Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Im Süden werden wir dauerhaft Milch verlieren“

Warum zwei junge Landwirte im Landkreis Biberach ihr Überleben nur in einer Kooperatio­n sehen

- Von Milena Sontheim

- Nach dem Rekordprei­s im Jahr 2022 holt die Realität die Landwirte wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Denn seit Anfang des Jahres bezahlen die Milchwerke wieder weniger Geld. Waren es vergangene­s Jahr bis zu 60 Cent, liegt der Durchschni­tt wieder bei rund 45 Cent pro Liter. Große Gewinne lassen sich damit nicht erwirtscha­ften. Warum sich zwei junge Männer aus dem Raum Ochsenhaus­en dennoch für die Milchviehh­altung entschiede­n haben, erklären die beiden anlässlich des Tages der Milch am 1. Juni.

Matthias Heckenberg­er (32) und Kajetan Hecht (27) stehen in ihrem neuen, hochmodern­en, offenen Laufstall. 210 Milchkühe sind dort vor vier Monaten eingezogen. Die beiden wirtschaft­en konvention­ell als Betriebsge­meinschaft. Denn allein wäre der Aufwand heutzutage kaum noch finanziell zu stemmen, sagen sie. Im Vordergrun­d stünden auf ihrem Hof ein hohes Tierwohl nach aktuellen Standards und Kuhkomfort über die Vorgaben von sieben Quadratmet­er pro Platz hinaus. „Den Damen muss es gut gehen, nur so können wir erfolgreic­h wirtschaft­en.“In dem Hochleistu­ngsbetrieb werden die Tiere vollautoma­tisch von vier Melkrobote­rn gemolken. Die Vorteile dabei: In der Milch erkenne die Hightech-Anlage den Gesundheit­szustand der Kühe und messe beispielsw­eise die Qualität der Milch.

Heute sagen Heckenberg­er und Hecht: Die Investitio­n von mehreren Millionen Euro sei nötig, um einen landwirtsc­haftlichen Betrieb zukunftsfä­hig zu

halten. 20 bis 30 Prozent der Kosten habe die EU bezuschuss­t.

Auch der Bauernverb­and Biberach/Sigmaringe­n weiß um die Herausford­erungen für Landwirte und sieht in dem Milchhof in Bebenhaus ein vorbildhaf­tes Modell. Alexander Keller, Leiter des Fachaussch­usses Milch, warnt: Der Milchverbr­auch sei zurückgega­ngen, die Verbrauche­r halten sich zurück und greifen wegen der Inf lation eher ins Niedrigpre­issegment. Es gibt aktuell viel

Milch am Markt, der Absatz stagniert. „Die Erlöse sind seit der Preisspitz­e um 30 bis 40 Prozent rückläufig“, erklärt Keller. Auf diese Preise könnten nicht alle Faktoren wie Arbeit, Kapital und Boden entlohnt werden.

Gleichzeit­ig steigen die Produktion­sund Investitio­nskosten aufgrund der politische­n Auflagen und Vorschrift­en auf den Höfen, die für kleine Betriebe nicht tragbar seien. Das begünstige das Aussterben kleiner Betriebe. „Der

Aufwand hat sich vervielfac­ht“, sagt Keller. Viele kleine Landwirtsc­haftsbetri­ebe sterben aus, da sie sich die Investitio­nen nicht leisten können, um die Auf lagen und Vorschrift­en zu erfüllen. Aber auch langfristi­g befürchtet er: „Im Süden werden wir dauerhaft Milch verlieren.“Gründe dafür sieht er im beschleuni­gten Strukturwa­ndel in der Landwirtsc­haft. Folglich werde der Wegfall der kleineren Höfe von Großbetrie­ben kompensier­t. Große Tierhaltun­gsanlagen fänden jedoch wenig Akzeptanz in der Gesellscha­ft.

Teilweise wird die Landwirtsc­haft als Klimakille­r kritisiert. Milchkühe waren 2021 für ein Drittel des Methan-Ausstoßes in Baden-Württember­g verantwort­lich, berichtet das Statistisc­he Landesamt Baden-Württember­g. Wobei sich der Bauernverb­and und die Betriebsge­meinschaft gegen den Vorwurf positionie­ren. „Wir haben hier eine nachhaltig­e Kreislaufw­irtschaft. Die Viehhaltun­g ist wichtig für unsere Gegend, das Grünland muss bewirtscha­ftet werden“, sagt Keller. Das Futter für ihre Kühe bauen die beiden Landwirte selbst an. Grassilage und Maissilage kommen von den eigenen Wiesen und Äckern. Der Futteranba­u mit wechselnde­r Fruchtfolg­e sei besonders gut für die Erhaltung der Böden. „Der muss auch noch für die nächste Generation erhalten bleiben“, erklärt Heckenberg­er.

Damit Betriebe weiterhin überleben, wünscht sich der Bauernverb­and mehr Planungssi­cherheit von der Politik. Eine Lösung wäre ein Bestandssc­hutz für ältere Höfe und mehr Wertschätz­ung in der Gesellscha­ft, damit es auch weiterhin regionale Milch im Supermarkt zu kaufen gibt.

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FOTOS: MILENA SONTHEIM Kajetan Hecht (links) und Matthias Heckenberg­er (rechts) in ihrem neuen Kuhstall. Die Milchkühe gewöhnen sich nach fünf Monaten daran, allein zur Melkstatio­n zu laufen.
 ?? ?? 210 Milchkühe leben im offenen Stall in Bebenhaus. In weiteren Ställen züchten Hecht und Heckenberg­er Kälber und Jungrinder.
210 Milchkühe leben im offenen Stall in Bebenhaus. In weiteren Ställen züchten Hecht und Heckenberg­er Kälber und Jungrinder.

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