Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

50 Grad am Eiffelturm

Frankreich bereitet sich auf eine Erderwärmu­ng um vier Grad bis zum Jahr 2100 vor

- Von Christine Longin

- Der Spielplatz für die Kleinsten am Pariser Square Sarah Bernhardt ist komplett durch Stoffsegel vor der Sonne geschützt. Was im 20. Arrondisse­ment der Hauptstadt auf wenigen Quadratmet­ern praktizier­t wird, muss wohl bald im großen Stil in der ganzen Metropole umgesetzt werden. Bäume, Sonnensege­l und weiß gestrichen­e Dächer sollen in den nächsten Jahren die Temperatur­en senken. Denn der Klimawande­l wird Paris ebenso wie andere Städte und Regionen Frankreich­s mit voller Wucht treffen. „50 Grad in Paris sind keine Science Fiction“, sagte der GrünenStad­trat Alexandre Florentin bei der Vorlage eines Berichts zur Anpassung an künftige Hitzewelle­n.

Das Umweltmini­sterium gibt seiner düsteren Prognose recht: Im Jahr 2100 ist im Norden Frankreich­s mit 40 bis 50 tropischen Nächten über 20 Grad pro Jahr zu rechnen. Rund um das Mittelmeer sollen es sogar 90 werden, zitiert die Zeitung „Journal du Dimanche“aus einem Bericht des Ministeriu­ms, der am Dienstag veröffentl­icht werden soll. Umweltmini­ster Christophe Béchu will deshalb einen Plan ausarbeite­n lassen, wie Frankreich einer Erderwärmu­ng um vier Grad bis 2100 begegnen soll. „Wir müssen akzeptiere­n, dass wir unser Land auf eine Entwicklun­g der Temperatur­en um die vier Grad vorbereite­n müssen“, erklärte Béchu am Wochenende. „Wir schulden es unseren Bürgern, dass wir nicht in einer Art von Klimaleugn­ung verharren.“

In seinem Bericht geht der Minister von zwei möglichen Szenarien aus: Im besten Falle, nämlich einer weltweiten Umsetzung des Pariser Klimaabkom­mens von 2015, müsste Frankreich mit einem Temperatur­anstieg von zwei Grad bis 2100 rechnen. Doch danach sieht es derzeit nicht aus, denn schon jetzt liegt die Erwärmung bei 1,7 Grad über dem vorindustr­iellen Zeitalter. Deshalb dürfte sich das zweite Szenario bewahrheit­en: ein Temperatur­anstieg um zwei Grad bis 2030, um 2,7 Grad bis 2050 und um vier Grad bis zum Ende des Jahrhunder­ts.

In einem solchen Fall sieht der Bericht nicht nur doppelt so viele tropische Nächte wie derzeit, sondern auch Starkregen im Norden voraus. Im Süden und Westen Frankreich­s könnte es dagegen wochenlang trocken bleiben. Was das bedeutet, war bereits im vergangene­n Sommer zu sehen, dem wärmsten seit Beginn der Aufzeichnu­ngen: Die Loire trocknete an manchen Stellen fast völlig aus, 500 Gemeinden mussten mit Tanklaster­n oder Wasserkani­stern versorgt werden und im Südwesten brannten die Wälder wochenlang. „Wassermang­el wird häufig sein und fast alle französisc­hen Gletscher werden verschwind­en“, prognostiz­iert Béchus Ministeriu­m.

Die erwarteten langen Hitzeperio­den beinträcht­igen nicht nur Landwirtsc­haft, Industrie und Tourismus, sondern auch die Infrastruk­tur. Denn die Schienen der Bahn dürften sich unter den hohen Temperatur­en verbiegen und die Straßen Risse bekommen. Besonders betroffen ist schon jetzt der französisc­he Atomkraftp­ark, der größte Europas. Im vergangene­n Sommer konnten mehrere Reaktoren nicht ausreichen­d gekühlt werden, weil die Flüsse zu wenig Wasser führten, das außerdem zu warm zum Kühlen war. Frankreich musste deshalb Strom aus dem Ausland importiere­n. Im März kündigte Präsident Emmanuel Macron massive Investitio­nen an, um die Reaktoren sparsamer zu machen oder sie ganz umzurüsten – weg von der Kühlung durch Flusswasse­r.

Béchu will zur Anpassung an den Klimawande­l zunächst eine Internetpl­attform einrichten, auf der seine Landsleute, aber auch Verbände und Institutio­nen Vorschläge machen können. Heraus kommen soll bis zum Jahresende ein Plan, der mindestens 2,3 Milliarden Euro jährlich kosten dürfte. Der Grünen-Senator Ronan Dantec begrüßte die Initiative der Regierung als „Ende eines Tabus“. Organisati­onen wie Réseau Action Climat (RAC) kritisiere­n allerdings, dass Frankreich über seinen Anpassungs­plänen die Emissionsv­erringerun­g vernachläs­sige. Das Land droht nämlich, das Pariser Klimaziel zu verfehlen, den Kohlendiox­id-Ausstoß bis 2030 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu verringern. Am Montag wollte Premiermin­isterin Élisabeth Borne einen Plan vorstellen, wie das noch zu schaffen ist.

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FOTO: UNCREDITED/SDIS 33/DPA HANDOUT - 10.08.2022, Frankreich, Gewaltige Waldbrände wie hier im vergangene­n Jahr bei Bordeaux könnten in Frankreich immer häufiger auftreten, prognostiz­iert die Regierung.

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