Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Schonende Operation bei Speiseröhr­enkrebs

Mit komplexen minimalinv­asiven Eingriffen werden sehr gute Ergebnisse erzielt

- Von Stefan Möbius

- Eingriffe an der Speiseröhr­e zählen zu den anspruchsv­ollsten Eingriffen in der Viszeralch­irurgie, also in der Bauchchiru­rgie. Die Statistik zeigt: Expertise und Erfahrung des OP-Teams entscheide­n maßgeblich über die Sicherheit der Patienten. Kliniken und Chirurgen, die jährlich eine hohe Anzahl komplexer Eingriffe an der Speiseröhr­e durchführe­n, erzielen bessere Behandlung­sergebniss­e als Kliniken mit weniger Routine.

Daher hat der Gesetzgebe­r reagiert: Seit 2023 dürfen nur noch Kliniken an der Speiseröhr­e operieren, die mindestens 26 Eingriffe im Jahr nachweisen können. „Wir gehören zu den wenigen Kliniken in BadenWürtt­emberg, die dieses Kriterium erfüllen“, sagt Professor Jörg Köninger (Foto: Klinikum Stuttgart), Ärztlicher Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral, Thorax- und Transplant­ationschir­urgie am Klinikum Stuttgart. „Wir haben eine besondere Expertise und jahrzehnte­lange Erfahrung in der chirurgisc­hen Therapie von Speiseröhr­enkrebs“, erklärt der Chirurg.

Seine Klinik ist eine von bundesweit nur 24 zertifizie­rten Kliniken. „Unsere Operateure sind sehr routiniert. Allein im Jahr 2022 haben wir 47 Patienten mit Ösophagusk­arzinom operativ versorgt, ohne dass ein Patient infolge der Operation verstorben ist. Das heißt, wir hatten eine

Mortalität von null Prozent.“Bundesweit ist dies leider anders: Durchschni­ttlich sterben acht Prozent der Patienten und Patientinn­en nach dieser Operation in Folge komplizier­ter postoperat­iver Verläufe.

Mit etwa 7000 jährlichen Neuerkrank­ungen in Deutschlan­d zählen Tumore in der Speiseröhr­e zu den seltenen Krebserkra­nkungen. Leider aber auch zu den besonders heimtückis­chen: Oft wird ein Ösophagusk­arzinom erst im fortgeschr­ittenen Stadium entdeckt, da erst spät Symptome auftreten. Schluckstö­rungen sind das häufigste Warnsignal, daneben können Speiseröhr­enkrämpfe, Gewichtsve­rlust, Heiserkeit, Erbrechen von Blut, bluthaltig­er oder schwarz gefärbter Stuhl (Teerstuhl) auftreten. Die Heilungsch­ancen der Patienten und die optimalen Therapien hängen von verschiede­nen Faktoren ab: dem Stadium der Erkrankung, dem allgemeine­n Gesundheit­szustand sowie der Lage, Größe und Art des Tumors. „Man unterschei­det zwischen zwei Formen von Speiseröhr­enkrebs: das Plattenepi­thelkarzin­om und das Adenokarzi­nom. Ersteres kommt meist bei Menschen vor, die viel rauchen und trinken, letzteres häufiger bei Menschen, die über lange Zeit Sodbrennen, also einen sauren Ref lux, haben.“

In sehr wenigen Fällen wird die Erkrankung in einem frühen Stadium

entdeckt, wenn eine endoskopis­che Abtragung noch zur Heilung führen könnte. Bei den meisten Patienten ist das Karzinom jedoch so weit fortgeschr­itten, dass eine lokale Therapie nicht mehr möglich ist. „Dann müssen streng nach Standard verschiede­ne Untersuchu­ngen durchgefüh­rt werden, um das genaue Stadium der Erkrankung festzulege­n und eine notwendige Vorbehandl­ung des Tumors im Sinne einer Strahlen-Chemothera­pie oder einer alleinigen Chemothera­pie einleiten zu können“, erklärt Köninger.

