Schwäbische Zeitung (Tettnang)
EU stößt Reform des Asylrechts an
Kommission strebt gleiche Rahmenbedingungen und gerechte Verteilung der Flüchtlinge an
- Die EU-Kommission hat ihren Plan vorläufig aufgegeben, das Dublinsystem grundlegend zu reformieren. Kommissionspräsident JeanClaude Juncker hatte die Verteilung von Flüchtlingen in der EU auf eine neue Grundlage stellen wollen, um Dramen wie an der bayerischen Grenze oder im griechischen Grenzort Idomeni für die Zukunft auszuschließen. Ein entsprechender Reformvorschlag wurde bereits vor Monaten für Mitte März angekündigt. Doch die meisten Mitgliedsstaaten wehren sich entschieden gegen eine Lastenteilung. Sie wollen, dass das Dublin-System auch künftig gilt. Danach ist das Land, wo ein Asylbewerber europäischen Boden betritt, für das gesamte Verfahren und die Unterbringung zuständig. Deshalb legt die Kommission am Mittwoch statt eines Gesetzentwurfs ein Diskussionspapier mit drei Optionen vor.
BRÜSSEL
Nach Größe und Wirtschaftskraft
Variante eins sieht eine „einheitliche europäische Behandlung von Asylanträgen“vor, wie der Vertreter der Behörde in Deutschland, Richard Kühnel, sagte. Dies würde für gleiche Rahmenbedingungen in der gesamten EU und eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge nach Größe und Wirtschaftskraft der Mitgliedsländer sorgen und brächte dadurch gleichzeitig einen enormen Machtzuwachs für die EU-Kommission mit sich. Schon deshalb ist so gut wie ausgeschlossen, dass sich die Mitgliedsstaaten darauf einlassen werden. Aus demselben Grund würde sie Kommissionschef Juncker und seiner Mannschaft vermutlich am besten gefallen.
Hierfür müsste das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) eigene Entscheidungsbefugnisse und ein Büro in jedem Mitgliedsland erhalten. Asylverfahren würden überall nach den gleichen Maßstäben abgewickelt und auch die Berufungsverfahren direkt von der EASO betreut. Danach würden die anerkannten Asylbewerber und geduldeten Flüchtlinge nach dem Schlüssel auf die Mitgliedsländer verteilt, der letzten Sommer für die einmalige Aufnahme der 160 000 SyrienFlüchtlinge von der EU-Kommission entwickelt worden war.
Die Mitgliedsländer hatten das Verfahren bei einem Gipfel im September einstimmig gebilligt. Diese humanitäre Aktion war von der Kommission ausdrücklich als Versuchsballon für eine mögliche Reform des Dublinsystems vorgeschlagen worden. Die Bilanz aber ist ernüchternd. Viele Länder haben sich von den gegebenen Zusagen distanziert.
Variante zwei baut auf dem bestehenden Dublinsystem auf, führt aber für Phasen extremer Belastung ein Überdruckventil ein. Wenn ein Land eine bestimmte Obergrenze an Flüchtlingen erreicht hat, kann es entsprechend dem Verteilungsschlüssel zusätzlich eintreffende Schutzsuchende in andere Länder weiterschicken. Die dritte Option wäre, alles beim alten zu belassen und zu hoffen, dass sich die Lage normalisiert, wenn die Krisen abklingen. „Das Dublin-System war nicht dafür gemacht, die Verantwortung für Asylsuchende in der EU gerecht zu verteilen. Das ist ein Versäumnis, das in der aktuellen Krise deutlich geworden ist“, erklärte die EU-Kommission. Auf die Frage, warum die EU-Kommission ihr Initiativrecht für Reformen nicht wahrnimmt und statt des angekündigten Gesetzesvorschlags ein Diskussionspapier vorlegt, antwortete ein Kommissionssprecher: „Wir zeigen Politikoptionen für ein reformiertes, verbessertes System auf, nach dem Flüchtlinge verteilt und legale Migration in die EU gesteuert werden soll.“
Klar positionierte sich der Vizepräsident des Europaparlaments, der liberale Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff: „Manche EU-Mitgliedsstaaten wetteifern förmlich darum, möglichst unattraktive Bedingungen für Migranten zu schaffen, die dann in andere Mitgliedsstaaten weiterziehen.“Er fordert eine Verteilung nach „objektiven Kriterien“wie Bruttoinlandsprodukt und Bevölkerungszahl.
BERLIN