Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Angeklagter bestreitet vorsätzlichen Angriff auf Biobauern
61-Jähriger drang in Hofladen ein und tötete Landwirt – Prozess vor dem Landgericht Rottweil
- Mit dem gewaltsamen Tod eines 38-jährigen Biobauern durch einen Messerstich beschäftigt sich seit Dienstag das Landgericht Rottweil. Angeklagt ist ein 61-jähriger in Serbien geborener Staatenloser, dem Mord und räuberische Erpressung vorgeworfen werden.
Das Gericht muss nun klären, ob der Beschuldigte tatsächlich den Landwirt in seinem Hofladen bei Deißlingen (Landkreis Rottweil) töten wollte, ob er dies zumindest in Kauf nahm – oder ob es sich um einen Unglücksfall während eines Kampfes gehandelt hat. So stellt es der 61-Jährige selbst dar: „Zustechen könnte ich nicht, Herr Richter. Ich wollte nicht stechen und habe es auch nicht getan“.
„Wegen der Flüchtlinge oder wie die heißen“sei er in die problematische Lage geraten, die am Morgen des 6. Oktober 2015 zu dem „Unglück“geführt habe. Als er nämlich im September von Ungarn aus, wo er zwei Gaststätten betrieben habe, nach Deutschland reisen wollte, um sich als Erntearbeiter zu verdingen, habe man ihn ins ungarische Sopron zurückgeschickt. Dort sei er dann überfallen und des Großteils seiner über 3000 Euro beraubt worden. Au-
ROTTWEIL ßerdem habe er einen Messerstich in den Fuß abbekommen.
Nachdem er über Wien und München in Rottweil angelangt sei, habe er sich dort im Krankenhaus versorgen lassen. Doch die Operation, die angeblich nötig sei, um den Fuß zu retten, habe man ihm verwehrt. „Zurück nach Ungarn“wollte er da nur noch, am liebsten mit einem Lastwagen von der Autobahntankstelle aus. Doch er habe sich verlaufen. In der dritten Nacht habe er einen erleuchteten Hof gesehen, wo er um was zu essen bitten wollte. Die Tür zum La- den sei offen gewesen. Da auf sein Rufen niemand kam, habe er sich selbst bedient, mit einem großen Messer Käse geschnitten und sei dann – gesättigt – eingeschlafen.
Frau „aus Angst“gefesselt
Am nächsten Morgen habe ihn eine junge Frau überrascht. „Aus Angst“, von ihr niedergeschlagen zu werden, habe er sie gefesselt. Um nicht erkannt zu werden, hätte er sich vorher noch schnell eine Socke vom Fuß gezogen und über den Kopf gestülpt. Von da ab gehen seine Angaben und die Aussagen der Zeugen weit auseinander.
Als erste waren die Eltern und die Schwägerin des Getöteten, einem ledigen Agraringenieur, angehört worden, dann zwei Mitarbeiterinnen und ein Nachbar. Dabei ging es hauptsächlich um die Herkunft des Messers und ob der Angeklagte dieses „stets mit der Spitze nach unten, wie meine Mutter mir das beigebracht hatte“gehalten habe, oder aber, wie eine Zeugin es darstellte, „angriffsbereit“.
Der Täter habe Münzrollen abgelehnt, sagte die 74-jährige Chefin des Hofladens: „Er schrie immer mit schrecklicher Stimme ‚Scheine, Scheine!‘“Der Angeklagte dagegen meinte, er habe die Rollen gar nicht als Geld erkannt, sondern für Würste oder geformten Käse gehalten.
Wichtig war den Richtern auch die Folgen für die Familie und den Betrieb. Eltern und Schwägerin treten als Nebenkläger auf, alle sind sie noch in psychologischer Behandlung. Die Betriebe – Hof und Hofladen – werden vorläufig weitergeführt, aber der Tote, „die zentrale Figur“, fehle an allen Ecken und Enden.
Der auf zehn Verhandlungstage mit über 40 Zeugen und drei Gutachtern ausgelegte Prozess geht am Donnerstag, 14. April, weiter.