Schwäbische Zeitung (Tettnang)
Vom Top-Banker zum Häftling
Der ehemalige Chef der UBS-Vermögensverwaltung über seine Erfahrungen mit der US-Justiz
BERN-
Die großen Konzerne sind gewarnt. „Unternehmen wie zum Beispiel Volkswagen, gegen die in den Vereinigten Staaten ermittelt wird, müssen wissen, dass die Behörden über Verfahren gegen einzelne Spitzenmanager den Druck verstärken“, sagt Raoul Weil. Der Top-Banker weiß, wovon der redet. Als ehemaliger Leiter der weltweiten Vermögensverwaltung der schweizerischen Großbank UBS ist Weil der bisher höchste Bankenvertreter, der im langjährigen Steuerstreit zwischen der Schweiz und Amerika vor Gericht stand. Er soll reichen Amerikanern bei der Steuerhinterziehung geholfen haben, lautete die Anklage. Im Prozess, den in aller Regel die Staatsanwälte gewinnen, erlebten diese allerdings ein Fiasko. Nach einer rekordverdächtig kurzen Beratungszeit von nur 45 Minuten sprachen die Geschworenen Weil im November 2014 frei. Ein gutes Jahr voller Unwägbarkeiten und Abgründe endete für ihn mit einem Erfolg auf der ganzen Linie.
Heute vermittelt der Finanzmann im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“einen überraschend entspannten Eindruck, gemessen an dem Erlebten. Seine Erfahrungen, die Höhen und Tiefen mit Haft in Italien und den Vereinigten Staaten, das Zusammenleben mit Schwerverbrechern und später der Hausarrest inklusive Fußfessel, hat der Mitfünfziger in einem Buch abgearbeitet, das in diesem Monat auch in Deutschland erscheint. Nach dem Spruch der Geschworenen im November 2014 stellte sich kein Triumphgefühl ein, sondern nur Erleichterung über das Ende eines Albtraums, erinnert sich Weil.
Vom Urlaub ins Gefängnis
Der Fall Weil, so auch der Titel des Buches, im Schnelldurchlauf: Im Rahmen von Ermittlungen gegen die UBS nach den Enthüllungen des „Whistleblowers“Bradley Birkenfeld erhebt die US-Justiz im November 2008 Anklage gegen Raoul Weil. Ende März 2009 wird ihm von seinem Arbeitgeber gekündigt. Auf einer Urlaubsreise im Oktober 2013 nimmt die Polizei Weil aufgrund eines internationalen Haftbefehls in einem Hotel in Bologna fest. Er stimmt einer Auslieferung zu und wird im Dezember in die USA überstellt. Die dortige Inhaftierung wird kurz vor Weihnachten in einen Hausarrest umgewandelt. Der Pro- zess selbst beginnt Mitte Oktober 2014 in Fort Lauderdale (Florida).
Rückblickend sagt Weil in dem Gespräch: „Der schwierigste Moment für mich war die Ablehnung eines Hausarrests in Italien. Da wurde mir schlagartig klar, dass das Verfahren länger dauern würde.“Aber auch das Gefängnis in Bologna war nicht ohne. Im Vergleich dazu ähnelt die kurze Haft in den Vereinigten Staaten einer beinahe folkloristischen Veranstaltung, obwohl der Schweizer in einen grauen Overall mit der Aufschrift „Federal Prisoner“gesteckt wird. Die Staatsanwälte decken Weil und seine Anwälte unter anderem mit 4,5 Millionen Seiten EMails und anderen Unterlagen ein. Nach seinen eigenen Worten hätte er einen „Deal“vereinbaren können, der die Haftstrafe gemindert, ihn aber gleichwohl als „Verbrecher“eingestuft hätte. Er habe dies abgelehnt, „weil ich von meiner Unschuld überzeugt war und die Aussichten für den Prozess hoffnungsvoll erschienen“, formuliert er. Der Angeklagte musste auf seine Juristen vertrauen.
Wichtig für ihn: „Die Schweizer Finanzmarktaufsicht Finma hat in ihrer Untersuchung festgehalten, dass ich meine Aufsichtspflicht nicht verletzt habe.“Ein Manko bleibt. „Als leitender Manager tragen Sie trotzdem die unternehmerische Verantwortung für Verfehlungen in ihrem Bereich. Diese habe ich mit der Kündigung abgegolten“, räumt Weil ein.
Seinem ehemaligen Arbeitgeber UBS macht der Spitzenbanker keine Vorwürfe. Die Kündigung nach 25 Jahren sei „Teil des Einsatzes gewesen wie bei einem Trainer der Bundesliga“, findet er. Kontakt zum größten Vermögensverwalter in der Welt hat Weil nur noch privat. Überhaupt hat er seine Prioritäten stärker in Richtung Familie und jene Freunde gelenkt, die während der Krisenzeit zu ihm gehalten haben. Ganz aus der Finanzbranche hat sich Weil indes nicht verabschiedet. Aktuell beschäftigt er sich mit modernen Fintech-Modellen in der Vermögensverwaltung.