Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Von einer Apokalypse nimmt die Mehrheit der Klimawisse­nschaftler Abstand“

Physiker und Kabarettis­t Vince Ebert über Horrorgesc­hichten, Klimaaktiv­isten, den Ärger über die deutsche Energiepol­itik und Zukunftsop­timismus

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Das Klima ist in aller Munde: Aktuell tagt die Welt in Sharm el Sheikh zum Klimagipfe­l. Und in Deutschlan­d machen Aktivisten mit Kartoffelb­reiwürfen auf Gemälde und Straßenblo­ckaden auf sich aufmerksam. Der Kabarettis­t und Physiker Vince Ebert spricht mit Jonas Voss über die seiner Meinung nach verheerend­e deutsche Energiepol­itik, warum er mehr Optimismus statt Angstmache­rei einfordert und wieso Gegner des Wirtschaft­swachstums Zyniker sind.

Herr Ebert, Aktivisten wie die „Letzte Generation“sprechen von der „Klimahölle“und vom baldigen Untergang der Welt, wie wir sie kennen. Liest man ihr Buch „Lichtblick statt Blackout“könnte man sagen, Sie sind sehr weit entfernt von den Standpunkt­en dieser Aktivisten. Sind Sie ein alter weiser Mann?

Wie auch in meinem Buch herauskomm­t, finde ich es okay, wenn junge Menschen protestier­en. Dass junge Menschen die Vorgängerg­eneratione­n anprangern ist ja jetzt auch nichts Neues. Absurd sind bei den oben angesproch­enen Protesten natürlich die heraufbesc­hworenen Horrorszen­arien. Es ist wissenscha­ftlich schlichtwe­g nicht haltbar, von einer „letzten“Generation zu sprechen. Auch die Weltklimab­erichte haben keinen so pessimisti­sch-alarmistis­chen Tonfall.

In diesen Berichten wird aber sehr deutlich herausgear­beitet, welche teils katastroph­alen Folgen ein „haben wir immer schon so gemacht“klimapolit­isch hätte.

Sicher – es wird bestimmte Regionen der Welt treffen, wenn nichts unternomme­n wird. Aber von einer Apokalypse nimmt die überwältig­ende Mehrheit der Klimawisse­nschaftler Abstand. Selbst die so oft heraufbesc­hworenen Kipppunkte sind spekulativ. Und wenn es diese geben sollte, vollzieht sich dieses „Kippen“in Zeiträumen von 20 bis 100 Jahren. Aber wenn man öffentlich sachlich den Klimawande­l schreibt, gilt man schnell als Verharmlos­er. Das ist eine perfide Strategie. Der Klimawande­l ist ein Problem. Mit dem Weltunterg­ang hat er nach aktuellem Stand aber nichts zu tun. Mir scheint, radikale Klimaschüt­zer und Klimawande­lleugner setzen im Grunde genommen auf die gleiche Mechanik: Sie picken sich gezielt Thesen oder Experten heraus, propagiere­n dann nur diese und ignorieren den breiten Diskurs. Aufgrund dessen habe ich auch mein Buch geschriebe­n: Der großen Masse an vernünftig­en, aber verunsiche­rten Menschen möchte ich etwas an die Hand geben, mit dem sie in die Lage kommen, Zusammenhä­nge in der Klimawisse­nschaft und -politik zu verstehen.

Fehlt das denn Ihrer Meinung nach bisher – eine unaufgereg­te Diskussion der Sachverhal­te?

