Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Scharfe Kritik an Behörden im Fall Brokstedt
Vorgeschichte der tödlichen Messerattacke in Regionalzug löst heftige Reaktionen in der Politik aus
(dpa) - Nach der tödlichen Messerattacke in einem Zug zwischen Kiel und Hamburg treten zunehmend Defizite in der Zusammenarbeit zwischen Behörden zutage – vor allem auch über Ländergrenzen hinweg. Dies machte am Mittwoch eine Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses im schleswig-holsteinischen Landtag in Kiel deutlich.
Bestimmte Informationen aus Hamburg zum mutmaßlichen Täter Ibrahim A. seien nicht in SchleswigHolstein angekommen, sagte Integrationsministerin Aminata Touré (Grüne). Behörden beider Länder müssten sich fragen, ob sie nicht an einigen Stellen hätten nachhaken müssen.
Der 33-jährige Palästinenser war erst wenige Tage vor der Gewalttat mit zwei Toten und fünf Verletzten in Hamburg aus der Haft entlassen worden. Hamburgs Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) verteidigte sich fast zeitgleich in der Bürgerschaft, dem Landesparlament von
Hamburg, gegen Kritik. Sie verwies darauf, dass die Freilassung gerichtlich entschieden wurde. „Und es gab auch keine Möglichkeit, Auflagen zu erteilen“, betonte Gallina.
In Kiel warf CDU-Landtagsfraktionschef Tobias Koch den Justizbehörden in Hamburg und NordrheinWestfalen eklatantes Versagen vor, weil diese erforderliche Informationen weder an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge noch an die Ausländerbehörde in Kiel weitergeleitet hätten. Seine ersten Jahre in Deutschland hielt sich Ibrahim A. in Nordrhein-Westfalen auf.
Über eine Rücknahme des sogenannten subsidiären Schutzstatus ist laut Bundesamt bislang noch nicht entschieden worden. Als Grund nannte ein Abteilungsleiter in Kiel, es sei nicht möglich gewesen, Ibrahim A. rechtliches Gehör zu geben, da dieser keinen festen Wohnsitz hatte. Auf Post an eine Meldestelle für Obdachlose habe er nicht reagiert.
Hätte die Behörde Kenntnis von der Hamburger Untersuchungshaft gehabt, wäre es ein Leichtes gewesen, sagte der Abteilungsleiter. Auch der Austausch mit der Kieler Ausländerbehörde habe keine entsprechenden Hinweise ergeben. Nach der Inhaftierung könne dem Mann nun rechtliches Gehör gewährt werden. Es sei wahrscheinlich, dass der Schutzstatus zurückgenommen wird.
Dies würde jedoch keine Abschiebe-Androhung bedeuten, weil das Sache der zuständigen Ausländerbehörde wäre. Laut Integrationsministerium hat es in den vergangenen zehn Jahren keine Abschiebungen aus dem Norden in den Gazastreifen gegeben.
Das Rücknahmeverfahren war im Herbst 2021 eingeleitet worden. Die Staatsangehörigkeit des Palästinensers gelte als ungeklärt, sagte der Mitarbeiter. Ibrahim A. selbst habe sich bei seiner Einreise 2014 als Palästinenser aus dem Gazastreifen und staatenlos bezeichnet. Auch Kiels Ordnungsdezernent Christian Zierau gab an, zu liefernde Informationen aus Hamburg seien ausgeblieben.
Der Palästinenser hat im Zeitraum 2. Juli 2021 bis 30. November 2021 Arbeitslosengeld II und Kosten der Unterkunft beim Jobcenter Kiel bezogen.
Bei der Attacke in dem Regionalzug waren am 25. Januar eine 17-Jährige und ein 19-Jähriger getötet worden. Beide waren nach Angaben von Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) ein Paar. Fünf weitere Menschen wurden verletzt, drei von ihnen lebensgefährlich. Diese mussten zwischenzeitlich in künstliches Koma versetzt werden – ihr Zustand ist wieder stabil und sie sind inzwischen ansprechbar.
Gegen Ibrahim A. wurde Haftbefehl wegen zweifachen Mordes und mehrfachen versuchten Totschlags erlassen.