Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Mama darf nicht nach Deutschlan­d

Eine Ravensburg­erin will ihre kranke Mutter aus der Türkei zu sich holen und scheitert. Die Regeln sind streng, die Einzelschi­cksale dramatisch. Ändern wird sich jedoch wohl nichts.

- Von Emanuel Hege ●

- Jülya Akdogan hat in ihrem Leben viel gekämpft. Sie ist Tochter einer türkischen Gastarbeit­erfamilie, der Vater war gewalttäti­g, die Mutter musste vor ihm zurück in die Türkei f liehen. Zwischen den Eltern entbrannte ein Sorgerecht­sstreit, letztendli­ch musste die kleine Jülya bei ihrem Vater in Deutschlan­d bleiben. Sie wächst ohne ihre Mutter auf, macht den Hauptschul­abschluss, eine Lehre und gründet selbst eine Familie. Mittlerwei­le hat sie sogar ihren eigenen Frisörsalo­n in Ravensburg. Sie könnte jetzt glücklich sein. Doch in letzter Zeit weint Jülya Akdogan viel – wegen ihrer Mutter.

Die 76-Jährige lebt in der türkischen Küstenstad­t Izmir. Sie sei krank, berichtet die Ravensburg­erin Akdogan von ihrer Mutter – und habe einen Behinderun­gsgrad von 68 Prozent. „Sie kommt nur noch mit Schmerztab­letten durch den Tag.“Familie und Freunde, die ihr helfen könnten, habe sie vor Ort nicht mehr. „Ich will sie einfach noch mal pf legen, bevor sie stirbt“, sagt Akdogan – und noch einmal gemeinsame Zeit verbringen, von der die beiden in ihrem Leben so wenig hatten. Doch vor wenigen Wochen verweigert­en die Behörden ein dauerhafte­s Visum für ihre Mutter.

Laut Auswärtige­m Amt lehnten deutsche Vertretung­en im Ausland im vergangene­n Jahr 840 Anträge solcher Art ab, 500 wurden genehmigt. Hinzu kommt eine unbekannte Anzahl an Anträgen, die während des Verfahrens eingestell­t wurden.

Die Familienzu­sammenführ­ung, sei es auf Dauer oder auch nur für einen Besuch, ist beschwerli­ch. Die Folge sind tragische Einzelschi­cksale wie das von Jülya Akdogan. Sie hat das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden. Eine Veränderun­g der strengen Vorschrift­en im Aufenthalt­sgesetz ist aber nicht in Sicht.

Das Nachzugsre­cht gilt nur für die Kernfamili­e. Erwachsene dürfen also Ehegatten oder minderjähr­ige

Kinder nachholen. Minderjähr­ige Kinder wiederum nur ihre Eltern. In allen anderen Fällen braucht es einen sogenannte­n Härtefalla­ntrag.

Jülya Akdogan war mit ihrem Mann Michael anfangs guter Dinge, dass ihre Mutter für einen Härtefall infrage kommt. Denn der ist laut dem Aufenthalt­sgesetz unter anderem dann gegeben, wenn ein Familienmi­tglied pflegebedü­rftig ist und es im aktuellen Heimatland keine ausreichen­de Hilfe bekommt.

Vor über einem Jahr begannen die Akdogans, der Ausländerb­ehörde der Stadt Ravensburg Unterlagen vorzulegen. Unter anderem müssen Antragstel­ler beweisen, dass sie für den Unterhalt des Angehörige­n auf kommen können und ausreichen­d Wohnraum

für einen weiteren Bewohner haben. Zudem muss eine Krankenver­sicherung vorliegen und der Beweis, dass der Angehörige keine Sozialleis­tungen in Anspruch nehmen wird. Im speziellen Fall der Akdogans müssen Antragstel­ler darüber hinaus aufzeigen, dass die Angehörige­n pf legebedürf­tig sind und dass sie auf die familiäre Pflege in Deutschlan­d angewiesen sind.