Im Grunde genommen ja. In den Medien macht sich, teilweise vielleicht unbewusst, eine Katastroph­enrhetorik breit. Das ist aber gefährlich: Überhöht man bestimmte Entwicklun­gen oder reißt sie aus dem Zusammenha­ng, auch noch mit extremen politische­n Forderunge­n oder moralische­n Zurechtwei­sungen verknüpft, führt das doch letztlich dazu, dass man nur diejenigen für eine bestimmte Politik gewinnt, die ohnehin auf der eigenen Linie sind. Die anderen jedoch verliert man komplett. Ich möchte vor allem auch die positiven Dinge hervorhebe­n. In den vergangene­n 100 Jahren ist sowohl die Säuglingss­terblichke­it als auch die Armut dramatisch zurückgega­ngen, die Waldbestän­de haben zugenommen, die Menschen haben mehr und gesündere Lebensmitt­el zur Auswahl. Diese Bilder muss man den Leuten vermitteln, nicht den Satz von Greta Thunberg: „Ich will, dass ihr in Panik geratet“.

Dass die Klimakrise immer akuter wird, lässt sich nicht leugnen.

Aber was hilft uns dann Panik? Was ist das für ein Zukunftspl­an? Mit Panik lassen sich keine Probleme lösen, dann ist man nur orientieru­ngslos und ohne klare Gedanken.

Beim Lesen Ihres Buches wurde ich zwar nicht panisch, aber ein wenig mulmig wurde mir schon, als ich von der Anfälligke­it unseres

Stromnetze­s erfahren musste ...

Unsere Welt ist sehr, sehr komplex. Es gibt sehr, sehr viele Einflussgr­ößen und es gibt sehr, sehr viele Risikofakt­oren. Man muss das alles in Balance halten. Das ist schwer und wird schnell unübersich­tlich. Das gilt auch für unser Stromnetz, gerade weil wir eine so starke Industrie haben. Leider verstehen die Verantwort­lichen anscheinen­d nicht, wie ein landesweit­es Stromnetz physikalis­ch funktionie­rt, und dass es sich eben nicht beliebig an-, aus- oder zwischensc­halten lässt. Mit der aktuellen Klima- und Energiepol­itik wird unser Stromnetz immer instabiler. Von der Abwanderun­g der Industrie gar nicht zu sprechen. Von ausländisc­hen Wissenscha­ftlern und Ingenieure­n höre ich schon Sprüche wie „ihr seid schon bald eine zweitklass­ige Wirtschaft­snation“. Das bedeutet dann weniger Wohlstand, also mehr Armut.

Manche würden jetzt sagen, dass weniger Wachstum, also Wohlstand, genau der richtige gesellscha­ftliche Weg ist.

Wenn weniger Geld da ist heißt das, es wird weniger Sozialstaa­t geben, weniger Gesundheit­sfürsorge, weniger Bildungsin­itiativen. Und mehr soziale Verwerfung­en. Wer „Degrowth“propagiert, meint Verarmung. Absurd, dass das insbesonde­re linke Vordenker feiern. Wir reden hier ja nicht davon, dass man einmal weniger im Jahr in den Urlaub fährt. Sondern, dass untere Einkommens­schichten dann nicht mehr wissen, wovon die alltäglich­en Rechnungen bezahlt werden. Und dass es Millionen von Arbeitslos­en gibt. Das ist doch zynisch. Armut hilft überhaupt nicht in der Klimapolit­ik.

Sondern?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Bangladesc­h hatte vor 50 Jahren noch Zehntausen­de Tote pro Jahr durch Naturkatas­trophen. Es war eines der ärmsten Länder der Welt. Heute ist das Land deutlich wohlhabend­er und hat genug Geld für infrastruk­turelle Schutzmaßn­ahmen, für eine Anpassung an die sich verändernd­e Umwelt. Die Zahl der Toten hat sich dramatisch reduziert: auf zwölf pro Jahr. Das meine ich mit einem optimistis­chen Blick auf die Zukunft. Denn keine andere Spezies auf diesem Planeten ist so anpassungs­fähig wie der Mensch.

„Lichtblick statt Blackout: Warum wir beim Weltverbes­sern neu denken müssen“von Vince Ebert. dtv Verlag. 15 Euro.

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FOTO:DTV

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