Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Krieg ist der größte Preistreiber
Die hohe Inflation ist kein neues Phänomen – Doch die Lage ist heute ganz anders als früher
BERLIN - Manche Bilder des Jahres 1923 sind heute immer noch präsent. Geldscheine mit Milliardenbeträgen gehören dazu. Arbeiter holten damals gleich zweimal am Tag ihren Lohn ab und reichten ihn gleich an die Ehefrau weiter. Sie gab es sofort für das Nötigste aus. Denn Stunden später kosteten Brot oder Milch schon viel mehr. Die Inflation hatte ihren Höhepunkt erreicht. In der Spitze stiegen die Preise monatlich um fast 30 000 Prozent. Zeitweilig heizten Menschen mit dem Papiergeld, weil das billiger war als Briketts.
Die Hyperinflation vor fast 100 Jahren war nicht die erste massive Preissteigerungswelle und wird wohl auch nicht die letzte sein. Von Hyperinflation sprechen Fachleute, wenn die Preise monatlich um 50 Prozent oder mehr steigen. Davon ist Deutschland heute weit entfernt. Am Freitag hat das Statistische Bundesamt die Zahlen für den Oktober bekannt gegeben, die noch einmal höher als im Vormonat September waren und um 10,4 Prozent über dem Vorjahreswert liegen.
Auch die Gründe für den Preisgalopp waren damals weitgehend andere. Die inflationäre Entwicklung begann schon zum Beginn des ersten Weltkriegs 1914. Das Kaiserreich finanzierte seinen Feldzug mit kurzfristigen Schulden. Das Versprechen, die Bürger könnten ihre Mark bei der Reichsbank gegen Gold eintauschen, wurde aufgehoben. Stattdessen verschuldete sich der Staat massiv bei ihnen und bei der Reichsbank. Diese druckte immer mehr Banknoten.
Mit dem Kriegsende 1918 stand der Staat praktisch blank da. Die Siegermächte
forderten gewaltige Reparationen, die prekäre Lage der Menschen erforderte hohe Sozialausgaben. „Die Reichsbank gab immer mehr Geld in Umlauf, ohne dass das Güterangebot in Deutschland im gleichen Maße gewachsen wäre“, erläutert die Bundesbank. Diese Entwicklung mündete schließlich in jene Milliardenbeträge, die 1923 für alltäglich Waren bezahlt werden mussten. Der Vertrauensverlust in die eigene Währung führte schließlich zu deren Zusammenbruch und einer Währungsreform. Mit der Einführung der Rentenmark verloren
praktisch alle Geldguthaben der Menschen endgültig ihren gesamten Wert. Ein Schock. Doch die schließlich 1924 zu einem Wechselkurs von 1:1 Billion eingeführte Reichsmark stabilisierte sich schließlich.
Nur eine Gemeinsamkeit zwischen den Phasen mit hohen Inflationsraten ist erkennbar. „Krieg ist einer der größten Inflationstreiber“, sagt der Wirtschaftshistoriker Sebastian Teupe von der Uni Bayreuth. Das gilt auch für die folgende galoppierende Inflation in den 1940erJahren. Da hat die Kriegsfinanzierung der Nazis die Geldvermögen
der Bürger vernichtet. Lange Zeit konnten die Nazis durch Preisregulierungen die Teuerung verschleiern. Die Preise blieben zwar gleich, aber die Qualität der Produkte wurde immer schlechter. Statt mit Geld bezahlten die Menschen nach Kriegsende mit Tauschwaren auf dem Schwarzmarkt. Als Währung fungierten zeitweilig amerikanische Zigaretten. Kurz vor der Währungsreform in Westdeutschland 1948 gab es in den Geschäften kaum noch etwas zu kaufen. Das änderte sich mit der Einführung der D-Mark über Nacht.
Die jüngsten Inflationsdaten sind die höchsten seit gut 70 Jahren. Tatsächlich gab es auch 1951 einen Hochstand bei der Teuerung. Diesmal aus ganz anderen Gründen. „Damals haben sich die Preise in der Bundesrepublik hauptsächlich wegen der mit dem Koreakrieg verbundenen Kaufwelle im Inland und auf den Weltmärkten sprunghaft erhöht“, heißt es in einem Gutachten der Bundesbank aus dem Jahr 1965. Zudem wurden staatliche Preiskontrollen aufgehoben und die Tarife für öffentliche Leistungen wie dem Nahverkehr oder der Post angehoben. Mit einer Inflationsrate von knapp acht Prozent war das Preisniveau aber im Vergleich zu den 1920er- und 1940erJahren deutlich stabiler. Und 1951 blieb ein Ausreißer.
Der Krieg im Nahen Osten wiederum löste in den 1970er-Jahren den nächsten Preisschock, ausgehend vom Ölpreis, aus. Krieg ist direkt oder indirekt die gemeinsame Mitursache der großen Inflationswellen in Deutschland. Das ist heute nicht anders. Zweimal haben die Deutschen insgesamt das Vertrauen in ihre Währung vollständig verloren. Dazu kommt der Vertrauensverlust der Ostdeutschen in die Mark der DDR, die am Ende des zweiten deutschen Staates den Ruf nach der D-Mark laut werden ließ.
Das Vertrauen in den Euro ist dagegen trotz hoher Preise noch nicht erschüttert, auch wenn es Proteste gegen die teure Energie gibt. „Inflation führt immer zu sozialem Unmut“, beobachtet Teupe. Doch während sich der Protest vor 100 Jahren gegen viele richtete, etwa gegen „raffgierige“Unternehmer, Juden, Einzelhändler oder Politiker, steht heute vor allem die Politik in der Kritik.