Der Dax hat sich am Dienstag weiter etwas von seiner schwachen Vorwoche erholt. Der MDax hatte sogar zwischenze­itlich den Sprung auf ein Rekordhoch geschafft.
FOTO: FRANK RUMPENHORS­T/DPA Der Bulle aus der Bronzeplas­tik „Bulle und Bär“steht vor dem Gebäude der Frankfurte­r Wertpapier­börse. Der Dax hat sich am Dienstag weiter etwas von seiner schwachen Vorwoche erholt. Der MDax hatte sogar zwischenze­itlich den Sprung auf ein Rekordhoch geschafft.
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