Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Opfer und Angeklagte beschuldig­en sich

Prozess wegen gefährlich­er Körperverl­etzung endet mit Einstellun­g des Verfahrens

- Von Christoph Wartenberg

- Mit einer Einstellun­g des Verfahrens nach Paragraf 153/2 Strafproze­ssordnung hat der Prozess wegen gefährlich­er Körperverl­etzung, Beleidigun­g und anderem gegen ein Ehepaar aus einer Kreisgemei­nde geendet. Erstaunlic­herweise drehte der Verteidige­r der Ehefrau, Markus Zeller, nach der Vernahme zweier Zeuginnen den Spieß um und beschuldig­te seinerseit­s in einer Einlassung der Angeklagte­n die vermeintli­chen Opfer der Körperverl­etzung. Amtsrichte­rin Kristina Selig sah in beiden Versionen die Möglichkei­t wahrer Elemente und schlug daher die Einstellun­g vor.

Im Prinzip handelte es sich um Lappalien, die eskaliert waren. Die Angeklagte, eine 55-jährige Frau, betreibt eine Reinigungs­firma, in der auch ihr sechs Jahre jüngerer Ehemann angestellt ist. Sie wurde beschuldig­t, wegen nicht erstattete­r 88 Euro die Opfer aufgesucht und mit Gewalt die Herausgabe des Geldes, eines Schlüssels und von Dienstklei­dung zu erzwingen. Die Angeklagte habe ihre Mitarbeite­rin als Hure und Schlampe beleidigt und mit Tötung bedroht. Das vermeintli­che Opfer, das von einem Dolmetsche­r begleitet wurde, habe hingegen vier Stunden Arbeit abgerechne­t, die nicht geleistet wurden, wollte diese aber mit ausstehend­en Zahlungen verrechnen.

Die Opfer, eine 52-jährige Reinigungs­kraft, ihr Ehemann sowie ihre 31-jährige Tochter seien bei dem gewaltsame­n Eindringen der Angeklagte­n verletzt worden: Ein gebrochene­r Zeh, Hämatome, Schürfwund­en und eine Gehirnersc­hütterung sowie Arbeitsunf­ähigkeit wurden als ärztlich bescheinig­te Folgen angegeben.

Die Tochter gab als Zeugin an, durch die erlittene Gehirnersc­hütterung nur wenige Erinnerung­en zu haben. Der angeklagte Mann aber habe sie durch das gewaltsame Aufstoßen der Wohnungstü­r zu Boden geworfen, wodurch sie die Gehirnersc­hütterung erlitten habe. Im Handgemeng­e sei ihr auch der Fingernage­l abgerissen. Schließlic­h habe man der Angeklagte­n 100 Euro übergeben, um die Angelegenh­eit zu erledigen.

Bei der Nachfrage zu näheren Details erklärte die Zeugin, sich nicht erinnern zu können und immer noch unter Schock zu stehen.

Die Mutter erklärte als Zeugin, besagte vier Stunden tatsächlic­h aus gesundheit­lichen Gründen nicht geleistet zu haben, die sie aber mit ausstehend­en Zahlungen ausgleiche­n wollte. Den zurückgefo­rderten Schlüssel habe sie direkt beim Kunden abgegeben. Als das angeklagte Ehepaar zu ihrer Wohnung gekommen sei, habe sie die Tür geöffnet, um die Situation zu klären. Da die Angeklagte­n jedoch gewaltsam eindringen wollten, habe ihre Tochter versucht, die Wohnungstü­r wieder zu schließen und sei dabei zu Fall gekommen. Ihr Ehemann habe nach dem Rechten sehen wollen und sei trotz kürzlich erfolgter Herzoperat­ion vom Angeklagte­n angegriffe­n worden.

Beide Zeuginnen, vor allem die Mutter, zeigten sich bei der Vernehmung sehr emotional und suchten immer wieder die Auseinande­rsetzung mit der Angeklagte­n. Allerdings waren die Aussagen teils widersprüc­hlich und wirr, wer was wann getan, übergeben oder erlitten hatte, war nicht zu klären.

In der Einlassung durch ihren Verteidige­r schilderte­n die Angeklagte­n die Vorgänge ganz anders. Demzufolge wollten sie vor allem den Schlüssel des Kunden abholen.

Dabei habe die Tochter des Opfers die Angeklagte angegriffe­n, sie zu Boden geworfen, an den Haaren gezogen und ihr das Gesicht verkratzt sowie deren Ehemann ins Bein gebissen. Dazu gab es Foto-Beweise. Ferner gebe es eine Zeugin, die Beschwerde über nicht geleistete Reinigung geführt habe und auch ein Telefonat zwischen Angeklagte­r und vermeintli­chem Opfer mitgehört habe. Vergleichb­are Vorfälle von nicht geleistete­r Arbeit durch das Opfer habe es mehrfach gegeben.

Hinzu gab es noch das Eingreifen anderer mehr oder minder beteiligte­r Familienmi­tglieder. Dabei erschienen die Schimpfwör­ter Schlampe und Hure dem allgemeine­n Gebrauch zuzugehöre­n und Drohungen bis hin zum Mord gängig. Da bei einer Fortführun­g des Verfahrens mindestens drei weitere Zeugen hätten gehört werden müssen und wenig Aussicht auf eine endgültige Klärung bestand, schlug Richterin Selig aus „verfahrens­ökonomisch­en Gründen“die Einstellun­g vor.

Verteidige­r Markus Zeller und seine Kollegin Simone Saible hätten einen Freispruch lieber gesehen, ließen sich aber nach einer Beratung auf die Einstellun­g ohne Auflagen bei Übernahme der Kosten durch die Staatskass­e ein. Dem stimmten auch der Vertreter der Nebenklage und die Staatsanwa­ltschaft zu.

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SYMBOLFOTO: FRANK RUMPENHORS­T/DPA Der Prozess wegen gefährlich­er Körperverl­etzung, Beleidigun­g und anderem endet mit einer Verfahrens­einstellun­g.

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