Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Schonende Operation bei Speiseröhrenkrebs
Mit komplexen minimalinvasiven Eingriffen werden sehr gute Ergebnisse erzielt
- Eingriffe an der Speiseröhre zählen zu den anspruchsvollsten Eingriffen in der Viszeralchirurgie, also in der Bauchchirurgie. Die Statistik zeigt: Expertise und Erfahrung des OP-Teams entscheiden maßgeblich über die Sicherheit der Patienten. Kliniken und Chirurgen, die jährlich eine hohe Anzahl komplexer Eingriffe an der Speiseröhre durchführen, erzielen bessere Behandlungsergebnisse als Kliniken mit weniger Routine.
Daher hat der Gesetzgeber reagiert: Seit 2023 dürfen nur noch Kliniken an der Speiseröhre operieren, die mindestens 26 Eingriffe im Jahr nachweisen können. „Wir gehören zu den wenigen Kliniken in BadenWürttemberg, die dieses Kriterium erfüllen“, sagt Professor Jörg Köninger (Foto: Klinikum Stuttgart), Ärztlicher Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral, Thorax- und Transplantationschirurgie am Klinikum Stuttgart. „Wir haben eine besondere Expertise und jahrzehntelange Erfahrung in der chirurgischen Therapie von Speiseröhrenkrebs“, erklärt der Chirurg.
Seine Klinik ist eine von bundesweit nur 24 zertifizierten Kliniken. „Unsere Operateure sind sehr routiniert. Allein im Jahr 2022 haben wir 47 Patienten mit Ösophaguskarzinom operativ versorgt, ohne dass ein Patient infolge der Operation verstorben ist. Das heißt, wir hatten eine
Mortalität von null Prozent.“Bundesweit ist dies leider anders: Durchschnittlich sterben acht Prozent der Patienten und Patientinnen nach dieser Operation in Folge komplizierter postoperativer Verläufe.
Mit etwa 7000 jährlichen Neuerkrankungen in Deutschland zählen Tumore in der Speiseröhre zu den seltenen Krebserkrankungen. Leider aber auch zu den besonders heimtückischen: Oft wird ein Ösophaguskarzinom erst im fortgeschrittenen Stadium entdeckt, da erst spät Symptome auftreten. Schluckstörungen sind das häufigste Warnsignal, daneben können Speiseröhrenkrämpfe, Gewichtsverlust, Heiserkeit, Erbrechen von Blut, bluthaltiger oder schwarz gefärbter Stuhl (Teerstuhl) auftreten. Die Heilungschancen der Patienten und die optimalen Therapien hängen von verschiedenen Faktoren ab: dem Stadium der Erkrankung, dem allgemeinen Gesundheitszustand sowie der Lage, Größe und Art des Tumors. „Man unterscheidet zwischen zwei Formen von Speiseröhrenkrebs: das Plattenepithelkarzinom und das Adenokarzinom. Ersteres kommt meist bei Menschen vor, die viel rauchen und trinken, letzteres häufiger bei Menschen, die über lange Zeit Sodbrennen, also einen sauren Ref lux, haben.“
In sehr wenigen Fällen wird die Erkrankung in einem frühen Stadium
entdeckt, wenn eine endoskopische Abtragung noch zur Heilung führen könnte. Bei den meisten Patienten ist das Karzinom jedoch so weit fortgeschritten, dass eine lokale Therapie nicht mehr möglich ist. „Dann müssen streng nach Standard verschiedene Untersuchungen durchgeführt werden, um das genaue Stadium der Erkrankung festzulegen und eine notwendige Vorbehandlung des Tumors im Sinne einer Strahlen-Chemotherapie oder einer alleinigen Chemotherapie einleiten zu können“, erklärt Köninger.
Alle Patienten mit einer Tumorerkrankung der Speiseröhre werden am Klinikum Stuttgart in einer interdisziplinären Tumorkonferenz
besprochen. Experten aus verschiedenen Fachgebieten beraten gemeinsam über die individuell beste Kombination der Behandlungsbausteine Chemotherapie, Strahlentherapie und Operation. Institutionalisiert ist diese interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Fachbereiche im Stuttgart Cancer Center (SCC) – Tumorzentrum Eva Mayr-Stihl. Hier ist die gesamte Kompetenz der Experten der Krebsmedizin des Klinikums Stuttgart gebündelt. Kommt es zum chirurgischen Eingriff, sind die Operateure eingebettet in eine Struktur, in der leistungsfähige Gastroenterologen, Intensivmediziner, Anästhesisten und interventionelle Radiologen zusammenarbeiten.
„Bis auf wenige Fälle in sehr frühen Stadien der Erkrankung wird im allgemeinen erst eine Chemotherapie oder eine kombinierte Strahlen- und Chemotherapie durchgeführt und dann sechs Wochen später operiert. Mit dieser Strategie können wir das Überleben der Patienten um etwa 20 Prozent verbessern“, sagt Köninger.
Ziel des chirurgischen Eingriffs ist es, den Tumor möglichst vollständig mit entsprechendem Sicherheitsabstand und vor allem mit den zugehörigen Lymphknoten zu entfernen. Im Allgemeinen werden die unteren zwei Drittel der Speiseröhre und die sogenannte kleine Magenkurvatur mit den entsprechenden Lymphknotenstationen
im Brustkorb und Oberbauch entfernt. Um wieder eine Verbindung zwischen Restspeiseröhre und Magen herzustellen, wird aus dem verbleibenden Teil des Magens ein Schlauch geformt. Dieser bildet den Ersatz für das fehlende Stück der Speiseröhre.
Bei aller Komplexität soll die Operation dennoch möglichst schonend stattfinden. „Wir operieren seit mehreren Jahren fast alle Eingriffe laparoskopisch, also ohne größere Schnitte“so Köninger. Statt den Bauchraum zu öffnen, kann der hochkomplexe Eingriff im Klinikum Stuttgart minimalinvasiv in schonender Schlüssellochchirurgie durchgeführt werden. Dabei kommt das roboterunterstützte Da-Vinci-Operationssystem zum Einsatz.
Die minimalinvasive Methode wird für komplexe Speiseröhreneingriffe nur von wenigen Kliniken angeboten. Sie sei jedoch ein Quantensprung für die Betroffenen, so Köninger. Die Patienten profitieren nicht nur von erheblich weniger Komplikationen, sondern auch von einer deutlich schnelleren Genesung.
Nicht alle Patienten kommen aber für eine Operation infrage. „Wer an Leberzirrhose oder schweren Lungenerkrankungen leidet, für den ist das OP-Risiko gegebenenfalls zu hoch. Hier muss man die Leistungsfähigkeit des Patienten sehr genau einschätzen und beurteilen, ob das erhöhte OP-Risiko nicht den Nutzen des Eingriffes übersteigt. In solchen Fällen ist es oft sinnvoller, die beim Speiseröhrenkrebs ebenfalls sehr effiziente Strahlen-Chemotherapie durchzuführen, die ebenfalls auf Heilung abzielt.“