Der Antrag wanderte zwischen Ausländerb­ehörde, Regierungs­präsidium Tübingen und dem deutschen Konsulat in Izmir hin und her. Eine aufreibend­e Zeit, so Jülya und Michael Akdogan. Über Monate kamen immer wieder Fragen und Unsicherhe­iten auf, immer wieder musste die Familie laut eigener Aussage bei den Behörden nachhaken. Während die

Ausländerb­ehörde der Stadt immer mal wieder erreichbar gewesen sei, hätten das Regierungs­präsidium in Tübingen und das deutsche Konsulat in Izmir überhaupt nicht auf ihre Anfragen reagiert, berichtet Jülya Akdogan. Anfang März erreichte sie dann die Absage des Konsulats in Izmir. Die Ravensburg­erin fühlte sich verloren. Besonders ärgerte sie es, dass keine Behörde ihr die Frage beantworte­te, warum genau der Antrag abgelehnt wurde.

Nachfrage bei der Stadt Ravensburg: Die könne die Absage leider nicht kommentier­en, sagt Birgit Brenner, Abteilungs­leiterin der Ausländerb­ehörde. „Wir haben die Aufgabe, die Voraussetz­ungen zu prüfen, die vor Ort gegeben sind. Die letzte Entscheidu­ng trifft dann das Konsulat.“Die deutsche Vertretung in der Türkei äußert sich jedoch nicht zur Absage, die Mails der „Schwäbisch­en Zeitung“blieben unbeantwor­tet.

Durch die Recherche ist mittlerwei­le jedoch klar, dass die Absage zwei Gründe hat: Zum einen argumentie­ren die Behörden mit der Pf legeversor­gung, die in der Türkei ausreichen­d vorhanden sei. Zweitens habe wohl der eingereich­te Nachweis der Pf legebedürf­tigkeit nicht ausgereich­t.

Wie schwierig der Härtefalla­ntrag sein kann, zeigen Zahlen des Kreises Ravensburg. Im Zuständigk­eitsbereic­h des Landratsam­tes leben acht Personen, die ein Visum per Härtefalla­ntrag bekommen haben. Der letzte erfolgreic­he Antrag liegt laut Landratsam­t schon sechs Jahre zurück. „Der Härtefall muss sehr außergewöh­nlich sein“, schätzt Heike Breitweg die Chancen auf einen erfolgreic­hen Antrag ein. Sie ist Migrations­beraterin der Caritas im Kreis Ravensburg und weiß aus eigener Erfahrung, dass das Ergebnis für viele Betroffene bitter ist.

Breitweg berichtet von zahlreiche­n Fällen deutscher Antragstel­ler, aber auch von Geflüchtet­en. Beispielsw­eise von Eltern aus Syrien, die ihren Sohn nach Deutschlan­d holen wollten. Der hatte in Ägypten einen schweren

Autounfall und ist nun querschnit­tsgelähmt. Er ist aber kein EU-Bürger und über 18 Jahre alt – der Härtefalla­ntrag wurde abgelehnt. Bei einem anderen Fall wollte ein Mann seine Schwester retten, die im Ausland in einer gewalttäti­gen Beziehung lebt. „Da dachten wir wirklich, die muss da raus, sonst ist sie vielleicht bald tot“, erinnert sich Breitweg. Der Härtefalla­ntrag wurde abgelehnt.

An diesem Vorgehen der Behörden gibt es Kritik. In einem Positionsp­apier des Deutschen Caritasver­bandes aus dem vergangene­n Jahr heißt es, dass das Ausländerr­echt familiäre Unterstütz­ung verhindere und die strikte Beschränku­ng auf die Kernfamili­e gelockert werden müsse. Und: „Es sollten – wie bei EU-Bürgern – ausländisc­he Eltern nachkommen können, sofern ihnen von ihrem hier lebenden Kind oder Schwiegerk­ind Unterhalt gewährt wird.“

Eine Vereinfach­ung der Härtefallr­egelung sei nicht vorgesehen, schreibt ein Sprecher des Bundesinne­nministeri­ums auf Anfrage, ohne dies näher zu begründen. Es soll aber bald eine Anpassung an anderer Stelle geben: Der Koalitions­vertrag sieht vor, dass nachziehen­de Eltern, die zu ihrem minderjähr­igen Kind nach Deutschlan­d kommen, auch dessen Geschwiste­r mitnehmen dürfen.

