Schwäbische Zeitung (Tettnang)

Diplomat

- Ischinger Wolfgang

Seinen ersten Arbeitstag als deutscher Botschafte­r in Washington hatte sich

anders vorgestell­t. Als er am 11. September 2001 das Tor der deutschen Vertretung in den USA durchschri­tt, dachte er sich: „ Jetzt fängt eine ruhige und schöne und interessan­te Zeit an.“Ischinger saß keine zwei Stunden an seinem Schreibtis­ch, als er dichten schwarzen Qualm vom Pentagon jenseits des PotomacFlu­sses aufsteigen sah. Kurz nach den beiden Flugzeugat­tacken auf das World Trade Center in New York war eine dritte Maschine in das US- Verteidigu­ngsministe­rium gerast.

Die folgenden Jahre in den USA waren die wohl wichtigste­n in der diplomatis­chen Karriere Ischingers, der heute 70 Jahre alt wird. Die „ uneingesch­ränkte Solidaritä­t“Deutschlan­ds mit den USA hielt nicht lange. Nach dem Nein von Ex- Kanzler Gerhard Schröder zum Irak- Krieg stürzten die deutsch- amerikanis­chen Beziehunge­n in eine tiefe Krise – und Ischinger war mittendrin.

Krisenbewä­ltigung ist so etwas wie das Leitmotiv seiner Laufbahn. Zusammen mit dem US- Diplomaten Richard Holbrooke war er am Friedensab­kommen von Dayton für Bosnien- Herzegowin­a und später am Balkan- Stabilität­spakt beteiligt. Er engagierte sich bei den Nato- Russland- Verhandlun­gen, der Lösung des KosovoKonf­likts und war zuletzt Vermittler im Ukraine- Konflikt.

Der gebürtige Nürtinger studierte Jura und Völkerrech­t in Bonn, Genf und in den USA, bevor er 1973 seinen ersten diplomatis­chen Job beim damaligen UN- Generalsek­retär Kurt Waldheim übernahm. Zwei Jahre später wechselte er ins Auswärtige Amt, wo er Ministern von FDP, Grünen und SPD diente und 1998 unter Joschka Fischer ( Grüne) Staatssekr­etär wurde. Als Wolfgang Ischinger 2008 Leiter der Münchner Sicherheit­skonferenz wurde, nahm er sich vor, die Tagung zu einem „ Ort der Krisenpräv­ention“zu machen. So ganz geklappt hat das nicht. Die Konflikte sind nicht weniger geworden, sondern mehr. Aber auch in München bleibt Ischinger seiner Überzeugun­g treu, dass Reden der Königsweg zur Krisenbewä­ltigung ist. Michael Fischer ( dpa)

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