Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Der Mittelstand ist das Feindbild der Politik“
Josef Schneider spricht über das Aus seines Baumarkts – Er sieht Probleme auch bei OBI, Hornbach und Co.
- Der Räumungsverkauf läuft auf Hochtouren, kurz nach Ostern ist dann Schluss: Der traditionsreiche Schneider Baumarkt in Markdorf schließt nach 140 Jahren. Geschäftsführer Josef Schneider (Foto: OH) erklärt im Interview, warum er den familiengeführten Betrieb schweren Herzens aufgibt – und warum auch andere Baumärkte wie OBI, Hornbach oder Hagebau große Probleme am Markt bekommen.
Herr Schneider, wie fühlen sich die letzten Tage im Geschäft an?
Ich bin traurig, wehmütig und frustriert. Ich stand 50 Jahre vor vollen Regalen. Jetzt sind sie fast leer. Es tut weh, wenn man sieht, wie sich alles auflöst. Anderseits ist es auch eine Erlösung. Das Geschäftsmodell ist nicht länger tragbar. Im Markt verschwindet gerade ein Kollege nach dem anderen.
Warum haben Sie sich zur Geschäftsaufgabe entschlossen?
Es gibt eine Vielzahl von Gründen. Es sind kaum noch Erträge zu erwirtschaften. Die Konsumenten haben kein Geld, bedingt durch Inflation und Rezession. Das Baugeschäft ist komplett zusammengebrochen. Aufträge bei den Bauunternehmen gehen gegen null. Viele Lieferanten sind nicht mehr am Markt. Die Lieferketten sind teilweise zusammengebrochen. Preise sind kollabiert.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Es gab kürzlich ein Zeitfenster, in dem wir sehr viel Stahl beziehen konnten. Da haben wir die Lager natürlich vollgemacht. Der Tonnenpreis lag bei 1900 Euro. Inzwischen kostet die Tonne nur noch 500 Euro, weil kaum jemand baut.
Spielt der Fachkräftemangel bei der Geschäftsaufgabe auch eine Rolle?
Ja. Wir brauchen dauerhaft 40 bis 50 Mitarbeiter. Wir hatten am Ende gerade mal 30. Seit zehn Jahren hat sich kein Azubi be
worben. Keiner! Jede Kündigung war eine Katastrophe. Unsere Stärke waren immer die Fachleute, die persönliche Beratung. Zuletzt mussten immer weniger Mitarbeiter immer mehr Arbeit leisten. Seit dem Tod meiner Frau vor zwei Jahren ist auch die Verwaltung völlig unterbesetzt. Wir stehen kurz vor dem Kollaps.
Geht es anderen Mittelständlern bei der Suche nach Fachkräften ähnlich?
Ja. Als die „Schwäbische Zeitung“im Dezember berichtet hatte, dass wir im Frühjahr schließen, haben mindestens 50 Unternehmer bei mir angerufen. Alle haben sich nach den Möglichkeiten erkundigt, unser Personal zu übernehmen. Einige Mitarbeiter sind über 40 Jahre bei uns. Wie gesagt: Es tut weh, das alles in diesen Tagen zu erleben. Es ist nervlich sehr belastend, jeden Tag voller Motivation zur Arbeit zu gehen. Aber der Räumungsverkauf läuft noch auf Hochtouren.
Über den Räumungsverkauf reden wir später. Noch mal zu den Baumärkten: Glauben Sie, dass
die Probleme, mit denen Sie zu kämpfen haben, auch die großen Filialisten treffen?
Ja. Andere Baumärkte werden ebenfalls schließen. Die Entwicklung bei den Filialisten OBI, Hornbach und Hagebau ist ähnlich. Alle haben enorme Probleme mit Lieferketten und Fachkräftemangel. Kaum ein Geschäft erwirtschaftet noch positive Betriebsergebnisse. Die Kosten steigen gewaltig. Die Handelsspannen lassen sich kaum erhöhen. Das Marketing hat sich verändert. Printanzeigen sind teuer geworden, digitales Marketing wird von den Kunden nicht akzeptiert. Es ist alles Mist. Das Geschäft hat sich komplett verändert. Die Umsätze sinken, gleichzeitig nimmt die Bürokratie zu.
Welche bürokratischen Vorgaben belasten Sie besonders?
Ich sage mittlerweile: Der Mittelstand ist das Feindbild der Politik. Gefühlt gibt es täglich neue Vorschriften, die dem Mittelstand das Leben schwer machen. Man steht als Unternehmer jeden Tag mit einem Fuß im Gefängnis. Wir brauchen zig Beauftragte für unterschiedliche Verantwortungsbereiche: Datenschutz, EDV,
Ersthelfer, Brandschutz, Sicherheit, Umwelt, Fuhrpark, elektrische Anlagen, Führerscheinüberwachung und mehr. Woher soll das Personal für all die Aufgaben kommen? Oder die Zeit, das Personal zu schulen? Die Politik stellt Anforderungen, die kaum erfüllt werden können.
Was erwarten Sie seitens der Politik?
Die Politik hat dafür zu sorgen, dass sich Unternehmer vordergründig um das Tagesgeschäft kümmern können. Dass sie nicht in Bürokratie ersticken.
Welche Reaktionen haben Sie seitens der Kunden erfahren, nachdem Sie die Geschäftsaufgabe verkündet hatten?
Großes Bedauern, gepaart mit Ratlosigkeit. Die Kunden fragen sich, woher sie demnächst Waren beziehen können. Der nächste Baustoffhändler ist 50 Kilometer von Markdorf entfernt. Auf die Bevölkerung kommen große Versorgungsengpässe zu. In unserer Branche sind viele Kollegen im Rentenalter. Die Kollegen haben Personalprobleme. Die Stahlbiegerei kann beispielsweise nur noch mit osteuropäischen Gastarbeitern aufrechterhalten werden, weil sich in Deutschland kaum jemand findet.
Sprechen wir über den Räumungsverkauf. Wie lange läuft er noch?
Bis kurz nach Ostern alles raus ist. Die Rabatte von 50 Prozent werden von den Kunden extrem gut angenommen. Es ist toll, wie die Mitarbeiter in dieser heißen Phase immer noch mitziehen. Während des Räumungsverkaufs wird uns jeden Tag bewusst, was wir alles geleistet haben. Es ist uns rätselhaft, wie wir es geschafft hatten, 40.000 verschiedene Artikel anzubieten.
Und dann schließen Sie in den nächsten Tagen einfach ab?
Es wird mir sehr, sehr schwerfallen, zum letzten Mal den Schlüssel umzudrehen. Das wird sicherlich emotional. Aber die Entscheidung ist alternativlos. Ein Unternehmen mit so vielen Problemfeldern ist für meinen Sohn und meine Tochter in der Nachfolge uninteressant. Deshalb höre ich auf, bevor alles in die Insolvenz geht.