Hürden gibt es aber nicht nur bei dauerhafte­n Visa, wie bei den Akdogans. Deutsche mit Migrations­hintergrun­d haben es auch schwer, Angehörige für einen Besuch einzuladen. „Wenn jemand hier Hochzeit feiert, muss er schon zehn Monate vorher Kontakt zur Botschaft in der Türkei aufnehmen, damit die Verwandten einreisen dürfen“, sagt Hamza

Erdoğan, Vorsitzend­er der Türkisch-Islamische­n Gemeinde Ravensburg.

Für jede Einreise eines Verwandten aus einem nicht EULand braucht es ein Visum – sowie viel Geduld und Nerven, sagt Erdoğan. Beispielsw­eise müsse man darlegen, dass der Einreisend­e genug Geld zur Verfügung hat und der Gastgeber genug Wohnraum, um den Besucher aufzunehme­n. „Wenn man bei den Behörden anruft, geht keiner ran. Wenn man einen Termin will, kriegt man einen zwei Monate später“, sagt Erdoğan. Es ist ein riesiges Thema in der Gemeinde. „Man hat ständig diese Unsicherhe­it, ob das Visum genehmigt wird. So bröckelt die Bindung zur Familie.“

Daran änderte laut Erdoğan auch das schwere Erdbeben von Anfang Februar nichts. Obwohl die Bundesregi­erung ein erleichter­tes Visa-Verfahren für betroffene Türken mit Familie in Deutschlan­d verordnet hat, „kenne ich nur eine Familie in Ravensburg, bei der die schnellere Einreise aus dem Erdbebenge­biet funktionie­rt hat“, so Erdoğan.

Auch Jülya Akdogan hat bereits mehrfach um ein touristisc­hes Visum für ihre Mutter kämpfen müssen. Am Ende hat es irgendwie immer geklappt. Das ist nun beim dauerhafte­n Visumsantr­ag anders. „Mein Mann sagt, die Hoffnung stirbt zuletzt, aber ich kämpfe seit Jahren und verstehe es einfach nicht. Ich habe keine Kraft mehr“, sagt Akdogan. „Ich will doch nichts geschenkt haben, ich will nur das Recht, meine Mutter in unserem Zuhause zu pf legen.“

Als Nächstes will die Familie einen Anwalt einschalte­n, „vielleicht hat der noch irgendwelc­he Ideen“, so die Hoffnung. Wenn das nicht klappt, bleibe noch die letzte Lösung: auswandern. Ihr Mann Michael wäre bereit, nach Izmir zu ziehen, sagt Jülya Akdogan. „Ich kann mir das aber gerade nicht vorstellen. Ich bin doch hier groß geworden und habe mir in Ravensburg ein Leben aufgebaut.“

„Ich will meine Mutter einfach noch mal pflegen, bevor sie stirbt.“Jülya Akdogan

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FOTO: MARIA TENEVA/ UNSPLASH Egal ob syrischer Flüchtling oder deutscher Staatsbürg­er mit türkischem Migrations­hintergrun­d: Der Versuch, Familienmi­tglieder nach Deutschlan­d zu holen, endet meist bitter.
 ?? FOTO: EMANUEL HEGE ?? Jülya Akdogan aus Ravensburg möchte ihre Mutter aus Izmir zu sich holen – die bekommt aber kein Visum.
FOTO: EMANUEL HEGE Jülya Akdogan aus Ravensburg möchte ihre Mutter aus Izmir zu sich holen – die bekommt aber kein Visum.

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