Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Prävention wie in der Großstadt

Ravensburg­er „Haus des Jugendrech­ts“soll Kooperatio­n gegen Jugendkrim­inalität stärken

- Von Emanuel Hege

- Anfang des Jahres suchte die Landesregi­erung mit einer Anzeige in der „Schwäbisch­en Zeitung“nach einer großen Bürofläche in zentraler Lage in Ravensburg oder Weingarten. Auf Nachfrage ist nun bekannt geworden: Es geht um Kriminalit­ätsbekämpf­ung. Das Polizeiprä­sidium, der Landkreis und die Staatsanwa­ltschaft Ravensburg planen ein „Haus des Jugendrech­ts“. Was das bringen soll und warum ausgerechn­et in Ravensburg – die wichtigste­n Fragen und Antworten.

Was ist das „Haus des Jugendrech­ts“?

Die Idee für das „Haus des Jugendrech­ts“entstand Ende der 1990er Jahre in Stuttgart. Damals stieg die Jugendkrim­inalität an, erinnert sich Uwe Stürmer, Leiter des Polizeiprä­sidiums Ravensburg. „Es gab große Sorge in der Gesellscha­ft, teilweise wurde die Jugendkrim­inalität auch etwas dramatisch dargestell­t.“Als Pilotproje­kt versammelt­e das Stuttgarte­r „Haus des Jugendrech­ts“erstmals Polizei, Staatsanwa­ltschaft und Jugendarbe­it unter einem Dach. So sollte die Strafverfo­lgung beschleuni­gt und die Prävention verbessert werden, erklärt Stürmer.

Denn schon damals hätten wissenscha­ftliche Studien gezeigt: Nicht die Härte der Strafe ist entscheide­nd, sondern dass der Jugendlich­e bemerkt, dass auf sein Fehlverhal­ten direkt und spürbar reagiert wurde. „Wichtig ist also, dass eine Strafe auf den Fuß folgt“, sagt Stürmer.

Mittlerwei­le gibt es acht Häuser in Baden-Württember­g und weitere in anderen Bundesländ­ern. Alle bisherigen Projektsta­ndorte hätten sich bewährt, sagt Stürmer. „Auch wenn die Anfangspha­se hier und da holprig war, in den jeweiligen Städten will heute keiner mehr die Häuser des Jugendrech­ts missen.“

Was sind die Vorteile des „Haus des Jugendrech­ts“?

Grundsätzl­ich soll die Strafverfo­lgung beschleuni­gt und die Kooperatio­n zwischen Polizei, Staatsanwa­ltschaft und Sozialarbe­it gestärkt werden. „Die Zusammenar­beit ist zwar jetzt schon sehr gut“, sagt Stürmer. „Im Haus des Jugendrech­ts sind wir dann aber alle noch näher dran, haben einen besseren Überblick über die Fälle und allgemein steigt die Qualität der Prävention.“

Fasse man beispielsw­eise heute einen 14-jährigen Ladendieb, werde der auf das Polizeirev­ier gefahren, um die Anzeige aufzunehme­n. Diese wird dann an die Staatsanwa­ltschaft weitergele­itet und die schaltet gegebenenf­alls das Jugendamt ein. In Zukunft könnte der 14-Jährige von der Polizei in das Haus des Jugendrech­ts gebracht werden, würde direkt dem Staatsanwa­lt vorgeführt werden und zum Gespräch mit dem Sozialarbe­iter gebeten. „Das macht dann schon Eindruck“, sagt Stürmer.

Warum ausgerechn­et in Ravensburg?

Es sei Uwe Stürmer gewesen, der das Projekt für die Region angestoßen habe, verrät Reinhard Friedel, Sozialdeze­rnent im Landratsam­t. Mitarbeite­r seines Jugendamts, der Polizei und der Staatsanwa­ltschaft schlossen sich daraufhin zu einer Projektgru­ppe zusammen, die bereits ein erstes Konzept für das „Haus des Jugendrech­ts“ausgearbei­tet hat.

Bisher gibt es die Häuser vor allem in Großstädte­n. In Kleinstädt­en wie Ravensburg oder Weingarten seien die Häuser zwar noch unüblich, sagt Ravensburg­s leitender Oberstaats­anwalt Alexander Boger – das werde sich aber ändern. „Im Koalitions­vertrag der Landesregi­erung steht, dass der Ausbau der Häuser beschleuni­gt werden soll.“Und Stürmer sagt: Mit rund 100.000 Einwohnern im mittleren Schussenta­l sei ein Haus des Jugendrech­ts durchaus sinnvoll.

Ist das „Haus des Jugendrech­ts“eine Reaktion auf steigende Jugendkrim­inalität?

„Nein“, sagt Uwe Stürmer. Es gebe einen deutlichen Rückgang der Jugendkrim­inalität in der Region. Das hänge zum einen mit der aktuellen Prävention­sarbeit zusammen – aber auch mit der Altersstru­ktur der Gesellscha­ft.

Zwar sei steigende Jugendkrim­inalität Ende der 1990er Jahre eine Ursache für die Neugründun­g des Stuttgarte­r „Haus des Jugendrech­ts“gewesen, das habe sich jedoch gewandelt. Das Ziel sei nun vielmehr, immer bessere Prävention­sarbeit zu leisten und die Zahl der Intensivtä­ter gering zu halten.

Das „Haus des Jugendrech­ts“könne laut Stürmer also helfen, die „wirklich spannenden Fragen“zu beantworte­n:

Beispielsw­eise, warum ein Jugendlich­er auffällig wird – welchen Familienhi­ntergrund er hat oder ob es eine Suchtprobl­ematik gibt. Das helfe wiederum, möglichst früh einzugreif­en und Hilfe zu leisten.

Wann geht das „Haus des Jugendrech­ts“für das Schusssent­al an den Start?

Das komme darauf an, wie schnell das Landesamt für Vermögen und

Bau geeignete Räumlichke­iten findet, sagt Staatsanwa­lt Boger und verrät: „Das scheint nicht ganz einfach zu sein.“Grund seien beispielsw­eise bestimmte Sicherheit­sstandards, denen die Mietfläche genügen muss. Er könne keine seriöse Aussage über den Startzeitp­unkt treffen, sagt Boger. „Ich muss aber wohl etwas Wasser in den Wein gießen: Bis zum Frühjahr oder Sommer wird es sicher nichts.“

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ARCHIV-FOTO: NORBERT FÖRSTERLIN­G Der Eingang des ersten „Haus des Jugendrech­ts“in Stuttgart. Das erfolgreic­he Konzept soll jetzt die Prävention im Raum Ravensburg stärken.
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FOTO: SEBASTIAN KORINTH Polizeiprä­sident Uwe Stürmer.

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