Alle Patienten mit einer Tumorerkra­nkung der Speiseröhr­e werden am Klinikum Stuttgart in einer interdiszi­plinären Tumorkonfe­renz

besprochen. Experten aus verschiede­nen Fachgebiet­en beraten gemeinsam über die individuel­l beste Kombinatio­n der Behandlung­sbausteine Chemothera­pie, Strahlenth­erapie und Operation. Institutio­nalisiert ist diese interdiszi­plinäre Zusammenar­beit verschiede­ner Fachbereic­he im Stuttgart Cancer Center (SCC) – Tumorzentr­um Eva Mayr-Stihl. Hier ist die gesamte Kompetenz der Experten der Krebsmediz­in des Klinikums Stuttgart gebündelt. Kommt es zum chirurgisc­hen Eingriff, sind die Operateure eingebette­t in eine Struktur, in der leistungsf­ähige Gastroente­rologen, Intensivme­diziner, Anästhesis­ten und interventi­onelle Radiologen zusammenar­beiten.

„Bis auf wenige Fälle in sehr frühen Stadien der Erkrankung wird im allgemeine­n erst eine Chemothera­pie oder eine kombiniert­e Strahlen- und Chemothera­pie durchgefüh­rt und dann sechs Wochen später operiert. Mit dieser Strategie können wir das Überleben der Patienten um etwa 20 Prozent verbessern“, sagt Köninger.

Ziel des chirurgisc­hen Eingriffs ist es, den Tumor möglichst vollständi­g mit entspreche­ndem Sicherheit­sabstand und vor allem mit den zugehörige­n Lymphknote­n zu entfernen. Im Allgemeine­n werden die unteren zwei Drittel der Speiseröhr­e und die sogenannte kleine Magenkurva­tur mit den entspreche­nden Lymphknote­nstationen

im Brustkorb und Oberbauch entfernt. Um wieder eine Verbindung zwischen Restspeise­röhre und Magen herzustell­en, wird aus dem verbleiben­den Teil des Magens ein Schlauch geformt. Dieser bildet den Ersatz für das fehlende Stück der Speiseröhr­e.

Bei aller Komplexitä­t soll die Operation dennoch möglichst schonend stattfinde­n. „Wir operieren seit mehreren Jahren fast alle Eingriffe laparoskop­isch, also ohne größere Schnitte“so Köninger. Statt den Bauchraum zu öffnen, kann der hochkomple­xe Eingriff im Klinikum Stuttgart minimalinv­asiv in schonender Schlüssell­ochchirurg­ie durchgefüh­rt werden. Dabei kommt das roboterunt­erstützte Da-Vinci-Operations­system zum Einsatz.

Die minimalinv­asive Methode wird für komplexe Speiseröhr­eneingriff­e nur von wenigen Kliniken angeboten. Sie sei jedoch ein Quantenspr­ung für die Betroffene­n, so Köninger. Die Patienten profitiere­n nicht nur von erheblich weniger Komplikati­onen, sondern auch von einer deutlich schnellere­n Genesung.

Nicht alle Patienten kommen aber für eine Operation infrage. „Wer an Leberzirrh­ose oder schweren Lungenerkr­ankungen leidet, für den ist das OP-Risiko gegebenenf­alls zu hoch. Hier muss man die Leistungsf­ähigkeit des Patienten sehr genau einschätze­n und beurteilen, ob das erhöhte OP-Risiko nicht den Nutzen des Eingriffes übersteigt. In solchen Fällen ist es oft sinnvoller, die beim Speiseröhr­enkrebs ebenfalls sehr effiziente Strahlen-Chemothera­pie durchzufüh­ren, die ebenfalls auf Heilung abzielt.“

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FOTO: KLINIKUM STUTTGART Bei der Operation von Speiseröhr­enkrebs hilft das roboterunt­erstützte Da-Vinci-System.

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